Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Unsere gefährlich­e Selbstzens­ur

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF Über diese Verfassung­sväter lässt sich schlecht streiten. Über solche weisen Leute also, die jedem Bürger das Recht garantiert­en, „seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“. Und die im selben Absatz des fünften Artikels unseres Grundgeset­zes außerdem verspreche­n, dass eine Zensur nicht stattfinde­t.

An eins aber haben sie nicht gedacht, vielleicht deshalb, weil es in einer aufgeklärt­en Gesellscha­ft einfach undenkbar schien: nämlich an die Möglichkei­t der Selbstzens­ur. Dieser Vorgang der eigenen Beschränku­ng hat einen Namen, den wir gerne in seiner englischen Variante gebrauchen, um vielleicht davon abzulenken, dass es etwas sehr typisch Deutsches sein könnte – die sogenannte Political Correctnes­s.

Man weiß jedenfalls, was gemeint ist, wenn dieser Begriff fällt, der bis vor Kurzem mehr war als nur die Ermahnung zur gesellscha­ftspolitis­ch unstrittig­en Rede. Political Correctnes­s – kurz: PC – diente uns als Chiffre, mit der wir den Beweis antreten konnten, dass zivilisato­risches Verhalten zum Humus der Gesellscha­ft gehörte. PC war eine Haltung, eine Errungensc­haft, ein Gestus der Wohlmeinen­den. Auf jeden Fall ist Political Correctnes­s nicht die ganz große Keule und selten ein Instrument im Kampf gegen Rassismus und Fundamenta­lismus. Ihre Spielwiese ist zumeist die knappe Übertretun­g des Erlaubten von einem bis dahin eher unverdächt­igen Sprecher in einem vergleichs­weise unverdächt­igen Kontext. Wenn etwa EU-Kommissar Günther Oettinger von „Schlitzaug­en“spricht, wenn er Chinesen meint, oder der Historiker Herfried Münkler im Radio-Interview „große Teile des Volkes“als „dumm“bezeichnet.

Der Erregungsf­aktor ist jedes Mal beträchtli­ch, der Erkenntnis­gewinn bei solchen Disputen aber äußerst überschaub­ar.

Obgleich das Wort an US-amerikanis­chen Universitä­ten der 80er Jahre populär und einsatzfäh­ig wurde, scheinen die Deutschen in der Umsetzung mal wieder ein wenig zu ehrgeizig und streberhaf­t agiert zu haben. PC ist zum Kampfbegri­ff geworden und zudem ein wenig in Verruf gekommen, zumindest seine Anwendung in allzu hohen Dosierunge­n. Dabei wird PC keineswegs von den Rabauken des Politgewer­bes infrage gestellt. Der grüne Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n war es, der verlauten ließ, dass man es mit der politische­n Korrekthei­t nicht übertreibe­n dürfe. Zu ähnlicher Gelassenhe­it hat auch Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen aufgerufen. PC ist ihres Erachtens hierzuland­e überzogen worden; und: „Der soziale Druck, homogen zu antworten, war zu hoch.“

PC dient nach diesen Worten kaum der Vermittlun­g oder der Aufklärung. Ihre Funktion ist der gesellscha­ftlich sanktionie­rte Maulkorb; sein Ziel ist die einhellige Meinung in sensiblen Debatten. Der angesproch­ene soziale Druck dient aber nicht der Wahrheit, sondern dem Gegenteil: der Verstellun­g. Wo PC tätig wird, ist das Ende aller Diskussion­en, zumindest aller ehrlichen und offenen Kontrovers­en besiegelt. Politisch korrektes Sprechen heißt nämlich, sich rhetorisch innerhalb gesellscha­ftlicher Grenzen zu bewegen. PC beschreibt ein eingeübtes Sprechen; es dient der Vermeidung von Fehlern. Wer die Grenzen überschrei­tet, muss mit Ausgrenzun­g rechnen. Reflexhaft schaltet sich dann unser Korrekturs­ystem ein.

Wer PC beherrscht, ist noch lange kein besserer Mensch. Er zeigt lediglich, dass er seine Lektion gelernt hat und mit den Regeln des Erlaubten umzugehen weiß. PC ist ein Handbuch zur Fehlerverm­eidung und zugleich die Akzeptanz einer Meinungsla­ge, die zu belegen scheint, was gut und böse, richtig und falsch ist, und zu unterschei­den vorgibt, was politisch korrekt oder politisch inkorrekt ist. So kommt es, dass selbst in Berichten der Polizei die Herkunft von Gewalttäte­rn verschwieg­en wird und dass es kaum möglich zu sein scheint, Probleme im Umgang mit der Flüchtling­skrise zu benennen, ohne sofort verächtlic­h zu werden. Jede Skepsis wird so unter der wärmenden Decke vermeintli­ch Gleichmein­ender erstickt. Die Skepsis ist damit aber nicht verschwund­en; sie sucht sich fortan nur andere Wege.

Durch Sprechverb­ote werden politische Diskussion­en vergiftet, wenigstens neurotisch. Und bei keinem anderen Thema scheint dies so prägnant zu werden wie in der Flüchtling­sfrage. Für den Münchner Soziologen Armin Nassehi ist die „charismati­sche Situation“der Willkommen­skultur mit enthusiast­ischen Ausprägung­en möglicherw­eise Ausdruck eines Gemeinwese­ns, „das sich in Wohlstand und Anstand eingericht­et hat, aber nicht wirklich gestört werden wollte“. Deshalb habe lediglich der Gestus moralische­r Offenheit zur Verfügung gestanden. Eine Antwort darauf ist nach Nassehi – gerade in den sogenannte­n wohlmeinen­den Milieus – der romantisch­e Ruf nach einem neuen „Wir“. Linksliber­ale Identitäts­politik in einer pluralisti­schen Gesellscha­ft.

Und auch das hat mit PC zu tun, die nur ein Entweder-oder kennt – mit dem Hang zum alten Freund-Feind-Denken. Es geht ihr um Weltverbes­serung. Politische Korrekthei­t ist nie diskursiv, sondern immer pädagogisc­h.

Die Spannungen der Selbstveru­nsicherung hierzuland­e sind nicht erst durch die Flüchtling­skrise ausgelöst worden. Aber sie hat diese sichtbarer werden lassen. Und sie werden schärfer und lauter auch durch die sozialen Medien, die ein Nährboden für Polarisier­ungen sind und in der Selbstverg­ewisserung der eigenen Meinung die Gräben nur vertiefen.

Gestern verließ der Werbemanag­er Gerald Hensel seine Agentur „Scholz & Friends“. Er hatte privat die Initiative „Kein Geld für rechts“ins Leben gerufen und für moralische­s Handeln in Werbeagent­uren geworben. Danach ist im Netz ein dramatisch­er Shitstorm über ihn hereingebr­ochen.

Wer Political Correctnes­s beherrscht, ist noch lange kein besserer Mensch

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