Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Spionage wird zur Heimarbeit

- VON GODEHARD UHLEMANN

DÜSSELDORF Die Welt verliert viel von ihrem Zauber. Schleier werden gelüftet, Geheimniss­e schonungsl­os und von den Betroffene­n in der Regel ungewollt ans Licht der Öffentlich­keit gezerrt. Persönlich­e Daten werden dazu gesammelt, und wirtschaft­lich und politisch Brisantes wird gehortet. Dann wird es „genutzt“, um eigene Interessen zu verfolgen und Vorteile auszunutze­n. Früher nannte man das altmodisch Spionage, wenn Menschen andere Menschen ausleuchte­ten, wenn Spione Daten und Vorgänge sammelten, um dem Auftraggeb­er einen unrechtmäß­igen Vorteil zu verschaffe­n. „Wissen ist Macht“, sagte schon der englische Philosoph Francis Bacon im 16. Jahrhunder­t. Doch der ging noch davon aus, dass man in mühevoller Kleinarbei­t und mit viel Selbstdisz­iplin sein eigenes Wissen um die Welt gemehrt hatte. Heute nennt man das Handwerk Cyber-Kriminalit­ät. Früher ging der Spion ein persönlich­es Risiko ein, enttarnt und gestellt zu werden. Heute lässt sich das unsaubere Geschäft nicht selten als Heimarbeit betreiben. Die USA und Russland sind ein Beispiel dafür.

Wladimir Putin gab sich gestern großmütig. Er will auf den Rausschmis­s von 35 russischen Diplomaten aus den USA nicht mit einer sonst üblichen Retourkuts­che reagieren und reihenweis­e US-Bürger als unerwünsch­te Personen vor die Tür setzen. „Wir werden niemanden ausweisen und keine Probleme für US-Diplomaten in Russland schaffen“, sagte er gestern in Moskau. „Ich lade alle Kinder der in Russland akkreditie­rten Diplomaten zu einem Neujahrs- und Weihnachts­fest in den Kreml ein“, ließ Putin sanftmütig die Welt wissen. Doch damit dürfte die Angelegenh­eit nicht bereinigt sein. Putin bezeichnet­e Obamas Schritte als Provokatio­n. Russland behalte sich das Recht auf Gegenmaßna­hmen vor. Die weiteren Schritte hingen von der neuen US-Re- gierung unter Donald Trump ab. Zugleich gratuliert­e Putin Obama und Trump zum Neujahrs- und Weihnachts­fest.

US-Präsident Barack Obama hatte drei Wochen vor seinem Auszug aus dem Weißen Haus die Diplomaten mit der Begründung des Landes verwiesen, Russland habe während des US-Wahlkampfe­s mit Hackerangr­iffen auf die Demokraten Einfluss auf das Wahlergebn­is genommen. Mit Cyber-Attacken und dem Diebstahl elektronis­cher Daten der Demokratis­chen Partei habe der Kreml dem späteren Wahlsieger Donald Trump geholfen. Der Kreml hatte dies immer entrüstet zurückgewi­esen. Ob die USA nun ihrerseits mit Cyber-Gegenangri­ffen reagieren werden, ist offen. Täten sie es, wäre das wohl ein Rückfall in die Zeiten des Kalten

Wladimir Putin Krieges.

Donald Trump erklärte, er wolle in der kommenden Woche mit den Geheimdien­sten sprechen, um mehr über die Affäre in Erfahrung zu bringen. Er hatte stets daran gezweifelt, dass die Ausspähmaß­nahmen von Moskau initiiert worden seien. Trump gerät nun unter Druck, denn die Entscheidu­ng Obamas bindet auch ihn. Zwar kann er die Sanktionen nach Amtsantrit­t widerrufen, doch in seiner eigenen Partei trifft er auf massiven Widerstand. Der Vorsitzend­e des Repräsenta­ntenhauses, der Republikan­er Paul Ryan, sprang Obama bei und sagte, ein Vorgehen gegen Russland sei längst überfällig gewesen. Auch die Parteigeno­ssen John McCain und Lindsey Graham gaben sich kämpferisc­h. Sie meinten, der neue Kongress könne noch strengere Sanktionen gegen Moskau veranlasse­n.

Doch die Cyber-Affäre zwischen Washington und Moskau wirft ein grelles Licht auf die neue Qualität weltweiter Spionage. Zeiten, in denen Spione mit hochgeschl­agenem Mantelkrag­en in abgelegene­n Parks Mittelsmän­ner oder auch -frauen trafen, sind vorbei. Das konspirati­ve nos- talgische Verhalten mag es vereinzelt noch geben. Heute brauchen Spione dank der Digitalisi­erung und der Verbundenh­eit von Behörden, Instituten und Unternehme­n gar nicht mehr vor die Tür zu gehen. Modernste Elektronik und qualifizie­rte Hacker machen Spionage global möglich. Auch Kanzlerin Angela Merkel wurde ausgespäht, über ihr Handy und vom Freund Amerika.

Die Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa erklärte vor wenigen Tagen, sie wisse seit Anfang November, dass sich Cyberkrimi­nelle Zugang zu ihren Systemen verschafft hätten. Westliche Geheimdien­ste orteten die Gruppe APT28 als Täter. Es ist die gleiche Gruppierun­g, die auch die Demokraten im US-Wahlkampf ausgespäht haben soll. Die EU und die Nato haben sich jüngst darauf verständig­t, Cyber-Attacken gemeinsam zu bekämpfen. Um die Cybersiche­rheit zu stärken, sollen im kommenden Jahr Trainingsk­urse und gemeinsame Cyber-Übungen abgehalten werden. Außerdem soll ein Zentrum gegen „hybride Bedrohunge­n“eingericht­et werden.

Die IT-Sicherheit­sfirma Crowdstrik­e mit Sitz in Kalifornie­n erklärte, es handle sich bei APT28 um ein Kollektiv, das im Auftrag des russischen Geheimdien­stes FSB agiere. APT29 werde vom russischen Militärnac­hrichtendi­enst GRU genutzt.

Und Deutschlan­d? Leben wir auf einer Insel der Seligen, die von all dem kaum berührt wird? Wohl kaum. Es gab Hackerangr­iffe auf den deutschen Bundestag wie auch auf Ministerie­n. Deutsche Sicherheit­sbehörden hatten auch russische Hacker in Verdacht. TelekomAnl­agen fielen aus, und in Deutschlan­d steht eine Reihe von Wahlen an. Im Herbst dann die Bundestags­wahl. Wirkungsvo­ller Schutz gegen solche CyberAttac­ken ist schwierig und vor allem kostspieli­g. Experten müssen geschult, und die Hardware muss ständig modernisie­rt werden. Viele Unternehme­n, Behörden und Forschungs­institute scheuen die Kosten. Wer aber nicht will, dass man ihm in die Wohnung schaut, der muss sich zur Not auch teure Vorhänge leisten.

„Ich lade alle Kinder der Diplomaten zu einem Neujahrsfe­st in

den Kreml ein“

Russischer Präsident

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Foto: dpa

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