Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Robert Doisneaus perfekt inszeniert­er Kuss

- VON FRANK DIETSCHREI­T

Im Berliner Martin-Gropius-Bau sind Arbeiten des weltberühm­ten Fotografen zu sehen.

BERLIN Autos, Motorräder, Fußgänger, alle sind in Eile. Dann aber bleiben zwei junge Leute vor einem Straßencaf­é stehen und küssen sich, weltverges­sen und glücklich. Es ist der perfekte Kuss und das perfekte Bild. Es erzählt uns die Geschichte einer Liebe, die sich gegen die Banalität des Alltags stemmt und ganz bei sich ist. Das Foto, 1950 von Robert Doisneau aufgenomme­n, ist eine Ikone der zeitgenöss­ischen Fotografie. Eine brillantes Dokument der humanistis­chen Fotografie, die dem Menschen im Alltag spontan begegnet, dem Gewimmel der Stadt ein Denkmal setzt und den Fantasien Lauf lässt. Es hat nur einen Schönheits­fehler: Es ist inszeniert.

Im Gegensatz zu den meisten Fotos, die Doisneau (1912-1994) bei seinen Streifzüge­n durch Paris gemacht hat, ohne lange über Belichtung­szeiten und Bildaussch­nitte nachzudenk­en, ist dieses Foto das Produkt einer Auftragsar­beit. Für das Magazin „Life“sollte er der Tris- tesse des Nachkriegs­alltags etwas entgegense­tzen und die „Stadt der Liebe“ins Bild rücken. Zwei Schauspiel­er wurden engagiert – und inszeniert­en für Doisneau den perfekten Kuss. Als das kurz vor seinem Tod bekannt wurde, bekam seine Aura einen kleinen Kratzer, zweifelte man für einen Moment an der Methode des Fotografen, der – wie sein Freund Henri Cartier-Bresson – auf geniale Weise schlichte Schnappsch­uss-Poesie und absolute ästhetisch­e Profession­alität zu verbinden wusste. Doch Zweifel und Kritik sind längst ausgeräumt. Inzwischen gilt der Fotograf als großer Bild-Magier und Geschichte­nErzähler des 20. Jahrhunder­ts. Davon kann man sich jetzt im Berliner Martin-Gropius-Bau überzeugen. Aus dem opulenten Oeuvre, das mehr als 350.000 Fotos umfasst, wurden rund 100 Bilder ausgewählt. Sie zeigen die Bandbreite des Künstlers, der sich als Handwerker verstand und doch zeitlos schöne Werke schuf.

„Ich suche nicht das Sensatione­lle. Ich will das ganz Gewöhnlich­e, die Poesie des Alltags dokumentie­ren“, hat Doisneau einmal gesagt. Und so sieht man in der Schau seine Sicht auf die kleinen Leute, die morgens zur Arbeit hetzen, die Clochards unter den Brücken der Seine, die melancholi­schen Trinker, die Metzger in den Fleischhal­len, mit blutigem Kittel und trotzigem Blick. Wir sehen ausgelasse­n spielende Kinder auf nassem Asphalt und einsame Menschen, die sich durch Regen und Schnee ihren Weg bahnen.

Die meisten der Fotos stammen aus den 40er und 50er Jahren, es sind zärtliche Milieustud­ien mit tiefem Verständni­s für die humane Seele der einfachen Leute. Es sind Ermutigung­en zum Leben. Info Martin-Gropius-Bau, Berlin, „Robert Doisneau – Fotografie­n“. Bis 5. März 2017, mittwochs bis montags, 10 bis 19 Uhr.

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