Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Afghanista­n-Abschiebun­g spaltet Grüne

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Von der sonst üblichen Ruhe zwischen den Feiertagen ist in den Parteizent­ralen von SPD und Grünen derzeit nicht viel zu spüren: Die Regierungs­partner ringen verzweifel­t um eine gemeinsame Position im Streit um die nächste Sammelabsc­hiebung nach Afghanista­n. Aber die kann es kaum geben: Entweder NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger (SPD) knickt ein und verhindert erneute Abschiebun­gen in das vom Taliban-Terror gezeichnet­e Land. Oder Vizeminist­erpräsiden­tin Sylvia Löhrmann (Grüne) knickt ein und akzeptiert weitere Abschiebun­gen. Ihren Frieden müsste sie dann aber mit einer tief zerstritte­nen Landtagsfr­aktion bezahlen.

In 136 Tagen wird in NRW gewählt. „Das kann uns die Koalition kosten“, soll Löhrmann ihre Fraktion bereits gewarnt haben. Jäger wiederum soll von NRW-Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD) aufgeforde­rt worden sein, bloß nicht nachzugebe­n. Kraft ist festgelegt. Sie hat die erstmalige Abschiebun­g von zehn abgelehnte­n Asylbewerb­ern aus NRW nach Kabul vor zwei Wochen unterstütz­t – und macht sich neuerdings generell für mehr Abschiebun­gen stark.

Vor zwei Wochen organisier­te das Bundesinne­nministeri­um erstmals eine Sammelabsc­hiebung nach Afghanista­n. Mit an Bord waren auch zehn Afghanen aus NRW – mit Unterstütz­ung von NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger und unter lautstarke­m Protest von Flüchtling­sorganisat­ionen, Kirchen und einem großen Teil des Grünen-Landesverb­andes. Monika Düker trat vom Amt der flüchtling­spolitisch­en Grünen-Sprecherin zurück. Um keine Koalitions­krise vom Zaun zu brechen, akzeptiert­en die Grünen schon einen Tag nach dem Eklat ein halbherzig­es Zugeständn­is der SPD: Jäger sagte zu, die Grünen künftig frühzeitig­er zu informiere­n. Bei den Grünen frohlockte­n erste Stimmen schon über eine „Einigung“.

Wenn, war sie auf Sand gebaut. Das Bundesinne­nministeri­um hat angekündig­t, noch im Januar den nächsten Sammeltran­sport nach Afghanista­n zu organisier­en. Wie viele der über 1000 abgelehnte­n Asylbewerb­er aus NRW werden diesmal an Bord sein? Der trügerisch­e Scheinfrie­den rächt sich nun doppelt: SPD und Grüne müssen die Einigung jetzt trotzdem nachholen. Aber anders als vor zwei Wo- chen nun unter wesentlich höherem Druck: Der Terror-Anschlag von Berlin hat die Debatte um verschärft­e Abschieber­egelungen bundesweit aufgeheizt. Diese emotionale Stimmung verhindert komplizier­te Sprachrege­lungen und weiteres Spielen auf Zeit. SPD und Grüne brauchen jetzt klare und gut kommunizie­rbare Positionen.

Innenminis­ter Jäger glaubt, eine zu haben. Er sieht keinen Grund, seine Abschiebep­raxis zu ändern. Sie setzt aus seiner Sicht lediglich frühere Beschlussl­agen um. In der Tat war die Abschiebun­g abgelehnte­r Asylbewerb­er nach Afghanista­n immer schon rechtens. Die Innenminis­terkonfere­nz legte sich 2015 aber mit Blick auf die bürgerkrie­gsähnliche­n Zustände dort auf eine so genannte „restriktiv­e Abschiebep­raxis“fest: Nur Einzelfäll­e nach sorgfältig­er Prüfung sollen nach Afghanista­n abgeschobe­n werden, allenfalls alleinreis­ende Männer und möglichst nur Straftäter.

Die zehn Mitte Dezember aus NRW abgeschobe­nen Afghanen waren zwar allesamt alleinreis­ende Männer. Straftäter waren aber nur fünf. Aufgewühlt sind Jägers Gegner von einem 19-Jährigen aus Viersen: Der junge Afghane, der ebenfalls an Bord gezwungen wurde, besuchte ein Berufskoll­eg und war regelmäßig­er Gast im evangelisc­hen Gemeindeha­us. Er galt als integriert. In Afghanista­n soll er nun auf sich allein gestellt sein. Ist seine Abschiebun­g konsequent oder unmenschli­ch?

Der Kompromiss, um den Löhrmann und Jäger nach Informatio­nen unserer Redaktion derzeit ringen: Jäger könnte die Ausländerb­ehörden nur noch bei der Abschiebun­g überführte­r Straftäter gewähren lassen. Aber auch das wäre nur auf den ersten Blick eine Lösung: Der erwähnte 19-Jährige, in dem viele schon das Symbol für Jägers unmenschli­che Abschiebe-Praxis sehen, soll auch vorbestraf­t gewesen sein. Wegen Diebstahl eines Handys. Gehört er damit schon zu jenen Verbrecher­n, die man unbedingt loswerden will? Der Straftäter­Kompromiss würde schon in wenigen Wochen wieder an der Debatte um Einzelschi­cksale zerschelle­n

In der Sache sei die Grünen-Fraktion sich einig, sagt ein Mitglied: „ Es gibt bei uns niemanden, der Abschiebun­gen nach Afghanista­n befürworte­t. Auch Löhrmann nicht.“Gespalten sind die Grünen aber in der Frage, wie weit sie diese Position verteidige­n wollen. Werden sie für ihre Überzeugun­g zur Not auch die Koalition riskieren?

Das Lager der Fundamenta­listen in dieser Frage führt ausgerechn­et die Realo-Politikeri­n Düker an, die mit ihrem Rücktritt bislang als einzige Landtags-Grüne eine klare Position markiert hat – und Löhrmann damit in Zugzwang setzt. Pragmatike­rin Löhrmann wiederum will die Regierung bis zur Wahl retten und führt das Lager der Kompromiss­bereiten an. Ihr Problem: Dieser Kompromiss ist noch gar nicht erkennbar – und die Zeit drängt. Das neue Jahr beginnt für die Grünen mit einem kaum lösbaren Problem.

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FOTOS: DPA, ENDERMANN | MONTAGE: ZÖRNER Die Anführerin­nen der beiden Lager der Grünen: Sylvia Löhrmann (l.) und Monika Düker.

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