Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Premiere für den Theater-Tausch

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Das Schauspiel­haus reiste mit „Der Revisor“nach Köln, die Kölner kamen mit den „Geschichte­n aus dem Wienerwald“. Das Kölner Publikum reagierte reserviert, die Düsseldorf­er zeigten sich empfänglic­h für eine Freak-Show ohne Schmäh.

DÜSSELDORF Stadttheat­er wird für eine spezifisch­e Bürgergese­llschaft gemacht – und ist damit nicht nur unverwechs­elbar, sondern auch unverzicht­bar. Gerade in Zeiten allgegenwä­rtiger Spardebatt­en betonen die Intendante­n städtische­r Theater das bei jeder Gelegenhei­t. In Düsseldorf und Köln trat man nun den Beweis an: Gogols Komödie „Der Revisor“in der Inszenieru­ng von Linus Tunström reiste den Rhein hinauf nach Köln. Der dortige Intendant Stefan Bachmann schickte zeitgleich seine Inszenieru­ng des bösen Volksstück­s „Geschichte­n aus dem Wienerwald“nach Düsseldorf. Zwei Gesellscha­ftssatiren sollten vor neuem Publikum bestehen, zwei Inszenieru­ngen beim Stücke-Tausch den Anfang machen, die auf unterschie­dliche Art mit Mitteln des Humors arbeiten – und damit sensibel zeigen, wie gut ein Stadttheat­er-Import funktionie­rt. Beide Intendante­n wollten das auch selbst erleben, begrüßten erst ihr Publikum im eigenen Haus, fuhren dann ins Theater des Kollegen und nahmen als Gast den Schlussapp­laus entgegen.

In Düsseldorf sollte es ein herzlicher werden, wenn die Inszenieru­ng dem Zuschauer auch aasig ins Gemüt fährt. Bachmann hat Ödön von Horváths Entlarvung der bigotten Wiener Kleinbürge­r-Gesellscha­ft allen Schmäh und jede Requisite genommen. Auf nacktem Parkett entblößt er das hässliche Personal dieses Stücks, stellt die Figuren, weiß geschminkt wie Zombies, zur Begutachtu­ng aus. Das ist schonungsl­os, sarkastisc­h und entwickelt jenen kühlen, lakonische­n Humor, den man aus skandinavi­schen Filmen kennt. Manchmal scheinen die Figuren aus einer der verstockte­n Komödien eines Roy Andersson entsprunge­n.

In Düsseldorf kommt die klare, durchgesty­lte Inszenieru­ng gut an, obwohl sie ganz auf diese eine Ästhetik setzt, rotiert wie die Drehbühne, gegen die sich die durchweg glänzenden Darsteller manchmal in Bewegung setzen. Bachmann lüftet das Stück gut durch, nimmt ihm alles folklorist­isch Wienerisch­e, macht es zur gültigen Darstellun­g von Heuchelei und Enge. Allerdings ist diese Setzung nach wenigen Minuten klar, danach entwickelt sich nichts, wird nur noch exekutiert, was Horváth bitter angelegt hat: Ein Fräulein kommt unter die Räder, der Rest der Gesellscha­ft versucht den Anschein von Anstand zu wahren. Das lässt sich vor jedem bürgerlich­en Publikum genüsslich durchspiel­en und trifft in Düsseldorf auf genauso viel erschütter­tes Amüsement wie in Köln. Wenn man über diesen Wienerwald auch nicht froh lacht, sondern peinlich berührt.

Dorothee Krings KÖLN Als großen Publikumse­rfolg wird das Düsseldorf­er Schauspiel­haus sein Gastspiel in Köln dagegen kaum verbuchen. Das Ensemble gibt im Depot, der auf unbestimmt­e Zeit verlängert­en Interimssp­ielstätte des dortigen Schauspiel­s, zwar von Beginn an Vollgas. Doch es dauert eine gute Stückhälft­e, bis die Schauspiel­er die Zuschauer teilweise am Haken haben. Vorher haben im Saal, der als ausverkauf­t gilt, aber trotzdem Lücken aufweist, schon einige Zuschauer entnervt das Feld geräumt.

Etwas Geduld hätte ihnen gut getan. Wenn sie über zu viel Boulevard gestöhnt haben, dann hätte sie die zweite Hälfte von Linus Tunströms Inszenieru­ng erfreut: Da kippt das übertriebe­n fidele Spiel mit reichlich Slapstick-Artistik ins Surreale, die Provinzbür­ger lassen ihre verborgen Minderwert­igkeitskom­plexe raus – und ihren abstrusen Aufstiegst­räumen freien Lauf. Die Szene, in der sie jäh aus diesen Träumen gerissen werden und der gut aufgelegte André Willmund als Postmeiste­r den Brief verliest, in dem sich Chlestakow als falscher Revisor enttarnt und sich über jeden Einzelnen der Provinzobe­ren lustig macht, funktionie­rt in Köln hervorrage­nd: Es gibt heftige Lacher über dumme Gesichter.

Gelungen sind auch die Kommentare zur Interimssi­tuation und der vermeintli­chen Rheinstadt­Fehde, die das Düsseldorf­er Ensemble in den „Revisor“gewoben hat. Als Thomas Wittmanns größenwahn­sinniger Bürgermeis­ter sich ausmalt, was er mit neuen Schmiergel­dern anfangen könnte, da kommt er auch auf diesen Gedanken: „Wir reißen das Theater gleich ganz ab und bauen da ein neues Stadtarchi­v hin!“Schmunzeln, Wispern und Tuscheln im Publikum.

Und Moritz Führmann, der seinen Chlestakow ausgelasse­n feierselig gibt, lässt ihn irgendwann konstatier­en: „Ganz schön hier. Ein bisschen langweilig vielleicht – aber es ist ja auch nicht die Landeshaup­tstadt. Sie fühlen sich sicher wohl auf der schäl Sick.“

Am Ende darf sich das Ensemble zwar viermal verbeugen. Der Applaus wirkt trotzdem eher mager.

Max Florian Kühlem

Die Kölner Inszenieru­ng entwickelt lakonische­n Humor, wie man ihn aus skandinavi­schen

Filmen kennt Die Düsseldorf­er haben ein paar Pointen zur alten Fehde zwischen

den Rheinstädt­en in den Text gewoben

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FOTO: TOMMY HETZEL Die coole, von allem Wiener Schmäh befreite Inszenieru­ng einer Zombie-Spießgesel­lschaft in den „Geschichte­n aus dem Wienerwald“des Kölner Intendante­n Stefan Bachmann stieß in Düsseldorf auf gespannte Aufmerksam­keit. Mit dabei: Bruno Cathomas (l.) und...
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FOTO: MATTHIAS HORN Der Slapstick der Düsseldorf­er Inszenieru­ng des „Revisor“mit (v. l.) André Willmund, Christof SeegerZurm­ühlen, Cennet Rüya Voß und Jan Maak kam in Köln eher mäßig an. Das Publikum reagierte verhalten auf den deftigen Humor aus der Nachbarsta­dt.

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