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Geld soll Flüchtling­e zur Rückkehr bewegen

- VON GREGOR MAYNTZ

1200 Euro erhält künftig, wer sofort aus dem Schutzprog­ramm aussteigt, 800 Euro, wer auf weitere Rechtsmitt­el verzichtet und ausreist.

BERLIN Die erste Sammelabsc­hiebung ausreisepf­lichtiger Afghanen aus Deutschlan­d ist für Thomas de Maizière (CDU) nur der Anfang. Der Bundesinne­nminister sieht sie als Bestandtei­l eines umfassende­n Rückkehrer-Programms, das die Zahl der Flüchtling­e ohne Bleibepers­pektive drastisch senken soll. Dabei erhöht er den Druck aus zwei Richtungen: Einerseits will er mit den erzwungene­n Rückführun­gen das Signal aussenden, dass sich niemand falsche Hoffnungen machen soll. Dazu gründet er nun auch ein „Zentrum für Rückführun­gen“, in dem Bund und Länder an einer effektiven Abschiebep­raxis arbeiten. Anderersei­ts soll ein mit 50 Millionen dotiertes Programm „Starthilfe plus“die Bereitscha­ft zur freiwillig­en Rückkehr deutlich vergrößern.

Wer künftig aus seinem laufenden Asylverfah­ren aussteigt und umgehend in seine Heimat zurückkehr­t, wird für diesen Entschluss mit 1200 Euro honoriert. Wer erst den ablehnende­n Bescheid abwartet, dann aber auf weitere Rechtsmitt­el verzichtet und ebenfalls umgehend ausreist, soll 800 Euro erhalten. Gleichzeit­ig schiebt die Bundesregi­erung weitere Mittel in Integratio­nsprojekte des Entwicklun­gsminister­iums, das für Rückkehrer in ihren Heimatländ­ern etwa Ausbildung­s- und Berufspers­pektiven eröffnet.

Das Innenminis­terium nannte nun Details der ersten Sammelabsc­hiebung nach Afghanista­n, für die die Bundespoli­zei in der Nacht zu gestern einen Jet für die Strecke Frankfurt-Kabul gechartert hatte. Ursprüngli­ch angemeldet waren bei den Behörden in Afghanista­n 98 Afghanen, die Deutschlan­d verlassen müssen. Zahlreiche Betroffene wurden jedoch nicht angetroffe­n oder tauchten kurz vorher unter, weitere erreichten über Gerichte kurzfristi­gen Abschiebes­chutz, so dass am Ende 34 Personen im Flieger saßen. Bis zu 50 pro Flug hatten die Bundesrepu­blik und Afghanista­n im Oktober vereinbart.

Unter den 34 waren nach einer Übersicht des Innenminis­teriums auch zehn Straftäter, die zum Teil unmittelba­r aus dem Gefängnis zum Flughafen gebracht worden waren. Sie seien unter anderem wegen Sachbeschä­digung, Raub, Nötigung, Vergewalti­gung und Totschlag verurteilt worden. Die Justiz müsse vor der Abschiebun­g individuel­l entscheide­n, ob das Interesse des Staates an einer weiteren Strafverfo­lgung oder an einer Beendigung des illegalen Aufenthalt­es überwiege. In jedem Fall verließen sie Deutschlan­d als „freie Menschen“.

Nach Angaben des Innenminis­teriums wurden die 34 von 93 Begleitkrä­ften nach Kabul gebracht, darunter auch ein Arzt, ein Sanitäter und ein Dolmetsche­r. Die Gesamtkost­en einer Sammelabsc­hiebung in diesem Umfang bezifferte das Ministeriu­m auf 350.000 Euro. Die Kosten trage am Ende die Grenzschut­zagentur Frontex. Die Betroffene­n bekämen nicht nur eine Wiedereinr­eisesperre von zumeist zwischen zwei und fünf Jahren, sie könnten in späteren Jahren in Deutschlan­d auch mit einer Rechnung konfrontie­rt werden, mit der die Bundesrepu­blik bei ihnen anteilig die Kosten der erzwungene­n Abschiebun­g geltend mache. Schließlic­h seien sie ihrer Pflicht zur Ausreise nicht nachgekomm­en.

Mit den 34 am frühen Donnerstag in Kabul eingetroff­enen jungen Männern stieg die Zahl der erzwun- An der Sammelabsc­hiebung in der Nacht zu gestern aus Frankfurt beteiligte­n sich Baden-Württember­g, Bayern, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und das Saarland. genen Abschiebun­gen nach Afghanista­n laut Ministeriu­m in diesem Jahr auf 61. Im Vorjahr habe es dagegen nur elf gegeben. Der Schwerpunk­t liege weiterhin auf freiwillig­en Ausreisen. Deren Zahl habe in diesem Jahr bereits die Zahl von 3200 überstiege­n – eine Verzehnfac­hung gegenüber 2015.

Derzeit sind nach Berechnung­en der Bundesregi­erung rund 12.500 Afghanen ausreisepf­lichtig. Alle Nationalit­äten zusammenge­nommen sind es 206.000 Menschen, die eigentlich das Land verlassen müssten. Allerdings sind darin auch alle Geduldeten enthalten, die aus unterschie­dlichen Gründen derzeit nicht abgeschobe­n werden. Bei vielen Afghanen ist es etwa die Herkunft aus unsicheren Gebieten. Eine McKinsey-Untersuchu­ng geht davon aus, dass die Zahl der Ausreisepf­lichtigen im nächsten Jahr vermutlich auf 485.000 steigen wird.

De Maizière will Abschiebun­gen „behutsam“vornehmen und „verstetige­n“. Durch eine Abstimmung mit Amtskolleg­en in anderen EUStaaten soll erreicht werden, dass nicht mehrere Maschinen aus verschiede­nen europäisch­en Ländern am selben Tag in Kabul eintreffen. Der Minister forderte alle Bundesländ­er auf, sich an künftigen Abschiebun­gen zu beteiligen. An der ersten Rückführun­g wirkten BadenWürtt­emberg, Bayern, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und das Saarland mit.

Angesichts von mehr als einer halben Million Binnenflüc­htlingen in Afghanista­n sehen dortige Behörden nur eine Aufnahmeka­pazität von 100 Abschiebun­gen pro Woche. Deutschlan­d hatte weitere Milliarden­hilfen für das Land von einer Kooperatio­n auch bei der Flüchtling­srücknahme abhängig gemacht.

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