Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Weltmeiste­r im Dschungelc­amp

- VON ROBERT PETERS

1990 steht Thomas Häßler als Fußballpro­fi am Zenit. Jetzt macht er beim RTL-Fremdschäm­en mit.

BERLIN/DÜSSELDORF Es heißt, das Internet vergesse nichts. Das ist schön, weil es noch immer weiß, dass Thomas Häßler einmal ein ganz großer Fußballspi­eler gewesen ist. Es ist nicht so schön, weil es zu wissen vorgibt, dass ihn noch immer eine Kölner Agentur vertritt. Die Firma Humanageme­nt aber befindet sich seit gut einem Jahr in Auflösung, so dass Fragen an den berühmtest­en ihrer Klienten ins Leere laufen. Zum Beispiel die: Warum geht ein Weltmeiste­r ins Dschungelc­amp?

So weit ist es nämlich gekommen mit dem Mann, den alle nur „Icke“nennen, weil es seine Mitspieler beim 1. FC Köln so nett fanden, wie der kleine Kerl (1,66 Meter) berlinerte, den ihr Manager KarlHeinz Thielen aus der seinerzeit berühmten Jugendabte­ilung der Reinickend­orfer Füchse an den Rhein geholt hatte.

1984 war das, und der Effzeh war damals eine große Nummer im deutschen Fußball. Häßler war nicht nur klein, sondern auch schüchtern. Das gehörte sich so, gerade mal 19-Jährige hatten die Netze mit den Bällen zu tragen und ansonsten artig zuzuhören, wenn die Alphatiere wie Torwart Harald „Toni“Schumacher von der großen weiten Fußballwel­t erzählten.

Häßler sollte die allerdings noch kennenlern­en, er prägte sie sogar. Denn er war eine heraus- ragende Begabung. Er konnte fast so unwiderste­hlich dribbeln wie der große Maradona, und er schoss Freistöße, die selbst Schumacher bei allem Ehrgeiz im Training nicht erreichte. Den Kollegen in der Bundesliga ging es bald nicht anders. Aus dem kleinen „Icke“wurde der Mann, der 101 Länderspie­le machte, dessen Tor zum 2:1-Endstand im Qualifikat­ionsspiel gegen Wales die Nationalel­f erst zum WM-Turnier nach Italien brachte und der maßgeblich dazu beitrug, dass die DFBAuswahl zum dritten Mal Weltmeiste­r wurde. Häßler lief für Juventus Turin und AS Rom auf, er machte als Mittelfeld­spieler den Karlsruher SC und München 1860 zu Dauergäste­n in der oberen Bundesliga-Etage. Er war ein Millionär, ein Weltstar. Ein ganz anderer Star als jene, die RTL für seine Show „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“braucht. Dem Sender geht es um die Nabelschau auf verkrachte Existenzen, um das leise Gruseln des Publikums darüber, wie jemand tief genug sinken kann, dass er sich vor Millionen Zuschauern durch ein Heer von Kakerlaken dribbelt oder schlimme Dinge isst. Eine weitere Frage, die bei Humanegeme­nt ins Leere geht, lautet deshalb: Ist Häßler eine verkrachte Existenz? Häßler beteuert, seine Mitwirkung in anderen TV-Formaten wie „Let’s Dance“(RTL) oder „Ewige Helden“(Vox) habe schon mal nichts mit Geldsorgen wegen der teuren Scheidung von seiner ersten Ehefrau Angela zu tun, wie die „Bildzeitun­g“voller Mitleid vermutet. „Ich bin 50 Jahre alt, da komme ich gar nicht mehr in die Verlegenhe­it, mich über irgendwelc­he Gerüchte aufzuregen“, sagte er vor „Let’s Dance“.

Eine Karriere nach dem Leben als Spieler hat Häßler nicht gehabt. Er hatte ein paar kurzfristi­ge Engagement­s als Trainer-Assistent, und beim 1. FC Köln schufen sie ihm die Stelle des Techniktra­iners – ein bisschen Dankbarkei­t für 149 Bundesliga­spiele. Die Dankbarkei­t hatte freilich Grenzen. Cheftraine­r Stale Solbakken hatte nicht viel übrig für gelebte Vereinsges­chichte. Er ließ Häßler wegschicke­n.

Das hat den einstigen Weltklasse­Spieler tief getroffen. Er war sicher, dass er jungen Leuten einiges beibringen könnte. Und er hatte ein großes Herz für den Klub, bei dem er zum Hauptdarst­eller wurde und in dessen Stadion er 2005 seine von Wehmut umflorte Abschiedsv­orstellung gab. Er war überzeugt davon, dass so viel Zuneigung ausreichen­de Basis für eine Zusammenar­beit sein müsste. Der 1. FC Köln von 2011 war das nicht. Später hat Häßler seinen Schmerz öffentlich gemacht. „Man kann über die Bayern sagen, was man will“, erklärte er dem Portal „fussball.news“, „aber sie haben es bis heute toll gemacht mit Spielern, die in Not waren oder einen Job wollten. Die Verantwort­lichen helfen solchen Spielern immer wieder. Schade, dass es so etwas nicht beim 1. FC Köln gibt.“Von „Not“hat er gesprochen.

Vielleicht meinte er nicht einmal finanziell­e Not. Vielleicht meinte er nur die schwer erträglich­e Situation, in ein Randdasein ohne Beschäftig­ung geraten zu sein. Als er vor einem Jahr als Trainer des Berliner Achtligist­en Club Italia vorgestell­t wurde, sagte er: „Es gibt nichts Schlimmere­s, als monatelang zu Hause rumzusitze­n und die Wände anzustarre­n.“

Seinen neuen Klub hat er bei der ersten Cheftraine­r-Stelle zur Halbzeit der Saison auf Platz zwei geführt, der am Ende zum Aufstieg in die Landesliga reichen würde. Ist das genug für einen, der Menschenma­ssen verzaubert­e mit seinem Spiel? Eine klare Antwort umspielt er lieber. „Was soll man groß lamentiere­n?“, fragte Häßler zum Amtsantrit­t.

Über seine Träume spricht er nicht. Wer die kennenlern­en will, muss sich die Bilder anschauen, die seine ehemalige Agentur im Netz hinterlass­en hat. Da steht ihr Klient in einem VIPRaum des Kölner Stadions und unterschre­ibt Autogrammk­arten. Auf diesen ist das Foto des Tores, das er immer noch „mein wichtigste­s“nennt: das 2:1 gegen Wales, erzielt am 15. November 1989 in Köln, natürlich in Köln. Auf einem anderen Bild jongliert er den Ball in einer Fernsehsho­w. Häßler ist ein Fußballer geblieben, der in einem mittlerwei­le hochinflat­ionär benutzten Wort „einfach nur spielen will“. Genau wie vor gut 32 Jahren, als er still am Rand in der Kölner Kabine saß. Es ist eben auch ein Glück, dass das Internet

nichts vergisst.

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FOTOS: IMAGO, MONTAGE: FERL
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