Ernest Hemingway war kuba verfallen.
Köstlich ist auch das Essen in der Finca Agroecologica El Paraiso, die mit einer grandiosen Aussicht auf das Mogote-tal und heimischer biologischer Kost überzeugt. Es wird aufgetischt bis sich die Tischbalken biegen: schwarze Bohnen und Reis – auf Kuba Grundnahrungsmittel – und der so typische kubanische Rindfleischeintopf mit Paprika und Zwiebeln namens »ropa vieja«, übersetzt: alte Wäsche. Auch Huhn, Fisch, Schwein und Gemüse wandern wie von Zauberhand nach und nach auf den Tisch.
Zu gerne hätte ich auch den Sonnenuntergang mit Sicht auf das grüne, friedliche Tal angeschaut, doch Havanna ruft. Dort gibt es noch zu viel zu entdecken. Auf dem Rückweg fährt Julio mich noch kurz bei der Mural de la Prehistoria vorbei, einer überdimensionalen Felsmalerei, die 1961 ein mexikanischer Künstler auf den Felsen gemalt hat. Nett anzusehen, aber nicht unbedingt ein Muss.
Der Cementerio Cristóbal Colón, übersetzt »Christoph-kolumbusFriedhof« und von den Einheimischen nur Colón genannt, dagegen ist ein absolutes Muss. Es ist der größte, prächtigste, bedrückendste, liebevollste und vielfältigste Friedhof, den ich je besucht habe. Eine Stadt in der Stadt, die den Toten gewidmet ist, aber dennoch äußerst lebendig scheint. Über eine Millionen Menschen haben hier ihre letzte Ruhe gefunden – halb so viele Einwohner, wie Havanna hat. Der Friedhof, der mitten in der Stadt liegt, ist eine Totenstadt aus Marmor und Stein. Die Gräber sind Denkmäler, viele von ihnen mit den Eigenschaften versehen, die den Toten ausgemacht haben. Wie zum Beispiel dem Grab von José Raúl Capablanca, einem Schachweltmeister der 1920er-jahre, auf dessen Grab eine marmorne Schach-dame prangt. Wieder ein anderes Grab ist mit einem steinernen Dominospiel versehen – die Dame wird – wie die meisten Kubaner – das Spiel verehrt haben. Vor allem am Abend, wenn die Kühle durch die Gassen Havannas klettert, sitzen zumeist die Männer an Tischen auf den Bürgersteigen und spielen Domino.
Ob auch Che Guevara oder Ernest Hemingway dem Spiel verfallen waren? Beide waren zumindest sozusagen Kuba verfallen. Che Guevara, der wohl bekannteste Revolutionär, kämpfte für Freiheit und gegen Armut auf Kuba. Und noch heute, rund 51 Jahre nach seinem Tod, ist er in Havanna allgegenwärtig. Sein Gesicht ziert Mauern und Häuser als Graffiti oder auf T-shirts gedruckt als Mitbringsel. Das wohl größte Konterfei prangt auf dem Gebäude des Innenministeriums – darunter der Spruch »Hasta la Victoria Siempre« (»Immer bis zum Sieg«). Auf dem Informationsministerium nebenan ist Camilo Cienfuegos mit seinem Zitat »Vas bien Fidel« (»Fidel, du machst es richtig») zu sehen, der zusammen mit Che gegen das Batista-regime kämpfte.
Die Hochhäuser stehen am bekannten Revolutionsplatz, dem Plaza de la Revolución José Martí. Ein irre großer Platz, der 72 000 Quadratmeter misst und auf den locker sechseineinhalb Fußballfelder passen würden. Gegenüber den beiden Revolutionären schießt das MartiDenkmal in die Höhe. Zweifellos kein schöner Bau, aber man kann den Aufzug nehmen und von oben auf Havanna hinabblicken. José Martí war ein Nationalheld, ein Vordenker der Unabhängigkeit Kubas und ein Schriftseller.
Wie Ernest Hemingway, einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er fand in Kuba eine zweite Heimat. Zunächst in Havanna, dann auf seiner Finca außerhalb der Stadt. Auch ihm begegnet man unweigerlich in Havanna. Sei es im Ambos Mundos Hotel in der Altstadt, Ecke Obispo und Mercaderes, wo das Zimmer 511 angeblich nach Hemingways Auszug noch genauso aussieht, wie er es verlassen hat – inklusive seiner alten Schreibmaschine. Oder in seinen Stamm-bars »La Bodeguita del Medio« mitten in der Altstadt und »El Floridita« nahe dem Gran Manzana Kempinski, wo man sich betrinken kann wie Hemingway. Dabei sollte man es halten wie der Schriftseller selbst: »My Mojito in La Bodeguita. My Daiquiri in La Floridita.«
Doch ich versacke weder beim Mojito in La Bodeguita noch beim Daiquiri in La Floridita. Mich zieht es zur Fabrica de Arte Cubano, Havannas neuer Kulturfabrik, die seit 2014 eröffnet hat. Eine kleine Sensation, denn dank moderaten Preisen soll sie allen Bevölkerungsgruppen zugänglich sein. Allerdings bei drei Euro Eintritt für viele Habaneros dann doch nicht machbar. Der markante Schornstein der ehemaligen Speiseölfabrik aus rotem Klinker weist den Weg. Filmvorführungen und Diskussionsveranstaltungen mit Regisseuren gehören genauso zum Programm wie Theater und Konzerte. Zudem sind wechselnde Ausstellungen zu sehen, und in kleinen Nischen verstecken sich Künstler, die hübschen Schmuck und Drucke verkaufen. Oder man setzt sich in einen der Innenhöfe, genießt die heißen Samba- und Cha-cha-cha-rhythmen und ein kühles Bier oder einen Cocktail.
Dennoch versacke ich auch hier nicht. Mein letzter Tag in Havanna endet, wie mein Aufenthalt begonnen hat: am Mojito nippend auf der Dachterrasse des Gran Manzana Kempinski Hotels. Vor mir das Häusermeer, das Havanna so einzigartig macht. Charmante Reliquien einer bewegten Vergangenheit, die wohl nach und nach verschwinden werden. Prost, Havanna, danke, dass ich dich noch so erleben durfte!