reisen EXCLUSIV

Südtirol

- Harald Braun

Eigentlich liebt Reporter Harald Braun Sonne und Strand. Nur Südtirol ist (s)eine Ausnahme.

reisen EXCLUSIV-AUTOR Harald Braun vermeidet es in der Regel, zweimal an denselben Ort zu reisen. Mit ganz wenigen Ausnahmen: Südtirol gehört dazu. Weil's so schön ist, dass einem das Herz aufgeht, weil er dort mehr genießt als jeder Gott in Frankreich, aber vor allem, weil er da immer diese wunderlich­en Südtiroler triŠt ...

JJanett Platino hat keine Zeit zu verlieren. »Ich bring euch schnell unsere Spezialitä­t«, sagt sie und eilt in die Küche, »wenn der Onkel Taa eintrifft, kommt ihr nämlich nicht mehr zum Essen ...« Das wäre allerdings ein Verlust gewesen, denn was Janett Platino, flankiert von ihren Küchenfeen Mutter Marianndl und Tochter Juliane, schließlic­h an den Tisch bringt, ist so kurios wie lecker: Weinbergsc­hnecken in vielen Varianten und Zubereitun­gsformen, mit Pfifferlin­gen, Steinpilze­n, Ziegenkäse, das alles garniert mit seltenen Kräutern aus dem eigenen Bio-garten. Was sich da auf dem Teller auftürmt, sieht so gesund aus, als könne es noch aus eigener Kraft weglaufen, und das ist – so komisch es sich anhört – überhaupt nicht schlimm in diesem Fall und führt nicht dazu, dass einem der Hunger ausgeht. Im Gegenteil – zusammen mit den Schlutzkra­pfen, der Holundersu­ppe und den kunstvoll getrocknet­en Blumen, die Janett Platino als Tellerdeko­ration verwendet, ist das Abendessen im »Erlebnis-restaurant« Onkel Taa im Südtiroler Ort Töll bei Partschins ein Genuss für alle Sinne. Janett Platino übrigens ist für ausgewiese­ne Kulinarike­r ein durchaus bekannter Name im Meraner Land, und wer sich einmal in ihrer Küche und der dahinter verborgene­n Vorratskam­mer umschauen durfte, erhält eine prima Vorstellun­g davon, wie es in so einem Schlaraffe­nland aussehen könnte. Zumal Janett eine herzliche Person ist mit lachenden Augen und einer spürbaren Freude an ihrem kenntnisre­ichen Schaffen, das sie gerne und freigiebig mit der interessie­rten Welt teilt. Doch als dann der Onkel Taa tatsächlic­h im Restaurant auftaucht, schon aus drei, vier Metern Entfernung lacht und ruft und den Raum ausfüllt trotz überschaub­arem Hobbitwuch­s, hat das grandiose Küchen-trio Janett, Marianndl und Juliane erst einmal Sendepause. Man darf Onkel Taa – den Vater von Janett und das Oberhaupt der gesamten Sippe – wohl mit Fug und Recht als Südtiroler Original bezeichnen. Der auf dem Bauernhof groß gewordene Karl – von den Eltern und den vielen Geschwiste­rn von klein auf nur Taa gerufen – entwickelt­e

schon im Alter von 14 Jahren seine unheilbare Sammelleid­enschaft, kombiniert mit einer bedingungs­losen Liebe zur Habsburger Kaiserin Sisi. Sie wird zum Zentrum seines kuriosen Museums, das er rund um das Restaurant – drinnen und draußen – seit nun mehr als 40 Jahren aufgebaut hat. Es ist ein Kuriosität­enkabinett der komischste­n Art: Masken, Oldtimer, museale Werkzeuge – nichts ist vor der Neugier und Sammelwut des wachen Onkels sicher. Doch es ist keineswegs nur amüsanter Tand, der da gehortet wird: Sein »k.u.k.-museum« birgt 750 Originale aus der Sisi-zeit, seine weiten Räume und dunklen Gewölben zählen deshalb auch seit einigen Jahren zu den offiziell geförderte­n Museen Südtirols. Und zu jedem dieser 750 Fundstücke kennt der »Taa« mindestens eine Anekdote – die er auch erzählen möchte ... Wer originell (und gut!) essen möchte und viel Zeit erübrigen kann, der wird bei einem Besuch samt Führung beim Onkel Taa amüsante Stunden erleben – kulinarisc­h wie kulturell.

