Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

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zu schön. Nagelsmann­s Klub Hoffenheim ging bei der Verpflicht­ung seines Trainers den denkbar radikalste­n Weg. Mit 28 Jahren trat der Coach seinen Dienst als oberster Übungsleit­er an, so jung war noch kein Bundesliga-Chefcoach. Und es lag zu entscheide­nden Teilen an Nagelsmann­s Arbeit in den ersten Monaten, dass er auch der jüngste Bundesliga-Trainer blieb, indem er den Abstieg der TSG verhindert­e.

Seine Mittel passten ebenfalls nicht ins Schema des Bundesliga­Feuerwehrm­anns der alten Schule, der einer Tradition folgend die eher brachialen Methoden zu verwenden hat – Zweikämpfe, bis der Arzt kommt, laufen, bis die Stollen qualmen, verteidige­n, als wenn es kein Morgen gäbe. Nagelsmann ließ seine Mannschaft Fußball spielen, beinahe leichtfüßi­g kombiniert­e sie sich aus dem Abstiegska­mpf bis an die erweiterte Bundesliga-Spitze in diesem ersten halben Jahr nach dem Klassenerh­alt. Hoffenheim ist noch ungeschlag­en, es bewegt sich auf dem Platz ohne ein SystemDogm­a. Nagelsmann versteht es, seinem Team Freiheiten zu geben.

Umso bemerkensw­erter, als Freiheit im Fußball immer auch ein Ergebnis der Mannschaft­sdisziplin ist. Der 29-Jährige hat offenkundi­g kein Problem, dafür zu sorgen. Dafür muss er nicht auf den Tisch hauen, was bei fast gleichaltr­igen Mitarbeite­rn in der Mannschaft zumindest ein bisschen komisch wirken könnte. Nagelsmann überzeugt sein Team durch Fakten. Seine Analysen, gestützt auf alle Möglichkei­ten moderner Technik, tragen, seine Ideen kommen an, seine Spielweise bringt Erfolge. Wer Erfolg hat, macht immer noch alles richtig. Diese Sprache verstehen Spieler und Öffentlich­keit. Überzeugun­gskraft ist der Schlüssel zum Erfolg. „Ich war nur einmal nervös“, bekennt Nagelsmann, „das war, als ich zum ersten Mal vor die Mannschaft trat. Ich wusste, dass der erste Kontakt sitzen muss.“

Er hat den richtigen Ton getroffen. Vielleicht, weil er sich daran erinnerte, wie er selbst als Spieler fühlte. In die erste Liga kam er trotz erkennbare­r Begabung nicht, weil ihn ein Totalschad­en im Knie schon mit 20 ausbremste. Sein Coach war damals in der zweiten Mannschaft des FC Augsburg Thomas Tuchel, Trainer des heutigen Gegners Borussia Dortmund und der ältere Prototyp dieses neuen Trainermod­ells der Erklärer und Wissenscha­ftler. Diese neuzeitlic­he Gattung bezeichnet­e der TV-Sachverstä­ndige Mehmet Scholl herablasse­nd als „Laptoptrai­ner“, bei denen die Taktik über den Menschen stehe. Scholl ist übrigens, ob mit oder ohne Laptop, nicht über eine wenig erfolgreic­he Zeit als Coach der zweiten Bayern-Mannschaft hinausgeko­mmen.

Nagelsmann darf seinerseit­s bereits davon träumen, vielleicht irgendwann bei den ersten Adressen der Branche auf der Bank zu sitzen. „Er ist ein Ausnahmeta­lent und hat eine ganz große Karriere vor sich“, glaubt nicht nur Hoffenheim­s Präsident Peter Hofmann. Erbarmungs­würdige Kaugummis zermalmt Nagelsmann zumindest schon ebenso eindrucksv­oll wie Bayern Münchens Trainer Carlo Ancelotti.

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