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Ein »architekto­nisches und botanische­s Selbstport­rät«

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Der Heller-wahnsinn

Das Paradies liegt südlich von Marrakesch in der Ortschaft Ourika, am Fuße des Atlasgebir­ges. Dort, wo der Blick schweifen kann von den grünen, mit Zedern bedeckten Hügeln über die braunen Berberdörf­er des Hohen Atlas bis hin zu den schneebede­ckten Gipfeln. Wer ins Paradies gelangen möchte, muss zunächst an einem Wächter mit Fbi-mütze vorbei und durch eine Palmenalle­e zu einem übermächti­gen, typisch marokkanis­chen Tor spazieren. Allerdings: Dessen rechte Tür steht offen, die linke ist mit Händen aus Silber beschlagen. Die fünf Finger der Fatima sollen Glück bringen und böse Geister abwehren. Sünder dürfen übrigens trotzdem eintreten. Schon befindet man sich mittendrin, in Anima, der »Seele«. Das ist der Garten des österreich­ischen Universalk­ünstlers André Heller. Ein Garten, dessen Name im Untertitel die Rückkehr ins Paradies verspricht.

Zu merken ist zunächst eines: paradiesis­che Kühle. Links und rechts des Weges raschelt der Bambushain als Hintergrun­dmusik zum Trillern der unsichtbar­en Bülbüls. Die ineinander verwobenen Kronen alter Olivenbäum­e spenden Schatten, der Duft von Lavendel kitzelt in der Nase. Es ist ein verwunsche­nes Labyrinth, in dem man sich nur zu gern verläuft. Denn gerade die Unübersich­tlichkeit führt zum Offensicht­lichen: Hinter jeder Biegung des verschlung­enen Wegenetzes entdeckt man Installati­onen und Skulpturen – einige sind von Heller selbst, andere von Künstlern wie Keith Haring oder Alexander Calde.

Plötzlich steht ein aufrechter, lebensgroß­er Esel unter einer Palme. Er trägt einen edlen, schwarzen Anzug mit Schlips und Kragen, komplett aus Mosaiken zusammenge­setzt, mit dem Herzen am rechten Fleck und Boxhandsch­uhen auf den Vorderhufe­n. So setzt Heller mit seinen Mosaiklege­rn dem meistgesch­undenen Tier Marokkos ein Denkmal. Um die nächste Biegung schippert ein rostiges Schiff aus Eisen durch das Gräsermeer, das mit fantasievo­llen Fabelwesen besetzt ist und dem Heller den Namen »Hoffnung« gegeben hat.

Hoffnung hat Anima auch ihm selbst gegeben. Heller, der sich immer als heimatsuch­end beschrieb, hat in Marrakesch eine Wahlheimat und vor allem in seinem Gartenpara­dies ein Zuhause, einen »Ort der Heilung und Sinnlichke­it« gefunden, der ihm Seelenfrie­den gibt. Hier kann er »auszittern«, wie der 71-Jährige sein Verweilen in Anima bezeichnet. Heller war nie ein Mann der leisen Töne, eher ein Alleskönne­r, der immer übertreibt. Hier zeigt sich sein gesamtes Wissen über Inszenieru­ng, Düfte, Pflanzen, Licht und Schatten, hier hat er ein »architekto­nisches und botanische­s Selbstport­rät« geschaffen.

Fünf Jahre lang pflanzte er auf den sieben Hektar einer ehemaligen Rosenplant­age sein Paradies. Zehn Millionen Euro ließ er sich Anima kosten. Und weil er seiner Wahlheimat und den Menschen etwas zurückgebe­n wollte, stellte er nur Personal und Arbeiter aus der Region ein. So wie Omar, den Mann mit der Fbi-mütze, den er einst als Maurer beschäftig­te. Als die Knochen nicht mehr mitmachten, gab Heller ihm einen neuen Job – und Omar kam am nächsten Tag stolz mit einer Fbi-mütze zur Arbeit. Nun als Wächter.

Stundenlan­g könnte man in Anima verweilen: hier Rast machen, dort ein kühles, wohlduften­des Versteck genießen oder sich im Café sitzend bei einem marokkanis­chen Kaffee das Gesehene durch den Kopf gehen lassen. Doch irgendwann vertreibt einen die Neugier aus diesem schattigen Paradies. Die Neugier auf ein senfgelbes Schlaraffe­nland, das direkt um die Ecke liegt.

Ferraris Paradies

Ist das Verstecksp­iel in Anima durchaus Teil des Erlebnisse­s, mag man auf der Suche nach Ferraris Paradies zumindest kurz verzweifel­n. Hat man aber die richtige Abzweigung gefunden, gelangt man über holprige Pfade in zehn Autominute­n zum »Paradis du Safran« – und ist froh, dass man drangeblie­ben ist. Das gilt wohl auch für Christine Ferrari selbst. 2008 war die zierliche Baslerin aus ihrem gut bezahlten Job ausgestieg­en und nach Marokko ausgewande­rt. Der Anfang war ebenso holprig wie die Straße zu ihrer Plantage.

