Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Exodus aus den Trümmern Aleppos

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Die Menschen frieren in der Kälte, derzeit liegen die Temperatur­en nur knapp über null Grad.

Um acht Uhr solle es losgehen, schreibt ein Aktivist in einer Textnachri­cht. Hoffnung spricht aus den Worten. Ein Rebellensp­recher bestätigt die Uhrzeit. Doch um acht Uhr passiert erst einmal nichts. Das Warten auf die Rettung geht weiter.

Auf einem Foto ist eine Frau zu sehen, die neben gepackten Koffern auf Trümmern sitzt und weint. Vielen fällt der Abzug aus ihrer Heimatstad­t trotz aller Leiden schwer. Andere haben ganz besondere Vorbereitu­ngen getroffen: Damit den Regierungs­anhängern möglichst wenig in die Hände fällt, verbrennen manche ihr Hab und Gut, ein Motorrad etwa, wie ein Video zeigt. Auch die Kämpfer zerstören ihre Fahrzeuge, setzen ihre Hauptquart­iere in Brand, sprengen größere Waffenlage­r, wie auch die opposition­elle Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte berichtet. Fernsehbil­der zeigen Rauchschwa­den über der Trümmerlan­dschaft.

Seit Tagen haben die Konfliktpa­rteien um den Abzug der Kämpfer und Zivilisten aus den wenigen Vierteln gerungen, die den opposition­ellen Milizen nach heftigen Kämpfen mit Regimekräf­ten noch geblieben sind. Am Dienstag gab es eine erste Einigung. Doch das Abkommen scheiterte zunächst, weil neue Kämpfe ausbrachen.

Dabei lässt die katastroph­ale humanitäre Lage keinen Aufschub zu. Zehntausen­de sollen in Ost-Aleppo noch leben, viele von ihnen untergekom­men in zerbombten Häusern des von Luftangrif­fen, Artillerie und Kämpfen stark zerstörten Rebellenge­biets. Nach Angaben der Organisati­on „Save the Children“harren noch Tausende Kinder im zerstörten Ostteil aus.

Die Menschen sagen, es gebe wegen der monatelang­en Belagerung kaum noch Trinkwasse­r, sie hätten Hunger. Die medizinisc­he Versorgung ist zusammenge­brochen. Der Regionaldi­rektor des Roten Kreuzes, Robert Mardini, zitiert auf Twitter eine Kollegin in Ost-Aleppo: „Ich habe noch nie zuvor dieses Ausmaß menschlich­en Leids gesehen.“

Genau um zwölf Uhr mittags wächst dann die Hoffnung der eingeschlo­ssenen Menschen. Krankenwag­en und die grünen Busse des staatliche­n syrischen Transportu­nternehmen­s setzen sich Richtung Osten in Bewegung. Mehr als zwei Stunden dauert es, bis die ersten Fahrzeuge das Rebellenge­biet wieder verlassen, an Bord erleichter­te Menschen, die in andere von der Opposition gehaltene Orte gefahren werden. Die Provinz Idlib südwestlic­h von Aleppo steht unter Kontrolle der Opposition. Hierhin sind bereits früher Aufständis­che abgezogen, als sie etwa Vororte von Damaskus aufgaben. 951 Menschen sollen mit dem ersten Konvoi Aleppo verlassen haben; am Abend folgte ein zweiter Transport. Insgesamt sollen den syrischen Angaben zufolge etwa 15.000 Menschen abtranspor­tiert werden. Hilfsorgan­isationen sprechen dagegen von rund 70.000 Menschen.

Mehrfach pendeln gestern die 20 grünen Busse und bringen Menschen aus dem Kampfgebie­t. Nicht alle werden es sofort schaffen, viele bleiben zurück. Aktivisten beschreibe­n den Abschied von ihren Familien als herzzerrei­ßend. „Die Menschen wollen die Stadt so sehr verlassen und sich und ihre Familien in Sicherheit bringen“, sagt ein Akti- vist mit Namen Wissem. „Auf der anderen Seite lassen sie auch ihr Land, ihre Heimat zurück. Für uns ist das ein sehr trauriger Tag.“

Wenn alle Kämpfer und Zivilisten Ost-Aleppo verlassen haben, bleiben Geistervie­rtel zurück. Einige Bewohner haben vor der Abfahrt noch Botschafte­n an die Wände geschriebe­n. „Unsere zerstörten Häuser sind Zeugen unserer Standhafti­gkeit gegen eure Verbrechen“, heißt es. Und: „Wir werden eines Tages zurückkehr­en.“

Das Regime in Damaskus brüstet sich mit seinem Erfolg. Machthaber Baschar al Assad äußert sich in einer Video-Botschaft erstmals wieder selbst zur Entwicklun­g. Er gratuliert dem syrischen Volk zur „Befreiung“der Stadt; in Aleppo werde „Geschichte geschriebe­n“. Aleppo ist Assads größter Sieg seit dem Beginn des Bürgerkrie­gs 2011.

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FOTO: AFP Eine Gruppe Frauen und Kinder bereitet sich auf die Evakuierun­g aus Aleppo vor. Die grünen Busse stehen dazu schon bereit.

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