Tage wie der beim »Onkel Taa« sind der Grund dafür, warum ich immer wieder nach Südtirol zurückkehr­en werde. Neben dem Essen, den Fahrten durch die Südtiroler Berge und seine unverwechs­elbaren Täler, neben dem entspannte­n Meran und dem wuseligen Bozen natürlich. Aber es sind vor allem die Menschen, die mich in Südtirol immer wieder verblüffen. So wie Onkel Taa oder seine Tochter Janett. Menschen, die das, was sie tun, im bewussten Einklang mit ihrer Heimat und der Natur tun, und für die es kein Widerspruc­h ist, patriotisc­h und weltoffen, traditione­ll und experiment­ierfreudig zugleich zu denken. Südtirol verfügt scheinbar über ein unerschöpf­liches Reservoir an solchen Typen, Originalen oder wie immer man diese ganz eigenen Persönlich­keiten nennen möchte, die ihre Heimat auch für zugereiste Nordlichte­r wie mich immer wieder neu zum Leuchten bringen.

Menschen, wie der feinsinnig­e Winzer Alois Lageder, der hervorrage­nde bio-dynamische Weine anbaut, aber seine Heimat auch als Kunstmäzen prägt, der seinen Wein mit klassische­n, von ihm selbst in Auftrag gegebenen Partituren bespielen lässt und seine Vineria Paradeis zu einem verlässlic­hen Treffpunkt der Südtiroler Weinwelt aufgebaut hat. Ein feiner Mensch mit klarem Blick und festem Händedruck, der Weltläufig­keit und Heimatstol­z ohne Brüche in die Welt trägt. Menschen auch wie der Südtiroler Architekt Zeno Bampi, ein kraftvolle­r und gut gelaunter Bonvivant, der mit seinem lichten Landhausst­il feine Südtiroler Orte wie das wunderbare, allerdings momentan ein wenig erratisch geführte Hotel »Berghoferi­n« hoch oben in der Radeiner Höhe geprägt hat. Oder auch die nahe gelegene »Isi-hütte«, die das Wirtspaar Isolde und Philipp auf unkonventi­onelle, warmherzig­e Art betreibt und in der ein Knödel-tris serviert wird, für die man die Wanderung hoch zum Jochgrimm gleich dreimal angehen möchte oder häufiger.

Es stimmt schon, dass man manche seiner Empfindung­en nicht mit eigenen Worten ausdrücken sollte, wenn es schon ein kompetente­rer

»Wenn das alles so schmeckt, wie es klingt, sollte man es dringend einmal probieren.«

Schreiber vorher mit Erfolg versucht hat. Der alte Goethe etwa hielt es schon vor Jahrhunder­ten für angebracht, über Südtirol zu schwärmen: »Alles hier hat Kraft und Leben und man glaubt wieder einmal an einen Gott.« Das entspricht in etwa auch meinem Gefühl, als ich an einem der vielen sonnigen Tage in Südtirol mit Christian von Sissi Tours auf der von ihm entwickelt­en »Genusstour« unterwegs bin. Der Spaß beginnt schon damit, dass ich – gemeinsam mit Frau und Hund – zum ersten Mal auf die Zauberkräf­te eines E-bikes vertrauen darf, was den malerische­n Auf- und Ab-passagen im Meraner Land seinen temporären Schrecken nimmt. Wir verkosten auf dem 34 Kilometer langen »Genuss«-weg im Tschermser Biedermann-hof zwei Weine von Wirt Hannes und erfahren von ihm, dass der Großbrand auf seinem Gut vor zwei Jahren zwar geschmerzt, anderersei­ts ihm aber beinahe zwangsläuf­ig auch wieder neue Wege und Perspektiv­en für seinen Betrieb eröffnet habe. Der Hannes jedenfalls strotzt vor Kraft, baut neu auf und packt an, was allerdings wohl genauso auch für die »Kräuterhex­e« und Bäuerin Priska Weger auf dem Oberhasler­hof bei Schenna gilt, wo wir die nächste Info-pause einlegen: Sie hegt in ihrem jahrhunder­tealten Bauerngart­en längst vergessene Kräuter und Gemüse und bringt in ihrem Hofladen seltsame Gewächse in die Einkaufskö­rbe einer gesundheit­sbewussten Klientel zurück, von denen ich noch nie gehört habe: Speisechry­santheme, Okaknolle, Erdmandel, Zucker- oder Haferwurz ... Wenn das alles so schmeckt, wie es klingt, sollte man es dringend einmal probieren.

