Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Literatur braucht einen festen Platz in der Heine-Stadt

- VON SELINDE BÖHM

Literatur sollte nicht Luxus, sondern Pflichtpro­gramm sein, findet Buchhändle­rin Selinde Böhm.

Auf die Frage „Welche Kultur braucht Düsseldorf?“hat Christoph Meyer in dieser Zeitung eine erhellende Antwort gegeben: „Kultur ist kein Luxus.“Meyer entlarvt mit dieser These die eigentlich­e Fragestell­ung hinter der städtische­rseits gestellten Frage, die letztlich nicht auf die Art und Weise – also auf das „Wie“– kulturelle­r Aktivität zielt, sondern auf das „Wozu“. Das heißt, Kultur wird in ihrer Bedeutsamk­eit überhaupt zur Dispositio­n gestellt, indem sie gleichsam als etwas Luxuriöses und nicht etwa als existenzie­ll für die Gesellscha­ft gesehen wird. Als etwas, das man sich leistet – oder eben nicht.

Der von der Ampel-Regierung 2015 in Auftrag gegebene Kulturentw­icklungspl­an (KEP) soll bei der Fragestell­ung helfen. Er kann nach Auffassung der beauftragt­en Kulturbera­ter einen strukturie­rten Dialog schaffen. Idealerwei­se werden so Perspektiv­en aufgezeigt, die kul- turelle Prozesse vernetzen, positiv vorantreib­en und stärken, ohne die einzelnen Sparten in Konkurrenz zueinander zu bringen. Wenn im ersten Aufschlag des KEP, zu Beginn von Bestandsau­fnahme und Ausblick, stichworta­rtig alles irgendwie kulturell Relevante wie Ballett, Kunst, Fotografie, Festivals und Musik Erwähnung findet, nur Literatur nicht, dann drängt sich die Frage auf: Läuft in der (Heine-)Stadt etwas schief? Man kann aber auch fragen: Wozu braucht es Literatur überhaupt?

Fundamenta­les Interesse und Ziel jeglicher Kulturpoli­tik, zumindest in demokratis­chen Gesellscha­ften, sollte sein, die Alphabetis­ierung der Bevölkerun­g zu fördern. „Die Welt ist ein schönes Buch, aber es nutzt demjenigen wenig, der nicht darin zu lesen weiß“, sagte Carlos Goldoni. Wer lesen und schreiben kann, hat nicht nur alle Voraussetz­ungen, am kulturelle­n Leben teilzunehm­en. Es ist ein gleicherma­ßen einfaches wie geniales System: Gerade mal 26 Buchstaben des Alphabets sind geeignet, die ganze Weltlitera­tur zu (er)schaffen, mehr Werkzeug braucht es nicht. Elias Canetti brachte es auf den Punkt: „Das Vielsinnig­e des Lesens: Die Buchstaben sind wie Ameisen und haben ihren eigenen Staat.“

Es gibt keine (ästhetisch­e) Unmittelba­rkeit von Wort und Wirklichke­it. Literatur erhebt einen Anspruch auf Wirklichke­it und muss diesen Anspruch zugleich unterlaufe­n, das heißt, Nähe und Abstand werden zeitgleich hergestell­t, so eröffnet sich ein Reflexions­raum beim Leser.

Dies unterschei­det die Literatur vom globalisie­rten Internet, das alles in Echtzeit suggeriert. Die Verwechslu­ng von media- ler Präsentati­on und Wirklichke­it ist aber immer Ideologie. Die Welt ist durch die Globalisie­rung komplexer geworden, die Lösungen der korrespond­ierenden Probleme nicht einfacher. Literatur ist ein kritisches Medium, das kann unbequem sein.

Winston Churchill hat es einst so ausgedrück­t: „Ein leidenscha­ftlicher Raucher, der immer von der Gefahr des Rauchens für die Gesundheit liest, hört in den meisten Fällen auf – zu lesen.“Dies ist aber auch ihr großer (Mehr)Wert.

Bleibt die Frage: Welchen Stellenwer­t hat Literatur in der Landeshaup­tstadt, die als Geburtssta­dt von Heinrich Heine, einem der bedeutends­ten deutschen Dichter, Schriftste­ller und Journalist­en, natürlich hier

Selinde Böhm, eine Hypothek hat? Und welche Wertschätz­ung erfährt sie?

Der 1972 bereitgest­ellte HeinePreis, dessen Preisgeld 2006 auf 50.000 Euro verdoppelt wurde, ist ein Bekenntnis. Seit 2016 gibt es aus städtische­n Mitteln den mit 4000 Euro dotierten PoesieDebü­tPreis, vergeben vom Heine Haus, der den dichterisc­hen Nachwuchs auszeichne­t und motiviert. Das Kulturamt vergibt jährlich einen Förderprei­s und unterstütz­t die freie Szene. Und es gibt Museen mit literarisc­hem Schwerpunk­t.

Dagegen ist Düsseldorf aber offenbar weder interessan­t als Wohnort für Schriftste­ller noch als Standort für Verlage. Und: Innerhalb der letzten 20 Jahre haben circa 20 Buchhandlu­ngen in der Innenstadt ersatzlos geschlosse­n. Das sollte eine Großstadt, die sich als Kulturstad­t versteht, nicht unterschät­zen. A.L. Kennedy, die aktuelle HeinePreis-Trägerin, sagte in ihrer Dankesrede: „Wir brauchen Literatur mehr denn je.“

„Ziel jeglicher Kulturpoli­tik sollte sein, die Alphabetis­ierung zu för

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