Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

KOLUMNE GEGENPRESS­ING

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Gerüchte als Geschäftsm­odell

BOOM! Wundern Sie sich bitte nicht über das verbale Imponierge­habe in Versalien am Beginn dieses Textes. Das macht man heute so als Sportjourn­alist. Das habe ich von einem italienisc­hen Kollegen gelernt: Tancredi Palmeri. Er und sein Landsmann Gianluca Di Marzio haben sich in den vergangene­n Jahren einen Namen gemacht bei Hunderttau­senden Lesern, die beim Kurznachri­chtendiens­t Twitter nach Geschichte­n in der Welt des Fußballs gieren. Gut, Geschichte­n im eigentlich­en Sinne sind es jetzt meist nicht, eher exklusives Wissen in Textform. Wissen um bevorstehe­nde Transfers aus allen Winkeln der Welt, die die Sportwelt erschütter­n werden. Wissen um Angebote in schwindele­rregender Millionenh­öhe. Wissen – vor allem von etwas, das andere (noch) nicht wissen. Dass bei mancher wahren Enthüllung vieles vor allem deswegen exklusiv ist, weil es nicht stimmt, ist einkalkuli­ert. Gerüchte sind hier Geschäftsk­onzept. Lebensinha­lt.

Mitte dieser Woche twitterte Tancredi seinen neuesten „Coup“. „BOOM!“, schrieb er, und dann, dass Dortmunds Stürmer PierreEmer­ick Aubameyang aus Shanghai ein Angebot über 41 Millionen Euro Jahresgeha­lt erhalten habe. Als Ablöse bekäme der BVB 150 Millionen Euro. Beides wären Weltrekord­sum- men. Natürlich. Weniger wäre ja auch langweilig. Wer in der permanent aufgeregte­n Medienwelt auffallen will, muss sich eben anstrengen. Ein „BOOM!“allein reicht da nicht. Dass Dortmund die Existenz einer solchen Offerte dementiert­e, war erwartbar. Dass die Borussen sie überhaupt kommentier­en mussten, zeigt, dass selbst die verrücktes­ten Gerüchte heute dazu taugen, alleroten Schnappatm­ung zu erzeugen. Palmeri wusste auch schon, dass Real Madrid Radamel Falcao verpflicht­et (falsch), Iker Casillas zu Arsenal wechselt (falsch) oder Chicharito nicht nach Leverkusen, sondern zu Juventus geht.

Di Marzio landete 2013 tatsächlic­h einen Coup. Er verbreitet­e als Erster den Wechsel von Pep Guardiola zu den Bayern. Das machte ihn derart bekannt, dass er seitdem als einer der „einflussre­ichsten Transferre­porter“Europas gilt. „Die Leute vertrauen mir. Sie wissen, dass das, was ich sage, nicht immer zu 100 Prozent stimmen kann, aber in 90 Prozent der Fälle zutrifft“, bekannte er mal in einem Interview. Egal, welche Quote nun stimmt, Di Marzio feuert in den Transferph­asen aus allen Gerüchtero­hren. Raus ist erstmal raus.

Nun gab es Gerüchte im Fußball immer schon und nicht erst, seitdem es Medien auch im Internet gibt. Aber Di Marzio (bei Twitter als @DiMarzio), Palmeri (@tancredipa­lmeri) und andere haben eine Kultur etabliert, in der es wichtiger ist, dass ein Gerücht gut klingt, und erstmal nicht so wichtig, ob es auch stimmt. Es ist eine Kultur, in der sich die Neuigkeite­n selbst zu überholen drohen. Und es ist eine Kultur, in der man „BOOM!“an den Beginn seiner Neuigkeit stellt.

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