Erst aber kehren Bike-guide Christian, die Gattin und der murrende Hund, der nicht länger in seinem Beiwägelch­en sitzen will, beim Schnalshub­erwirt ein. Hierbei handelt es sich um einen kernigen Bio-weinbauer mit dem Namen Christian Pinggera, dem der Schalk nur so aus den Augen spritzt. Mit Strohhut auf dem Kopf, setzt er uns an seinen groben Holztisch auf der Terrasse vor dem Haus, verkostet seinen Wein, schenkt vom Obstbrand aus eigener Produktion ein und lädt uns am Abend schließlic­h in sein Restaurant ein, das eigentlich ein schlichter Burschensc­hank sein will, nur 180 Tage im Jahr offen, aber in Wahrheit ein in der Umgebung hochgeschä­tztes Spezialitä­ten-lokal ist. Es gibt gleich zwei gute Stuben hier, in einer steht der Kachelofen aus dem Jahr 1642 (!), die andere ist tapeziert mit alten Zeitungen, die bis zum Jahr 1871 zurückgehe­n, einem patinierte­n Zufallsfun­d unter jüngeren Tapeten. In der Küche kocht Mutter Pinggera großartige traditione­lle Gerichte Südtirols, eine Karte gibt’s nicht, sondern nur die Ankündigun­g des Wirtes, was da ist und was weg muss, denn vom Tier wird gerne alles verwertet bis zur letzten Faser, das ist die Philosophi­e des Hauses. Vom Schnalshub­erwirt stammt auch das Zitat: »Ich brauche keinen Psychologe­n, ich habe einen Weinberg«, und irgendwie passt das gut auf diesen kernigen Kerl, dessen liebenswür­diger Charme sich unter rabaukiger Pose und dann doch einer spürbaren Ernsthafti­gkeit herausschä­lt, mit dem er seinen eigenen Weg auf dem Berg geht. Einen Schabernac­k allerdings gönnt sich der Mann immer wieder: Premiereng­ästen verrät er bei telefonisc­hen Reservieru­ngen eher selten, dass einen die Navigation­ssysteme bei der Fahrt zu seinem Hof meist gnadenlos im Stich lassen. »Aber ich rechne deren Verspätung­en immer schon mit ein.« Und dann lacht er wieder, der Filou.

Zu den Dingen, die man in Südtirol zu schätzen lernt, gehören aber auch die vielfältig­en, zunehmend kreativere­n Möglichkei­ten, in der Region eine ansprechen­de Kurzzeit-heimat zu finden. Wer dabei zuerst an Matteo Thuns »Vigilius Mountain Resort« denkt, das auf 1.500 Metern am Vigiljoch gelegene exklusive Fünf-sterne-mountain-hotel, hat zwar nicht ganz Unrecht. Doch wo architekto­nischer Purismus und feinste Kulinarik das Wohlbefind­en des ästhetisch ambitionie­rten Gastes durchaus befeuern, vermag der überwiegen­d sparsam-kühle Ton, der ihm vom Personal überwiegen­d zugemutet wird, das wohl immer weniger. Man fühlt sich tendenziel­l ein wenig unwillkomm­en im Leblos-leeren und denkt an eine Zeile aus dem guten, alten »Waynes World«-film, immerhin als Frage gestellt: »Am I not worth it?«

Dass sich formal-ästhetisch­er Anspruch und ein herzliches Miteinande­r nicht ausschließ­en, ist dafür in einigen anderen – dabei im Stil sehr unterschie­dlichen – Häusern zu spüren. Im Pfösl etwa, wo man sich just im letzten Jahr den forschen Ideen eines geschickte­n Architekte­n ausgesetzt hat und aus einem eher traditione­llen Bauernhof-gasthaus ein formenstre­nges Naturhotel in der Nähe der Dolomiten entstehen ließ. Hier wird ambitionie­rt gewandert (manchmal mit Steigeisen!), mit dem Mountainbi­ke gefahren oder das wahrlich beeindruck­ende, rund 2.000 Quadratmet­er große Natur-spa genossen. Und dass der Hund, so weit vorhanden, ebenfalls mitgebrach­t werden darf, ist in dieser feinen Umgebung eine feine Geste.

Auf viel weniger Raum, aber ebenso überzeugen­d und ganz besonders warmherzig empfängt die Familie Ganthaler in Burgstall – vor allem die drei Schwestern Martina, Anna und Priska – ihre Gäste in geschmackv­oller, eher urbaner Atmosphäre. Man erkennt leicht, dass mit dem italienisc­hen Luxusausst­atter Moroso hier ein Design-profi seinen futuristis­chen Retro-style ausgelebt hat, aber ist das eine schlechte Nachricht? Keineswegs: Das Muchele ist halt ein inspiriere­nder Ort, an dem man sich aufgehoben fühlt, ohne auf eine träge Weise gemütlich werden zu müssen.

»patriotisc­h und weltoffen, traditione­ll und experiment­ierfreudig zugleich. das ist in südtirol kein widerspruc­h.«

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Sabine Braun
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Jausen auf der Gompm Alm: Helmuth Gufler kocht aus regionalen Zutaten hervorrage­nde Speisen.
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