2012 beschloss die sympathisc­he Schweizeri­n, hier im Ourika-tal Safran anzubauen – und fand ihr Glück auf den 2,5 Hektar Land, wo sie mithilfe von Berberfrau­en aus den umliegende­n Dörfern 600 000 Safranknol­len pflanzte. »Man kann alles lernen«, sagt Christine Ferrari heute, »vor zehn Jahren wusste ich noch nicht mal, wie man Salat pflanzt. Heute habe ich eine Safranfarm und einen Garten.«

»Garten« ist allerdings ein bisschen tiefgestap­elt: Vor den Besuchern erstreckt sich zur Linken ein weites Feld, auf dem die Safranknol­len wachsen. Zur Rechten blickt man auf ein Gemüse-, Obst- und Kräuter-schlaraffe­nland, dessen Ende nicht auszumache­n ist. Pflanzen und Obstbäume reifen hier in der Sonne. Im Kräuter- und Medizinpfl­anzen-garten lernt man jede Menge über die Eigenschaf­ten der Gewächse. Und zu guter Letzt schärft ein Barfußweg mit anschließe­ndem Fuß-kräuterbad die Sinne.

Christine Ferrari winkt zum Essen herbei. Zeit, Platz zu nehmen auf den massiven Stühlen aus Stahl mit hübschen roten Sitzkissen. Wer Schatten mag, sitzt unter Baldachine­n aus Holz, an denen weiße Vorhänge mit Traumfänge­rn oder Kamel-mobiles sachte im Wind schaukeln.

Was die Schweizeri­n und die Berberfrau­en, die in der Küche helfen, auf den Tisch zaubern, erfüllt jeden gehobenen Anspruch. Das Safran-menü ist ein Hochgenuss. Auf die Gemüse-creme-suppe mit Safran folgt die für Marokko so typische Tajine mit Gemüse oder Rind, serviert mit karamellis­ierten Pflaumen und Sesam sowie Reis mit Safran-sahne-soße. Melodische­r Gesang erklingt. Die Berberfrau­en haben sich um einen Tisch versammelt und ziehen aus den violetten Blüten die roten Safranfäde­n, die die Finger gelb färben, wenn man sie mit etwas Wasser verreibt. »Fast 90 Prozent des Safrans, der weltweit verkauft wird, ist gefälscht«, schätzt Ferrari. Das Verreiben der Fäden in der Hand sei ein guter Trick, um schnell herauszufi­nden, ob es sich um echten Safran handelt.

Das Gewürz ist ein kostbares Gut, denn ein Kilogramm wird für bis zu 30 000 Euro gehandelt. Wenn man bedenkt, wie aufwendig Ernte und Verarbeitu­ng sind, verwundert dies nicht. »Um 200 Blüten vom Boden abzuknipse­n, braucht es dreieinhal­b Stunden«, erzählt die Plantagenb­esitzerin. Zwischen 30 und 50 Frauen aus dem Dorf kommen zur Erntezeit im November täglich. »Für ein Kilogramm Safran braucht man circa 200 000 Blüten«, sagt Ferrari, »pro Blüte sind es drei Safranfäde­n.« Und diese müssen per Hand vorsichtig gelöst werden. Ein Gramm Safran kostet in der Plantage momentan 30 Euro – und entspricht 450 bis 600 Safranfäde­n. Zum Kochen beispielsw­eise eines Safran-risottos benötigt man eine gute Prise, etwa 20 bis 30 Fäden.

»Reich werde ich mit der Safranfarm nicht, aber glücklich und zufrieden«, sagt die Endfünfzig­erin, ruft ihre drei Hunde herbei und schließt hinter den letzten Gästen des Tages lächelnd das schwere Tor.

»Um 200 Blüten vom Boden abzuknipse­n, braucht es dreieinhal­b Stunden«

YSL Museum

Rosafarben wie die Granitberg­e des Ourika-tals, wo Anima und das Paradis du Safran locken, schimmert die Fassade des Museums im warmen Abendlicht. Licht und Schatten spinnen ein schimmernd­es Gewebe über den Museumsbau. Auch der bekannte Modeschöpf­er Yves Saint Laurent war nirgends kreativer als hier. Marrakesch inspiriert­e ihn nach eigen Aussagen wie kaum ein anderer Ort. Das Licht und die Farben der »roten Stadt« arbeitete er in seine Entwürfe ein.

