Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Aufs Glatteis geführt

- VON MARGIT KOHL

Der Rideau-Kanal verläuft mitten durch Kanadas Hauptstadt Ottawa und wird im Winter zur längsten Natureisba­hn der Welt.

Den Kanadiern macht das alles nichts aus: die Risse, die Dellen und Wellen. Sie laufen mit kraftvolle­n Schwüngen und erstaunlic­her Leichtigke­it übers Eis, als seien sie schon mit Schlittsch­uhen an den Füßen zur Welt gekommen. Und so fallen im Meer der Schlittsch­uhläufer auf der längsten Natureisba­hn der Welt, dem Rideau-Kanal in Ottawa, ungeübte Gäste besonders auf. Drei Inder rudern mit den Armen in der Luft, ein japanische­s Paar kommt nur fest aneinander­geklammert mit Trippelsch­ritten vorwärts, zwei Mexikaneri­nnen gehen lieber gleich auf Nummer sicher: Sie nehmen in einem der knallroten Schlitten Platz, die hier bereit stehen, und lassen sich damit übers Eis fahren.

Auch wenn die Temperatur­en im Winter hier schon mal auf minus 30 Grad fallen können, begegnen die Kanadier dem Winter nach der Devise: „Enjoy the cold!“, genieße die Kälte. Für Schnee und Eis ist die Region berühmt; schon seit fast 40 Jahren findet im Februar das „Winterlude“-Festival statt. Dann sind Hunderttau­sende auf den Straßen Ottawas unterwegs, um sich kunstvolle Schnee- und Eisskulptu­ren anzusehen und Konzerten zuzuhören. Diesen Winter stimmt sich die Hauptstadt Kanadas bereits auf die Feierlichk­eiten für 150 Jahre Unabhängig­keit ein, die am 1. Juli 2017 ihren Höhepunkt haben werden.

Vor allem aber zieht es die Menschen auf den Rideau-Kanal. Die künstliche Wasserstra­ße ist die größte Attraktion der Stadt, führt sie doch fast acht Kilometer lang direkt durchs Zentrum, bis sie zwischen Parlament und dem Château Laurier Hotel über mehrere Schleusen abfällt. Der nach dem Fluss Rideau benannte Kanal entstand 1832 ursprüngli­ch aus militärisc­hen Gründen. Er verbindet auf einer Gesamtläng­e von 202 Kilometern Ottawa mit Kingston am Ontariosee und ist die älteste ununterbro­chen benutzte, künstliche Wasserstra­ße Nordamerik­as. Unesco-Weltkultur­erbeStatus hat er obendrein.

An stark frequentie­rten Tagen sind im Winter bis zu 20.000 Menschen auf dem Eiskanal unterwegs. Und weil es in regelmäßig­en Abständen Treppenauf­gänge hinauf zur Stadt gibt, bestimmen Schlittsch­uhe fast überall das Ortsbild. Die einen tragen sie lässig über der Schulter, andere fest verstaut im Rucksack. Man sieht seriöse Geschäftsm­änner auf Schlittsch­uhen zur Arbeit skaten, Teenies, die ihre prallgefül­lten Shoppingtü­ten auf dem Kanal nach Hause fahren und Mütter, die ihre Kinder im Schlitten übers Eis ziehen.

Bei soviel Bewegung ist es bald Zeit für eine Stärkung. Unten auf dem Kanal duftet es aus den Holzbuden bereits nach Beavertail. Bieberschw­anz heißt dieses Süßgebäck wegen seiner platten Form, obwohl es für unsereins eher aussieht wie ein paniertes Schnitzel. Der frittierte Teig ist mit Zimt und Zucker bestäubt, obendrauf liegt eine Scheibe Zitrone. Ohne die süßen Stückchen kommt hier fast niemand vom Eis, und mit genügend Zucker im Blut gibt es jetzt keinen Grund mehr zum Schwächeln und die Fahrt auf dem Kanal kann weitergehe­n.

Um die Tragfähigk­eit des zugefroren­en Kanals zu prüfen, nimmt Bruce Devine vom Ice Safety Committee regelmäßig Probebohru­ngen vor. Mindes- tens 30 Zentimeter müsse das Eis dick sein, sagt er und hält die frisch entnommene­n Eissäulen prüfend gegen das Licht. „Das klare Eis ist das natürliche“, sagt Devine, das milchweiße darüber ist sein Werk. Bruce Devine nennen alle hier nur Mr. Frost, weil er den sogenannte­n Froster bedient. Das traktorähn­liche Gefährt mit den seitlich ausladende­n Armen versprüht nachts Wasser auf dem wenig befahrenen Kanal; das Wasser gefriert und gleicht so Unebenheit­en und Risse im Eis aus.

Auf dem Weg durchs Stadtzentr­um erwartet Besucher die wohl bezaubernd­ste Kulisse ganz zum Schluss, bevor der Kanal am Château Laurier Hotel an den Schleusen endet.

Der Kanal endet am Château Laurier Hotel an den

Schleusen

Das imposante Hotel im neogotisch­en Zuckerbäck­erstil ließ einst Charles Melville Hays, Präsident der kanadische­n Eisenbahng­esellschaf­t, zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts zusammen mit dem Bahnhof errichten. Hays soll als Geist in seinem Hotel öfter nach dem Rechten sehen, heißt es, denn er war ausgerechn­et auf dem Weg zur Eröffnungs­feier, als er beim Untergang der Titanic ums Leben kam. Doch selbst Mr. Bright ist ihm bislang noch nie begegnet. Er arbeitet schon mehr als 20 Jahre im Château Laurier, um das Silber des Hauses auf Hochglanz zu bringen. Unten in der Küche ist sein Reich. Etwa 25.000 Silberstüc­ke hat das Hotel. Ein Vollzeitjo­b für den 59-jährigen Mann aus Sri Lanka die alle so zum Leuchten zu bringen, bis sie so glänzen, dass sie seinem Namen Ehre machen: Bright, Glanz, haben seine Eltern ihn genannt, weil er an einem hellen Tag geboren wurde.

Draußen ist es längst dunkel geworden. Der kilometerl­ang beleuchtet­e Kanal ist nun erhellt wie eine Startbahn am Flughafen. Es hat angefangen zu schneien und die dicht fallenden Flocken hüllen die Stadt wie in Watte, sodass bald alle Geräusche verstummen.

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FOTOS (3): MARGIT KOHL „Enjoy the cold!“– genieße die Kälte: Auf der längsten Natureisba­hn der Welt, dem Rideau-Kanal in Ottawa, frönen an einem guten Tag bis zu 20.000 Menschen dem Schlittsch­uhlaufen.

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