Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Visionen aus der Steinzeit

- VON CHRISTINE LONGIN

Die weltberühm­te Höhle von Lascaux ist ab morgen als originalge­treuer Nachbau zu besichtige­n. Die rund 2000 Tierzeichn­ungen, die Jugendlich­e 1940 bei Montignac in der Dordogne entdeckten, sind etwa 20.000 Jahre alt.

PARIS Hundegebel­l und die Stimmen von Jugendlich­en sind gleich zu Beginn der Besichtigu­ngstour zu hören. Die Audiokulis­se in Lascaux IV, dem Nachbau der weltberühm­ten Höhle in der Dordogne, erinnert an die Entdeckung vor mehr als 70 Jahren. Der 17-jährige Marcel Ravidat war damals mit seinem Hund unterwegs, der bei der Hasenjagd vor einem Erdloch halt machte. Ravidat kam ein paar Tage später mit drei Freunden zurück und stieg in das Loch hinunter, das heute als am besten erhaltene prähistori­sche Galerie Europas bekannt ist. „Wir dachten wie alle Kinder, dass wir ei-

Die „Sixtinisch­e

Kapelle der Vorgeschic­hte“wird die Höhle von Lascaux

auch genannt

nen Goldschatz finden werden“, sagte einer der Entdecker Jahrzehnte später im Fernsehen. Doch das, was die vier Jugendlich­en sahen, war noch wertvoller als Gold: Mehr als 2000 gemalte oder geritzte Tierzeichn­ungen, die rund 20.000 Jahre alt sind. Die „Sixtinisch­e Kapelle der Vorgeschic­hte“wird Lascaux auch genannt.

Nach der Entdeckung setzte ein Besucherst­rom ein, der die einzigarti­gen Kunstwerke aus der Steinzeit schädigte. Die Atemluft der 120.000 Menschen jährlich griff die Höhlenmale­reien so an, dass die Grotte 1963 schließen musste. Gleich zwei Krankheite­n machten sich an den Wänden breit: Mikroalgen und ein weißer Pilz, zu dem später auch noch schwarzer Schimmel kam. Hinter einer gut verschloss­enen blauen Tür liegen die Originale deshalb seither nur für Experten zugänglich. Doch die Öffentlich­keit kann das Weltkultur­erbe der Unesco trotzdem bestaunen, denn morgen öffnet eine originalge­treue Nachbildun­g: Lascaux IV. Rund 600 Meter Luftlinie vom echten Höhleneing­ang entfernt schmiegt sich die moderne Architektu­r des „Internatio­nalen Zentrums für Höhlenmale­rei“mit ihrer Zackenlini­e in die Landschaft des für seine Trüffel bekannten Périgord im Südwesten Frankreich­s.

Auf 900 Quadratmet­ern nachgebaut­er Höhlenwänd­e erstrecken sich die Meisterwer­ke der Vorgeschic­hte, bis auf eine Ausnahme ausschließ­lich Tiermotive. Um ein echtes Höhlenfeel­ing zu vermitteln, herrscht im sogenannte­n Faksimile eine Temperatur von 13 Grad und eine Luftfeucht­igkeit von 80 Prozent. Der Eindruck ist so täuschend echt, dass der einzige Überlebend­e der vier Entdecker, Simon Coencas, nach einer Vorab-Besichtigu­ng in Herbst sagte: „Ich habe mich wie in der Originalhö­hle gefühlt.“

Mit seinen Freunden war er 1940 zuerst im sogenannte­n Saal der Stiere gelandet, dem 17 Meter langen Herzstück der unterirdis­chen Galerie mit Wänden voller lebensecht wirkender Pferde, Hirsche und Auerochsen, von denen der längste fünf Meter misst. In ihrer Ausgestalt­ung erinnern die prähistori­schen Meisterwer­ke an die moderne Kunst eines Pablo Picasso. Der Spanier war kurz nach der Entdeckung in die Höhle gestiegen und hatte hinterher ernüchtert festgestel­lt: „Wir haben nichts neu erfunden.“

Dass es nach der Schließung der „Grotte de Lascaux“1963 einen Nachbau geben sollte, war die Idee des Adeligen Charles-Emmanuel de la Rochefouca­uld, auf dessen Land Lascaux I, das Original, liegt. Sie sei sofort dafür gewesen, erinnert sich die Künstlerin Monique Peytral, die in jahrelange­r Kleinarbei­t ganz allein die Kunstwerke für die erste Teil-Reprodukti­on Lascaux II kopierte. „Was auf diesen Wänden gemalt ist, ist eine große Lektion des Lebens“, sagte die Rentnerin vor drei Jahren in dem Dokumentar­film „Peindre Lascaux, peindre la vie“(Lascaux malen, das Leben malen). „Man soll auf die Natur hören.“

Die Spezialist­in griff für ihre Reprodukti­on auf Techniken zurück, wie sie die Steinzeitm­enschen benutzt hatten. So pustete sie mit einem ausgehöhlt­en Knochen Farbstaub auf die nachempfun­denen Höhlenwänd­e, um den kopierten Tierkörper­n dieselbe Weichheit zu geben wie den Originalen, die rot, braun, schwarz und ocker gehalten sind.

Während Peytrat zehn Jahre für ihre Kopien brauchte, dauerte die Arbeit an Lascaux IV nur drei Jahre. Rund 30 Künstler trugen die Zeichnunge­n mit der Hand auf die gewölbten Wände auf, die mit moderner 3-D-Technik millimeter­genau nachgebild­et wurden. 66 Millionen Euro kostete das spektakulä­re Projekt, das den vorübergeh­end geschlosse­nen Nachbau Lascaux II ergänzt. Mit 400.000 Besuchern jährlich rechnet die Gemeinde Montignac, zu der Lascaux gehört, durch das neue Zentrum. Das Dorf mit seinen 2800 Einwohnern ist auf den Steinzeit-Tourismus allerdings nur teilweise vorbereite­t – es hat lediglich 80 Hotelbette­n.

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FOTOS: DPA Täuschend echt ist der Weg durch die Höhle von Lascaux nachempfun­den – nur können die Menschen dort keine Originalze­ichnungen zerstören. Atemluft hatte die Kunstwerke aus der Steinzeit angegriffe­n.
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Rund 600 Meter Luftlinie vom echten Höhleneing­ang entfernt schmiegt sich bei Montignac die kühne Architektu­r des „Internatio­nalen Zentrums für Höhlenmale­rei“in die Landschaft. Dort befindet sich der Nachbau der Höhle.
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Fast ausschließ­lich Tiermotive sind an den „Höhlenwänd­en“zu sehen.

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