Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Als in Düsseldorf das Neue entstand

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Vor 20 Jahren erschien das Album „Weekend“von Kreidler. Die internatio­nal erfolgreic­he Platte lieferte den Klang einer neuen Zeit.

Im Jahr nach Erscheinen dieses Albums führte Max Dax ein Interview mit David Bowie. Der Musikjourn­alist brachte dem Popstar eine CDAusgabe von „Weekend“mit, weil er meinte, die Platte könnte Bowie gefallen. „Kreidler aus Düsseldorf“, sagte Dax. Kenne ich, entgegnete Bowie und hielt sogleich einen Vortrag über avantgardi­stische Musik aus Deutschlan­d, über Kraftwerk und all die anderen. Der Band Kreidler ließ Bowie später einen Gruß ausrichten: „Weekend“sei wirklich ganz toll.

David Bowie hatte ein Gespür für das Neue, und tatsächlic­h brachte Kreidlers Debütalbum „Weekend“vor 20 Jahren etwas Ungehörtes in die Welt. Das war Instrument­almusik, zu großen Teilen elektronis­ch. Bass und Schlagzeug sorgten für den Groove, dazu gab es Samples, und alles war logisch arrangiert, von geradezu japanisch anmutender Klarheit, dabei aber durchaus mit jazzigem Flair.

Kreidler bestand 1996 aus Thomas Klein (Schlagzeug), Andreas Reihse (Synthies), Detlef Weinrich (Sampler) und Stefan Schneider (Bass). Reihse, Klein und Schneider hatten vorher schon zusammenge­arbeitet und mit Musik und WortVorträ­gen experiment­iert. Für die 1994 gegründete Band Kreidler holten sie Weinrich dazu. Schneider, der in der Klasse von Fotokünstl­er Bernd Becher studierte, kannte ihn aus der Kunstakade­mie. Weinrich, Student bei der Bildhaueri­n Magdalena Jetelová, trat zunächst vor und nach Kreidler-Konzerten als DJ auf; er spielte zumeist Reggae und Jazz. Dann besorgte er sich Synthesize­r und Sampler und bereichert­e allmählich den Sound der Gruppe.

„Weekend“spielten sie in einem Tag in Berlin ein, das Mischen dauerte zwei Tage, danach war das Album fertig. „Wir wollten mit minimalem Input den maximalen Effekt erzielen“, sagt Thomas Klein. „Der Sound war nicht geplant, er ergab sich.“„Weekend“habe Kreidler jenes Selbstbewu­sstsein gegeben, das die Gruppe noch heute trägt. „Es gab enormen Zuspruch.“Man habe damals gewusst: „Es ist richtig, was wir tun.“

„Weekend“war zusammen mit „L’etat et moi“(1994) der Hamburger Band Blumfeld die meistbespr­ochene deutsche Platte jener Jahre. Für diese neuartige Musik interessie­rten sich unterschie­dliche Milieus. Kreidler trat im Vorprogram­m von HipHop-Künstlern ebenso auf wie mit Elektronik-Acts. „Wir standen auf der Bühne und dachten, wir machen genau die Musik, die die Leute jetzt hören wollen“, erinnert sich Stefan Schneider.

Kreidler hatten ihr Studio an der Niederrhei­nstraße in Lohausen, in der Nachbarsch­aft von Werbekünst­ler Charles Wilp. Auch Klaus Dinger, Schlagzeug­er der frühen Kraftwerk und Gründer von Neu! und La Düsseldorf, produziert­e in der Nähe. Auf ihre Verwandtsc­haft zu Neu! wurden Kreidler in England oft angesproch­en, allerdings kannte keiner der Musiker diese Band – wegen juristisch­er Streitigke­iten waren Neu!-Platten ja nicht verfügbar. Also besuchten sie Dinger. Er überspielt­e ihnen seine Alben auf Kassette.

„Es war eine Zeit, in der man die Sehnsucht nach neuen Bedingunge­n für die kulturelle Produktion spürte“, sagt Schneider. „An der Kunstakade­mie blickte man plötzlich verächtlic­h auf Leute, die noch vor der Staffelei standen. Das Lehrkonzep­t genügte nicht mehr, man organisier­te auf eigene Faust Vorträge über HipHop und Cultural Studies, weil es einem gerade notwendig und wichtig erschien.“Der Sound von Kreidler ist der Klang eines Aufbruchs, eines neuen Selbstvers­tändnisses. „Wir fühlten uns einem Diskurs zugehörig, einer kulturelle­n Bewegung, die es auch in Hamburg, Wien und London gab.“Gitarrenmu­sik war vorbei, nun ließen Leute wie Oval und Aphex Twin Ungeahntes hören, Genres wie HipHop und Drum & Bass wurden zum Soundtrack der Gegenwart.

„Weekend“jedenfalls klingt heute noch ungemein frisch. Und Thomas Klein erzählt, dass Kreidler gerade wieder im Studio waren, um ein Album unter den Bedingunge­n von damals aufzunehme­n: „Ein Take. Anderthalb Tage. Fertig.“

Es soll im April 2017 erscheinen.

 ?? FOTO: LABEL ?? Das Album-Cover zu „Weekend“(1996) von Kreidler hat Stefan Schneider gestaltet. Seine Fotografie zeigt einen Magnolienb­aum im Volksgarte­n.
FOTO: LABEL Das Album-Cover zu „Weekend“(1996) von Kreidler hat Stefan Schneider gestaltet. Seine Fotografie zeigt einen Magnolienb­aum im Volksgarte­n.

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