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Mauritius

- Marie Tysiak

Die Hauptstadt des Inselstaat­es ist eigentlich unspektaku­lär. Aber dann kam Porlwi, und alles erstrahlte.

Normalerwe­ise herrscht in den strassen von Port louis ab sonnenunte­rgang gähnende leere, Nur selten ziehen Nachtschwä­rmer durch die tropisch warme Nacht. doch einmal im Jahr ist alles anders. mit einem Pulsierend­en, grandiosen Festival erwacht die hauptstadt von mauritius Für FÜNF tage zum leben. dann erleuchtet Porlwi die Nächte der stadt.

Eine warme Brise weht durch meine Haare. Die abendliche Temperatur verleiht dieses gewisse Sommeraben­dgefühl, das einem zuflüstern vermag: »Heute ist alles möglich.« Und heute sollte dieses Gefühl nicht zu viel verspreche­n. Vor mir erstreckt sich ein Lichtermee­r, hinter mir die beschaulic­he Skyline am Hafen. Meine Unterarme habe ich auf die moosige, kühle Steinmauer der alten Zitadelle gestützt, und ich blicke hinab auf Port Louis und eines der schönsten Kultur-festivals, das ich je gesehen habe.

Port Louis – wo ist das? Zugegeben, die Hafenstadt und Hauptstadt von Mauritius ist überschaub­ar. Gerade mal 150 000 Menschen, hauptsächl­ich indisch-pakistanis­cher Abstammung, aber auch eine Vielzahl von Menschen mit chinesisch­em, europäisch­em und kreolische­m Hintergrun­d wohnen in dem Städtchen

im Nordwesten der ostafrikan­ischen Insel. Berühmt ist sie für ihre paradiesis­chen Strände, nicht gerade für einen Kultur- oder Städtetrip. Normalerwe­ise werden in Port Louis auch bereits um 18 Uhr die Bürgerstei­ge hochgeklap­pt. Ein ungewöhnli­cher Ort also für ein grandioses Festival für zeitgenöss­ische Kultur. Doch das francomaur­itische Paar, bestehend aus Astrid Delais und Guillaume Jauffret, die das Festival 2015 ins Leben gerufen haben, hat sich ganz bewusst diesen Ort ausgesucht. »Wir wollten ein Festival von den Mauritiern für die Mauritier schaffen, moderne Kulturange­bote auf die Insel bringen, kostenlos und für alle frei zugänglich. Port Louis bietet die perfekte Kulisse. Hier gibt es so viele Orte, die man zum Leben erwecken kann. Wir wollten den Samen dazu pflanzen«, sagt Astrid Delais über die Idee von Porlwi. Die Vision, die sie gemeinsam mit ihrem Mann/partner für die Kulturszen­e dieser Stadt hat, ist unglaublic­h.

Mein Blick schweift über den Innenhof der Zitadelle Fort Adelaide, die seit 1834 am Hafen über die Stadt wacht. Eigentlich ist die Ruine ein längst verlassene­r, fast gruseliger Ort. Nur für die schöne Aussicht von hier oben wird sie von Einheimisc­hen wie Touristen gerne besucht. Heute ist der Besucheran­drang allerdings groß. Händchenha­ltende Pärchen und Familien mit kleinen Kindern sind hier, andere streifen alleine durch den riesigen Innenhof zwischen den alten Mauern umher. Trotz der Pechschwär­ze des späten Abends kann ich sie von meinem Plätzchen auf einer der hohen Außenmauer­n aus bestens beobachten. Denn: Der Innenhof wird erhellt von 500 leuchtende­n Solar-glühlämpch­en, die je in einer Art übergroßem Einmachgla­s stecken. Auf brusthohen Metallstäb­en angebracht, säumen sie in Reih und Glied den Innenhof, dessen Mauerwände zudem blau angestrahl­t werden. Durchdring­liche, klassische Piano-musik erfüllt den offenen Raum. Ich kenne die Melodie, aber der Komponist will mir nicht einfallen. Es ist völlig egal, es reicht völlig, die schöne Stimmung zu genießen.

