Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der Pfeifer von Chipude

- VON UTE MÜLLER

La Gomera ist berühmt für ihren Nationalpa­rk Garajonay mit seinem immergrüne­n Lorbeerwal­d und die einheimisc­he Pfeifsprac­he Silbo. Beide haben es auf die Unesco-Welterbeli­ste geschafft – und beide sind bedroht.

Isidro Ortiz freut sich, wenn Besucher den Weg zu ihm finden. Der 85-Jährige lebt alleine mit seinen Katzen in Chipude, einem hoch gelegenen Dorf auf der kleinen, zerklüftet­en Kanarenins­el La Gomera. Heute gibt es nur noch 200 Menschen hier, vor zehn Jahren waren es noch dreimal so viel. Die meisten sind in die Inselhaupt­stadt San Sebastián gezogen oder haben auf der größeren Nachbarins­el Teneriffa Arbeit gefunden.

Dabei war Chipude, beherrscht von der markanten Kulisse des schroff aufragende­n Berges La Fortaleza, einst einer der größten Orte von Gomera. Der 1243 Meter hohe Tafelberg mit seinem weitläufig­en Gipfelplat­eau diente einst als Opferstätt­e der Ureinwohne­r, den Guanchen. Der Blick von Isidros Haus ins Tal ist atemberaub­end.

„Früher hüteten wir Ziegen und betrieben Ackerbau, doch jetzt bestimmt der Tourismus unser Leben“, sagt Isidro. Der Mann ist eine Berühmthei­t weit über die Insel hinaus. Er hat den Silbo gomero, die einheimisc­he Pfeifsprac­he, wiederbele­bt, als sie vom Aussterben bedroht war und es geschafft, dass sie im Jahr 2009 in die Liste des immateriel­len Weltkultur­erbes aufgenomme­n wurde. „Wir Schafhirte­n waren in den Schluchten verstreut und unterhielt­en uns über weite Distanzen hinweg mittels der Pfeifsprac­he“, erzählt Isidro. Er demonstrie­rt seine Fertigkeit, indem er den Zeigefinge­r der linken Hand quer in den Mund legt und eine schnelle Sequenz von Lauten erzeugt, deren Klang er mit der anderen Hand reguliert. Danach übersetzt er den soeben gepfiffene­n Satz: „Mir ist die schwarze Ziege abhanden gekommen, hast du sie gesehen?“

Die gewundene Straße von Chipude zum Nationalpa­rk zeigt eine weitere Bedrohung des reichen Inselerbes. Noch immer ragen die verkohlten Äste des Fayalbreza­l-Waldes, einer Mischung aus Gagelbaum (faya) und Baumheide (brezo) in den Himmel. Dieser Waldtyp ist typisch für die höheren Lagen von Garajonay. Brandstift­er, die bis heute nie gefasst wurden, sorgten im August 2012 dafür, dass zehn Prozent des Parks abbrannten, immerhin wachsen jetzt kleine Pflanzen am Boden nach. „Das dauert noch Jahre, bis die groß sind“, sagt Waldhüter José Aguilar.

Glückliche­rweise kam der wertvolle Wald im Norden des Reservats, wo die Feuchtigke­it in den Baumkronen gebunden ist, unbeschädi­gt davon. Der üppige immergrüne Lorbeerwal­d, der am besten in Höhenlagen zwischen 500 und 1200 Metern gedeiht, nimmt den Nebelniede­rschlag der Passatwind­e in sich auf. „Die Bäume melken die Wolken regelrecht ab“, erklärt Aguilar. Er führt Wandergrup­pen gerne durch den als „die grüne Kuppel“bekannten Wanderweg im Hochtal von El Cedro im nördlichen Teil des Parks. Hier stürzt auch der Chorro del Cedro, der wichtigste Wasserfall auf den Kanarische­n Inseln in die Tiefe.

Heute hängen die Wolken tief, bald dürfte es zu regnen anfangen. „Willkommen in meinem Nebelhaus“, sagt José und lacht. Tatsächlic­h fühlt man sich im Dickicht seltsam beschützt. Die knorrigen, moosbewach­senen Äste, an denen zottelige Flechten baumeln und die zum Teil mannshohen Farne bringen die Fantasie in Schwung. Man würde sich nicht wundern, wenn plötzlich ein Fabelwesen zwischen den Bäumen auftauchte.

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FOTO: FREMDENVER­KEHRSAMT LA GOMERA Der Name des Waldes setzt sich zusammen aus den Begriffen faya (Gagelbaum) und brezo (Baumheide).
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FOTO: UTE MÜLLER Isidro Ortiz hat die Pfeifsprac­he wiederbele­bt.

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