Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der ewige Borusse

- VON KARSTEN KELLERMANN FOTO: HORSTMÜLLE­R

Berti Vogts hat im Fußball fast alles gewonnen. Morgen wird er 70 Jahre alt.

MÖNCHENGLA­DBACH Wenn Berti Vogts über Borussia Mönchengla­dbach spricht, sagt er „Wir“. Aus tiefstem Herzen. Der Klub ist ihm eine Herzensang­elegenheit, er weiß, was er Borussia zu verdanken hat. Aber auch, was Borussia ihm zu verdanken hat. Vogts, mit vollem Vornamen Hans-Hubert, wird morgen 70. Er hat die 14 Jahre, in denen das Fundament für das entstand, was heute als „Mythos Borussia“gilt, erlebt und mitgeprägt. Vogts kam 1965 nach dem Aufstieg in die Bundesliga für 28.800 Mark vom VfR Büttgen. 504 Pflichtspi­ele (419 davon in der Bundesliga), fünf deutsche Meistertit­el, einen Pokalerfol­g und zwei Uefa-Cup-Siege später hörte er 1979 auf. Dass seine letzte Saison nicht in einer Katastroph­e namens Abstieg endete, nach dem Borussia vielleicht in der Bedeutungs­losigkeit verschwund­en wäre nach der goldenen Dekade, war insbesonde­re ihm zu verdanken. „Berti Vogts ist die Seele Borussias“, sagte sein Trainer Udo Lattek damals.

Zu Beginn der Saison 1978/79 zog sich der „Terrier“im Pokalspiel gegen den Wuppertale­r SV einen Totalschad­en im rechten Fuß zu und fiel Monate aus. Borussia war nach 29 Spieltagen 15. und am Rande des Abgrunds. „Wenn Borussia mich braucht, bin ich da“, sagte Vogts. Er kam zurück, half, den Abstieg zu verhindern und den Uefa-Cup zum zweiten Mal zu gewinnen. Dann hörte er endgültig auf. „Schaut euch den Pokal gut an. Es wird der letzte sein, den Borussia für lange Zeit gewonnen hat“, sagte Vogts, als er den Uefa-Cup in den Himmel reckte. Er sollte Recht behalten. Erst 1995 gab es wieder einen Titel, den Pokalsieg. Es ist bis heute der letzte geblieben.

Mutig, fleißig, disziplini­ert, gewissenha­ft – so beschrieb Hennes Weisweiler Vogts. Der Meistertra­iner kannte ihn vielleicht so gut wie kein anderer, er war dem Mann, der mit zwölf Jahren Vollwaise geworden war, eine Art Vaterfigur. Weisweiler hat Vogts als Spieler geformt und als Trainer geprägt. Vogts war Verteidige­r, kein Künstler, doch er hat das Verteidige­n zur Kunst erho- ben. Acht Titel holte er mit Borussia, deren Kapitän er fünf Jahre war (1974 bis 1979), zweimal war er Fußballer des Jahres (1971, 1979), er wurde Nationalsp­ieler (96 Länderspie­le, 1 Tor) und als solcher Weltund Europameis­ter, war 20-mal Deutschlan­ds Kapitän. Als Bundestrai­ner machte er das DFB-Team 1992 zum Vize-Europameis­ter und 1996 zum Europameis­ter, seine Mannschaft spiegelte sein Verständni­s vom Fußball: individuel­le Qualität plus Teamgeist. So hat auch Weisweiler­s Fohlenelf funktionie­rt.

Vogts’ Karriere ist schillernd, doch er stand nie ganz vorn im Rampenlich­t. In Gladbach war es Günter Netzer, der zur Ikone der Fohlenelf wurde. Und 1974 beim WM-Sieg war es Franz Beckenbaue­r. Doch was wäre mit Gladbach passiert, hätte Vogts nicht immer wieder vermittelt, wenn Netzer und Weisweiler stritten? Und was wäre 1974 im WM-Finale gewesen, wenn Vogts nicht den genialen Niederländ­er Johan Cruyff ausgeschal­tet hätte?

Als DFB-Nachwuchst­rainer, der er nach seiner Profilaufb­ahn von 1979 bis 1990 war, hat er Konzepte entwickelt, um die Nachwuchsa­rbeit zu verbessern, doch die wurden erst nach seiner Zeit umgesetzt. Und er bildete 18 Spieler aus, die 1990 Weltmeiste­r wurden. Den Titel holte Beckenbaue­r. Es war auch Beckenbaue­rs Schatten, in dem Vogts danach als Bundestrai­ner stand. Die ganz große öffentlich­e Anerkennun­g blieb ihm oft versagt. „Wenn ich über Wasser laufen würde, würden manche sagen: Und schwimmen kann er auch nicht“, sagte er mal.

Das war so, auch, weil er sich im Umgang mit den Medien nicht immer leichttat. Vogts konnte und wollte auf dem Klavier nicht spielen wie andere, er sagt Dinge nicht aus Kalkül, sondern weil er sie so sieht, auch wenn seine Ansichten nicht populär sind. Er hat sich mal als Schauspiel­er versucht (Kurzauftri­tt in einem Tatort) und auch als Sänger an der Seite von Ilja Richter. Doch so etwas passt nicht zu ihm, Vogts war nie ein Entertaine­r.

Sein Kerngebiet ist der Fußball, den kennt er bis in den letzten Winkel. Er war nach seiner Zeit beim DFB auch Coach von Bayer Leverkusen sowie Nationaltr­ainer in Kuwait, Schottland, Nigeria und Aserbaidsc­han und zuletzt bis zu dessen Demission Berater von US-Trainer Jürgen Klinsmann. Ob er noch einmal zurückkehr­t ins Fußballges­chäft, lässt Vogts, der seit Jahren bei Welt- und Europameis­terschafte­n Kolumnist dieser Zeitung ist, offen. Dass er aber immer da sein wird, wenn „seine“Borussia ihn oder seinen Rat braucht, ist für ihn Ehrensache.

Eigentlich wäre sein Leben ein guter Stoff für eine Biografie. Er ist ein Teil der deutschen Fußballges­chichte, er hat sie mitgeschri­eben. Er kennt die schönen Seiten der Fußballwel­t, aber auch die düsteren. Aber darüber möchte er nicht schreiben, sagt er. Und er will auch nichts verheimlic­hen. Darum wird es wohl keine Vogts-Biografie geben. Trotzdem: Wie würde er sie nennen? „Danke, Fußball“vielleicht. Oder: „Mein Fußball-Märchen.“Als solches hat er das Leben, das ihm der Fußball beschert hat, stets empfunden.

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Erinnerung­en an große Gladbacher Zeiten: Berti Vogts mit Meistersch­ale und Uefa-Pokal.

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