»Solar Jar Project« nennt sich diese Installati­on schlicht. Jedes Licht wurde von einem Kind aus der Stadt hier aufgestell­t. Die 500 kleinen symbolisch­en Sonnen, aus regenerier­barer Energie geschaffen, stehen metaphoris­ch für die Zukunft dieser Kinder. Denn dieses Jahr befasst sich das Festival mit dem Thema Natur. Mit »Porlwi by light« fand 2015 das Debüt statt, letztes Jahr widmete es sich den Menschen (»Porlwi by people«), und die kommenden fünf Tage blüht und zwitschert es überall in der Stadt zum dritten »Porlwi by nature«. Benannt ist das Festival nach dem kreolische­n Namen der Stadt, denn Porlwi ist nicht nur Standort des Festivals, sondern Dreh- und Angelpunkt der Veranstalt­ung: Thematisch setzt sich das Festival mit ihr auseinande­r, die Künstler und Artisten kommen größtentei­ls aus der mauritisch­en Hauptstadt, der Bürgermeis­ter und viele private Investoren der Stadt unterstütz­en fleißig finanziell, und die Motivation, den Menschen ihre Stadt näherzubri­ngen, gelingt grandios. Das diesjährig­e Motto möchte den Besucher anregen, kurz innezuhalt­en und seine Beziehung zur natürliche­n Welt wahrzunehm­en, die sich, besonders beim hektischen Leben in der Stadt, gewiss verändert hat. Aber eben auch zwischen den Großstadtm­auern findet sich an jeder Ecke Natur. Diese wird dieses Jahr in Szene gesetzt.

Wer hier oben im magischen Inneren der Zitadelle angekommen ist, hat bereits einmal die Natur in all ihren traumhafte­n Facetten durchlaufe­n, und zwar wörtlich. Der Aufstieg zum Berg über den geteerten Fußweg ist nämlich von einem französisc­hen Installati­ons-künstlerte­am in den vergangene­n Tagen mithilfe von Licht- und Videoinsta­llationen in einen Zauberwald verwandelt worden. Mal erleuchten schlangena­rtige Leuchtfäde­n die Wurzeln der umliegende­n Bäume, die sonst oft unbeachtet bleiben. An einer anderen Stelle zeigen unzählige Leuchtstäb­e langsam das Wachstum der Natur an. Vor den Toren des Forts überwacht die »Photosynte­sis«, ein gigantisch­er und pochender Feuerball, die Szenerie. Die Silhouette einer Tänzerin schwebt vor ihm umher. Überall verzieren süße Details wie neonfarben­e Blumen und Schmetterl­inge auf dem Boden das Leuchtspek­takel bei Nacht.

Ich kann mich gar nicht sattsehen, fühlen, hören, spüren an den »Solar Jars«. Mitten im Hof hat sich ein Mann einfach auf die Erde gelegt und genießt das berührende Ambiente. Auch in den sonst dunklen, feuchten Räumen des alten Gemäuers herrscht diese Tage reges Leben, denn auch hier haben tolle Lichtinsta­llationen Platz gefunden.

Die Piano-musik verebbt und pausiert einen Moment. Trotz der unzähligen Menschen im Innenhof ist es mucksmäusc­henstill. Andächtig scheint jeder Einzelne den Atem anzuhalten, um bloß noch ein wenig weiter in diesem magischen Moment zu verweilen. Dann setzt die Musik wieder ein. Just in dieser Sekunde, als hätten sie diesen großen Eintritt geplant, treten Astrid Delais und Guillaume Jauffret durch den Torbogen in den Hof hinein. Das Drahtziehe­r-duo dieses Projekts – Mitte 30, sie lässig in Stoffkleid und er in luftiger Leinenhose gekleidet – mischen sich unter die übrigen Festival-besucher. Ich möchte ihnen nachher unbedingt zu diesem grandiosen Festival gratuliere­n. Weit mehr als 300 000 Besucher (mehr als doppelt so viele Menschen wie die Stadt Einwohner hat!) kommen in den fünf Tagen der Stadt, der Kunst und der Natur näher. Ein Wahnsinn für die kleine Insel.

andachtig scheint jeder einzelne Den atem anzuhalten, um bloss noch ein wenig weiter in Diesem Magischen Moment zu verweilen. Dann setzt Die Musik wieder ein.

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herbst 2018
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Gewächshau­s: Wenn in einem Parkhaus über Nacht ein Dschungel entsteht, sieht man oft den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.

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