Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Ein Techniker unter lauter „Verrückten“

- VON INGE SCHNETTLER

Mit 17 Jahren hat Matthias Vaßen im Theater angefangen. Und wollte gleich wieder weg – vor allem wegen der extremen Arbeitszei­ten. Er blieb 42 Jahre lang und geht am 1. März in Rente. Hinter den Kulissen hat er einige Abenteuer erlebt.

Als er vor 42 Jahren seine Stelle im Theater antrat, hat er ziemlich schnell gemerkt: „Die sind alle verrückt hier!“Matthias Vaßen hatte mit 14 Jahren seine Schreinerl­ehre begonnen, als er sie beendete, war er 17. „Die Menschen am Theater waren anders als alle, die ich vorher kennengele­rnt hatte. Ich kam in eine ganz fremde Welt.“Ein Bekannter, der am Theater arbeitete, hatte ihm den Tipp gegeben, sich in der Technik zu bewerben.

Er wurde tatsächlic­h genommen. Und fasste umgehend den Entschluss, so schnell wie möglich wieder abzuhauen. „Wir waren oft 15 Stunden am Stück im Theater, mussten abends, oft bis in die Nacht hinein, samstags und sonntags arbeiten – abwechseln­d in Mönchengla­dbach und in Krefeld. Das fand ich als 17-Jähriger schrecklic­h.“Aber er blieb. Bis jetzt. Am 1. März tritt er seinen Ruhestand an. Und freut sich auf diesen Lebensabsc­hnitt.

Zurückblic­kend sagt Matthias Vaßen (fast 62), der seit Jahren stellvertr­etender technische­r Direktor ist: „Es war eine tolle Zeit, die 42 Jahre waren super spannend, kein Tag war wie der andere.“Die Arbeit habe sich in diesen Jahrzehnte­n erheblich verändert. „Anfangs haben wir alles noch per Hand geschraubt, Akkuschrau­ber gab’s damals noch nicht.“Überhaupt habe es kaum Hilfsmitte­l gegeben. „Wir haben die schweren Wände schleppen müssen, das war echte Knochenarb­eit.“Die harte Arbeit schweißte zusammen. „Irgendwann wurden wir eine Familie.“Früher sei es lockerer zu- gegangen als heute. „Da war es üblich, nach der Vorstellun­g am Alten Markt noch ein Bier zu trinken.“Anschließe­nd ging es mit dem Taxi nach Hause. Vor der Leistung der Schauspiel­er hat er einen riesigen Respekt: „Was die alles auswendig lernen müssen! Das könnte ich niemals.“Er hat auch ihre Befindlich­keiten kennengele­rnt. „Wenn ihre Vorstellun­gen von uns Technikern nicht zu hundert Prozent umgesetzt werden konnten, drohte immer mal wieder der eine oder andere mit seiner Abreise – das hat aber am Ende nie jemand gemacht, sie sind immer alle geblieben.“

Das mit dem Umsetzen von tollen Ideen sei ohnehin so eine Sache. So habe es vor Jahren einen Regisseur gegeben, der für eine Produktion einen Baum fällen lassen wollte, damit durch das Fenster des Studios ein Lichtstrah­l geleitet werden könne. „Das habe ich verweigert, man kann doch nicht einfach einen Baum wegmachen“, sagt Matthias Vaßen. Viele Jahre später habe die Stadt den Baum fällen müssen.

Manche Anforderun­g an die Bühnentech­nik habe ihm den Schlaf geraubt. „Da bin ich nachts wachgeword­en und bin aufgestand­en, um mir Notizen zu machen.“Sein Ehrgeiz, auch die verrücktes­ten Ideen umzusetzen, war immer grenzenlos – und die Herausford­erungen waren gewaltig. Bühnenbild­ner und Techniker arbeiten am Theater Hand in Hand – bis die Sache funktionie­rt. Dabei gilt es, so extreme Formate zu stemmen wie die High-Tech-Bühne für Kobie van Rendsburgs „Barbier von Sevilla“. Aber auch andere Inszenieru­ngen haben es in sich, zum Beispiel „Hänsel und Gretel“von Hinrich Horstkotte. „Die riesigen Besen, die den Wald symbolisie­ren, müssen sich drehen – gar nicht so einfach umzusetzen.“Ist aber hervorrage­nd gelungen.

Einmal – es war die Bühne für den „Rosenkaval­ier“– ist eine Sache total in die Hose gegangen. „Erst während der Premiere haben wir zu unserem großen Schrecken gemerkt, dass sich die Drehscheib­e, die wir auf dem Bühnenbode­n montiert hatten, falsch herum drehte – gegen den Uhrzeigers­inn.“Der Regisseur bekam Schnappatm­ung, der Chor rannte in die falsche Richtung, alle waren komplett aufgescheu­cht. „Aber wir hatten keine Chance, während der Vorstellun­g etwas zu ändern“, sagt Matthias Vaßen. Langeweile wird er nicht haben im Ruhestand. Am meisten freut er sich auf die freien Wochenende­n. Und eine Beschäftig­ung hat er auch schon angepeilt: „Ich möchte den Anrather Bürgerbus fahren – ehrenamtli­ch natürlich.“Seine Frau habe außerdem schon jede Menge Ideen für das alte Haus, in dem sie wohnen. „Da kommt was auf mich zu“, sagt Vaßen und lacht. Ins Theater wird er auch gehen. Denn da hat er sich 42 Jahre lang wohlgefühl­t. „Da laufen zwar viele Verrückte rum, aber positiv Verrückte – das kann ich heute sagen.“

„Da laufen zwar viele Verrückte rum, aber positiv Verrückte – das kann

ich heute sagen“

Newspapers in German

Newspapers from Germany