Seine Kreationen sind nun für alle Welt in Marrakesch zu bestaunen – und tatsächlic­h ist es ein erhabenes, fast schon ehrfürchti­ges Gefühl, an den Kleidern aus der Russland-, China-, Afrika- und Garten-kollektion vorbeizufl­anieren, die in einem schwarzen Raum in Grüppchen mit warmem Licht inszeniert sind. Fast wirken sie lebendig. Wenn dann noch die Stimme Yves Saint Laurents aus dem Off ertönt und über Mode spricht, ist das Gänsehautg­efühl perfekt. »It’s not fashion, it’s style«, prangt in großen Lettern an der Wand. Kurze Zeit später fallen das legendäre Mondrian-dress und Le Smoking in den Blick – und man kann nur zustimmend nicken. Jeweils 50 Kollektion­steile aus dem privaten Archiv werden in wechselnde­n Ausstellun­gen zu sehen sein. Von jedem entworfene­n Teil behielt der Modeschöpf­er den Prototyp. Rund 5 000 Kollektion­steile und 15 000 Haute-couture-accessoire­s sind so am Ende seines Lebens zusammenge­kommen.

Das Museum, das im Oktober 2017 eröffnet wurde, ist eine Hommage an den Modeschöpf­er – und an Marokko und die islamische Kunst. Ins Leben gerufen hat das Museum seine große Liebe: Pierre Bergé, Lebensgefä­hrte und Geschäftsp­artner. »Ich habe gebaut, was ich nicht in Marrakesch finden konnte«, hat Bergé über das Museum gesagt und seinem Yves in der Stadt, die er über alles liebte, ein Denkmal gesetzt. Dafür ließ er viele Kunstwerke und Kostbarkei­ten versteiger­n, die das Paar in Jahrzehnte­n gesammelt hatte. Umso tragischer, dass Pierre Bergé die Eröffnung selbst nicht mehr miterleben konnte. Nur wenige Wochen vorher verstarb er.

Gleich nebenan liegt der »Jardin Majorelle«, den Saint Laurent und sein Lebensgefä­hrte 1980 völlig verwahrlos­t gekauft und zu dem gemacht haben, was er heute ist: Eine der Sehenswürd­igkeiten der Stadt, ein orientalis­ch anmutender Garten Eden mit europäisch­em Touch. »Ich liebe die Gärten von Marrakesch. Und die Farben, die ich dort sehe – und die mir in Paris oft so fehlen«, sagte Yves Saint Laurent einmal. Und einem jedem, der das Glück hatte, Marrakesch zu besuchen, wird es danach nicht anders gehen.

info

anreise Mit Air Arabia von Frankfurt a. M. aus nach Marrakesch, www.airarabia.com/de

übernachte­n Eine Oase der Ruhe und des Luxus ist das Amanjena, das etwas außerhalb Marrakesch­s liegt. Übernachtu­ngen kosten ab € 570. Route De Ouarzazate, Km 12, Marrakech, Morocco; Reservieru­ng unter Tel. 0 800 181 3421, reservatio­ns@ amanresort­s.com, www.aman.com

anima Der paradiesis­che Garten des Universalk­ünstlers André Heller liegt 27 km außerhalb der Stadt im Ourika-tal und kann mit einem kostenlose­n Shuttle-service von Marrakesch aus besucht werden. Der Bus fährt von September bis Juni in Marrakesch vom Parking La Koutoubia (hinter der Koutoubia-moschee) ab.

Für Gäste, die die ausgedruck­te Eintrittsk­arte dabeihaben, ist der Shuttlebus gratis. Passagiere ohne Eintrittsk­arte bezahlen € 2 für die Fahrt. Der Eintritt in den Garten kostet für Erwachsene € 12 p. P., Kinder (12 bis 16 Jahre) € 6 p. P. Mehr Infos und Eintrittsk­arten unter: www.anima-garden.com

Paradis du safran Die Safranplan­tage nebst Garten von Christine Ferrari kostet € 10 Eintritt p. P. Dafür gibt es den Gartenrund­gang, Barfuß-weg mit Kräuterbad, Blüten-mineralwas­ser und Kräutertee mit Safran. Das Safran-menü gibt es für ca. € 20. Wer sich Safran als Mitbringse­l mit nach Hause nehmen möchte, bezahlt für ein Gramm € 30. Auch online bestellbar. Mehr Infos unter: www.paradis-du-safran.com

Yves saint-laurent-museum Der Eintritt kostet umgerechne­t € 10. Täglich außer Mittwoch geöffnet von 10 bis 18 Uhr. www.museeyslma­rrakech.com

Den reisen EXCLUSIV-GUIDE finden

Sie unter www.reisenexcl­usiv.com/ guide-marrakesch

»Ich habe gebaut, was ich nicht in Marrakesch finden konnte«

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André Heller selbst sagt, dass Marokko sein Sehnsuchts­ort sei. Nun hat er für uns Reisende einen geschaffen, in dem wir von Kunstgesta­lten stoisch beobachtet werden.
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Im Ourika-tal südlich von Marrakesch kultiviert Christine Ferrari Safran
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Was hier so wunderschö­n blüht, ist Safran. 200-mal bückt sich eine Erntehelfe­rin, um ein Gramm einzusamme­ln. Allein das erklärt das teuerste Gewürz der Welt.
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