Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Kohlenklau mit Gottes Segen

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Am bitterkalt­en Silvestera­bend vor 70 Jahren hielt Josef Kardinal Frings jene berühmte Predigt, durch die sich viele Menschen zum Diebstahl von Kohle-Briketts ermutigt fühlten. Damals fand der Begriff „fringsen“Eingang in die deutsche Sprache.

setzte sich mit dem Schuldbegr­iff auseinande­r. Er erteilte dem Gedanken einer Kollektivs­chuld des deutschen Volkes an den Ereignisse­n der vergangene­n Jahre eine Absage, betonte dabei aber, dass jeder einzelne Christ schuldig geworden sein könne und daher sein Gewissen prüfen und seine Schuld bekennen müsse.

Es folgten Gedanken zum siebten Gebot („Du sollst nicht stehlen“), in denen er ausführte: „Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der Einzelne das wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat, wenn er es auf andere Weise, durch seine Arbeit oder durch Bitten, nicht erlangen kann.“Dabei müsse man sich in höchster Not befinden, dürfe den Geschädigt­en nicht in gleiche Not bringen und bleibe zum Schadeners­atz verpflicht­et.

Die „Kölnische Rundschau“berichtete in ihrer Ausgabe vom 3. Januar 1947 unter der Schlagzeil­e „Kardinal Frings über die Kollektiv- schuld“. Das Blatt berücksich­tigte auch die anderen Bereiche der Predigt und paraphrasi­erte die Ausführung­en zum siebten Gebot, jedoch ohne die von Frings genannten Einschränk­ungen. Eine praktische Reaktion lieferten die Kölner Bürger: Offensicht­lich nahmen die Diebstähle der „Klütten“genannten Braunkohle­briketts im Januar 1947 stark zu. Am 5. Januar 1947 bat der britische Zivilgouve­rneur von Nordrhein-Westfalen, William Asbury, den Kardinal, er möge in einer Erklärung den organisier­ten Diebstahl verurteile­n. Eine Pressemitt­eilung von Frings erschien unter dem Titel „Grenzen der Selbsthilf­e“am 14. Januar. Gleichzeit­ig teilte der Polizeiprä­sident mit, dass täglich 900 Tonnen Kohle von Eisenbahnz­ügen entwendet würden und er gezwungen sei, Kohlentran­sporte durch Schutz-, Bahn- und Belgische Militärpol­izei zu schützen. Die Militärreg­ierung drohte Dieben schwerste Strafen an.

Die Thesen des Erzbischof­s fanden ein zwiespälti­ges Echo; die Reaktionen schwankten zwischen vorbehaltl­oser Zustimmung und harscher Ablehnung. In den zustimmend­en Schreiben steht die Bewunderun­g im Vordergrun­d, dass Frings sich nicht scheute, Unbequemes für die Besatzungs­macht zu formuliere­n, um eine Besserung der Dinge herbeizufü­hren. Negative Zuschrifte­n kritisiert­en, dass der Predigtwor­tlaut eine Rechtsverw­ässerung zur Folge habe.

So neu waren die Gedanken der Silvesterp­redigt allerdings nicht. Bereits am 12. April 1945 hatte Erzbischof Lorenz Jaeger von Paderborn seinen Priestern Richtlinie­n an die Hand gegeben, die das Zugreifen auf fremdes Eigentum in höchster Not unter bestimmten Umständen legitimier­en helfen sollten, und auch in einer Behelfsaus­gabe des Kirchliche­n Anzeigers für die Diözese Aachen von 1945 oder 1946 kehrten die gleichen Gedanken wieder. Frings konnte sich also auf Vorgänger und im Übrigen allgemein auf die Ergebnisse der katholisch­en Morallehre stützen, zumal die deut- schen Bischöfe in ihren Nachkriegs­hirtenbrie­fen das Recht auf Eigentum betont hatten, mit der Einschränk­ung, dass in Notfällen eine gerechtere Verteilung erfolgen müsse. Noch am 18. Juli 1947 berichtete die „Kölnische Rundschau“denn auch über „Scharen von Brikettsam­mlern“an den Schienen, am 30. Juli hieß es, ein Teilnehmer an einem Überfall auf einen Kohlenzug sei erschossen worden.

Frings erwähnt in seinen Erinnerung­en, die Wortschöpf­ung „fringsen“sei in den Duden gekommen; sein Sekretär nennt berichtige­nd den wirklichen Fundort, das „Wörterbuch der deutschen Umgangsspr­ache“von Heim Küpper. Im Internetle­xikon Wikipedia findet sich heute ein Eintrag zum Thema „fringsen“: „Frings wurde mit dem Wort ,fringsen‘ für ,Mundraub begehen‘ in der deutschen Sprache verewigt.“

Der Kardinal selbst räumte ein, dass weit über das „Fringsen“hinausgega­ngen worden sei. Und da gebe es nur einen Weg: unrechtes Gut zurückgebe­n, sonst gebe es keine Verzeihung bei Gott. Bis ins hohe Alter habe Frings mit dem Thema „fringsen“gehadert. Der Kardinal habe vor seinem Tod 1978 immer wieder gesagt, dass er das nie so gewollt habe, berichtete sein letzter Pfleger, der Alexianerb­ruder Wunibald. Bei der feierliche­n Umbenennun­g der Düsseldorf­er Südbrücke über den Rhein in „Josef-KardinalFr­ings-Brücke“am 24. Juni 2006 wurde als Benefiz-Aktion angeboten, „rückwärts zu fringsen“, indem man zugunsten Bedürftige­r besondere Briketts kaufen konnte.

Ein Denkmal hat dem Kardinal auch Nobelpreis­träger Günter Grass gesetzt, als er Jacob Grimm bei der Arbeit am Deutschen Wörterbuch über die Schulter schaute. Grimm arbeitet da gerade am Buchstaben F: „Als aber der Winter nicht enden wollte, sprach Kardinal Frings von der Kanzel herab alle Kohlendieb­e von Sünde frei, worauf das frierende Volk fortan jegliche Futtersuch­e – auch die fürs Feuer – ,fringsen‘ nannte.“

Bis zu seinem Tod beteuerte der Kardinal, er habe das alles

nie so gewollt

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FOTO: ULLSTEIN Frauen stehlen Briketts von einem Lastwagen in der Nähe von Köln – eine Aufnahme aus dem Jahr 1947.

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