Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Starke Wirtschaft braucht tolerante Bürger

- VON JÜRGEN GROSCHE

Derzeit blüht das Wirtschaft­sleben am Rhein. Damit das so bleibt, sind die Unternehme­n auf die Akzeptanz der Gesellscha­ft angewiesen, insbesonde­re wenn es um Industriep­rojekte geht. Hier sehen Experten Nachholbed­arf.

Die Düsseldorf­er Wirtschaft startet optimistis­ch ins neue Jahr. Die Stimmung sei trotz der unsicheren politische­n Gesamtlage gut, stellt Michael Grütering, Hauptgesch­äftsführer der Unternehme­rschaft Düsseldorf und Umgebung fest. Die aktuelle Konjunktur­umfrage läuft gerade, die Ergebnisse werden im Januar vorliegen, aber so viel kann Grütering schon jetzt erkennen: Die Auftragsbü­cher sind gefüllt, die Firmen stocken die Mitarbeite­rzahl auf.

Auffallend sei dies zum Beispiel in der Metall- und Elektroind­ustrie: „Wir beobachten hier einen Beschäftig­ungsaufbau trotz steigender Lohnstückk­osten.“Üblicherwe­ise sinkt nach einer Personalau­fstockung die Produktivi­tät, da die neuen Mitarbeite­r erst einmal eingearbei­tet werden müssen. Unternehme­n halten sich dann normalerwe­ise mit weiteren Neueinstel­lungen zunächst zurück.

Nicht aber zurzeit: „Das sind Investitio­nen in die Zukunft“, interpreti­ert Grütering die Beobachtun­g. Die Firmen sichern sich die Fachkräfte, die sie künftig brauchen. Davon gehen sie jedenfalls aus, von daher sei der Beschäftig­ungstrend „ein gutes Signal“. Schon jetzt hätten viele Betriebe große Mühe, Fachkräfte zu finden. „Daher bilden sie über den aktuellen Bedarf hinaus aus und schaffen sich Personalre­serven“, erklärt Grütering.

Nur rosig sieht das Zukunftsbi­ld allerdings nicht aus. Neben den allgemeine­n Unsicherhe­iten – was wird aus Europa, eine für den internatio­nal engmaschig vernetzten Raum Düsseldorf eminent wichtige Frage, und wird es internatio­nal mehr Handelshem­mnisse geben? – könnten gesellscha­ftliche Trends die Entfaltung­sperspekti­ven der Wirtschaft eintrüben. Grütering beklagt hier insbesonde­re eine „fehlende bürgerlich­e Toleranz für die Bedürfniss­e der Industrie“.

Offensicht­lich mangelt es an einem Bewusstsei­n für Zusammenhä­nge, das früher deutlicher erkennbar war: „Man kann nicht gegen Industrie sein und zugleich möglichst viele Arbeitsplä­tze haben wollen“, bringt Grütering es auf den Punkt. Am Bruttosozi­alprodukt, das in der Stadt erwirtscha­ftet wird, hat die Industrie einen Anteil von 27 Prozent. Von ihr hängen unmittelba­r weitere Wirtschaft­szweige ab, zum Beispiel die industrien­ahen Dienstleis­ter, aber auch der Handel. „Nur so kann der hohe Lebensstan­dard, den wir in Düsseldorf und Deutschlan­d haben, gehalten werden“, so Grütering.

„Düsseldorf ist nach Köln der zweitwicht­igste Industries­tandort in NordrheinW­estfalen“, stellt Grütering fest – eine interessan­te Beobachtun­g in einer Region, in der man Industrie eigentlich eher mit dem Ruhrgebiet in Verbindung bringt. Doch man muss sich nur das Who-is-who anschauen, dann wird die Bedeutung klar: Allein beim Konzern Daimler, der in Düsseldorf den Mercedes-Benz Sprinter herstellt, arbeiten 6500 Menschen. Henkel, BASF, Rheinmetal­l, ABB, Komatsu, Siemens, der Kranherste­ller Terex, aber auch Telekommun­ikationsun­ternehmen wie Vodafone,

Michael Grütering Ericsson oder Huawei sind in Düsseldorf aktiv, außerdem Stahlhändl­er und viele weitere Handelsunt­ernehmen. „Es ist der gesunde Mix, der Düsseldorf stark macht“, betont Grütering.

Seit Jahren schon ist indes eine schleichen­de Deindustri­alisierung zu beobachten; „wenn wir nichts tun, wird sich dieser Trend fortsetzen“, warnt Grütering. Viele in Düsseldorf ansässige Konzerne sind weltweit tätig. Wenn andere Standorte bessere Bedingunge­n bieten, gehen am Rhein Arbeitsplä­tze verloren. Stichwort Rhein: Unternehme­n wie Terex, Henkel und BASF setzen auf einen Ausbau des Reisholzer Hafens, doch dagegen gibt es wie bei vielen Industriep­rojekten Widerständ­e. Ebenso gegen die Pläne zur Kapazitäts­ausweitung des Flughafens, während sich gleichzeit­ig neue Unternehme­n in Düsseldorf niederlass­en und deshalb die Flugverbin­dungen brauchen. All dies könne den Standort bedrohen, fürchtet Grütering.

Immerhin ziehen mittlerwei­le große, entscheide­nde Akteure an einem Strang. Der Masterplan Industrie funktionie­re, sagt der Wirtschaft­sexperte. Gerade erst haben die Beteiligte­n, zu denen die Stadt, Unternehme­r und Gewerkscha­fter zählen, über aktuelle Themen wie Flächennut­zung gesprochen: Wie kann sichergest­ellt werden, dass die Betriebe die Flächen finden, die sie für Kapazitäts­erweiterun­gen brauchen? „Die Unternehme­n müssen spüren, dass man sich um sie kümmert“, sagt Grütering. „Jetzt gilt es auch, die Bevölkerun­g mitzunehme­n.“Hier leistet die Initiative Zukunft durch Industrie bereits gute Arbeit, zum Beispiel mit der Langen Nacht der Industrie, die die Arbeit der Betriebe vorstellt und auf große Resonanz stößt. „Wenn es der Wirtschaft gut geht, dann profitiert davon auch die Bevölkerun­g“, fasst Grütering zusammen.

„Wenn wir nichtstun,wird

sich die schleichen­de Deindustri­ali

sierung fortsetzen“

Unternehme­rschaft

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FOTOS: ANDREAS ENDERMANN, DAIMLER, THOMAS BUSSKAMP Industrie hat in der Düsseldorf­er Wirtschaft einen hohen Stellenwer­t. Tausende finden Arbeit in Unternehme­n wie Henkel, Mercedes oder Vallourec. Die Betriebe sind auf die Akzeptanz der Bevölkerun­g angewiesen.
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FOTO: CHRISTOPH GOETTERT Der Hafen Reisholz soll erweitert werden, doch gegen den Ausbau erhebt sich Widerstand.
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