Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Wo war jetzt eigentlich die Winterpause?
In einer Woche macht die Bundesliga schon wieder weiter. Es fühlt sich an, als habe sie nie aufgehört.
DÜSSELDORF Kurz vor Weihnachten verabschiedete sich die FußballBundesliga in die Winterpause. Besser vielleicht: Die Vertreter der Fußball-Bundesliga gaben vor, sich in eine Pause zu verabschieden. Die Ruhe währte nämlich nicht lange. Die Weihnachtsgeschenke waren kaum ausgepackt, da ging es zurück auf den Trainingsplatz. Die schöne Erfindung der zahlreichen sozialen Medien erlaubte es derweil dem dankbaren Publikum, bereits vor den Festtagen unter voller Nachrichten- und Pseudo-NachrichtenBedröhnung über Wechsel, Spielsysteme und bevorstehende Vertragsverlängerungen einfach weiter zu machen. Und in einer Woche ist die Pause, die eigentlich gar keine war, schon wieder vorbei.
Dennoch bleibt nach einem Monat nur scheinbarer Distanz vom offenkundig wichtigsten Wettbewerb der Welt doch etwas. Zumindest ein Satz, den vor allem die in bedrohlicheren Tabellenregionen überwinternden Erstligisten in kleinen Variationen wiederholen wie ein tibetischer Mönch sein Mantra. Der Satz lautet: „Wir müssen uns stabilisieren.“Oder: „Der Trainer soll die Mannschaft stabilisieren.“Oder: „Ich möchte als Trainer die Mannschaft stabilisieren.“
Mit solch ehrenwerten Absichten gehen wahrscheinlich die meisten Berufs-Übungsleiter an ihre Arbeit. Nicht einmal André Schubert, der seinen Posten bei Borussia Mönchengladbach zu Beginn der besagten Pause dem Kollegen Dieter Hecking überlassen musste, war vermutlich daran interessiert, seinem Team möglichst alle Stabilität zu nehmen. Am Ende ist es ihm aber doch eindrucksvoll gelungen, weil er seine Jungs mit Systemwechseln und einem theoretischen FußballÜberbau von der Qualität eines Master-Studiengangs gekonnt überforderte.
Zu solchen Experimenten neigt der Dortmunder Amtsbruder Thomas Tuchel ebenfalls. Er hat freilich das Glück, erstens bessere Spieler als in Mönchengladbach zu betreuen, zweitens bereits in der dritten gemeinsamen Vorbereitungsphase Theorie mit praktischen Inhalten auffüllen zu können und drittens reichlich lernwilliges Volk zu versammeln. Im Trainingslager von Marbella befehligte er neben den ar-
In einer Woche rollt der Ball wieder in der Bundesliga. Endlich! Oder ist es Ihnen egal? Der Fußball erobert immer neue Märkte und wächst und wächst. Doch er macht sich entbehrlich, weil er nichts Besonderes mehr ist. Es vergeht kein Tag, wo man nicht irgendwo im Fernsehen oder Internet Livebilder serviert bekommt. Testspiel hier, Gurken-Cup da, es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch eine Kamera aus der Kabine überträgt, wie sich leistungswillige Burschen die Schnürsenkel binden. Bilder aus Hubschraubern, die den Weg der Nationalmannschaft mit dem Bus vom Quartier ins Stadion bei Länderspielen zeigen, gehören ja schon zum Standard.
Da geht aber doch noch deutlich mehr. Wollten Sie nicht auch immer schon mal am Bildschirm, sagen wir, Sportkamerad Manuel Neuer live am Frühstückstisch dabei beobachten, wie er sich ein paar NutellaStullen genehmigt und dabei seine immer lächelnde Lebensgefährtin mit flotten Sprüchen umgarnt? Es dauert bestimmt nicht mehr lange, bis FC-Bayern-TV das für unschlagbare 29,99 Euro im Wochenabo anbietet, natürlich nur für Vereinsmitglieder. Obendrauf gibt es dann für die ersten 1000 Kunden auch noch einen Freimonat „Stylen mit Mats Hummels – so sitzt ihre Frisur auch rivierten Kräften eine ganze Mannschaft von Teenagern. Dass die schon ganz gut verstanden haben, welche Spielform der Trainer im heiligen wissenschaftlichen Ernst entworfen hat, zeigten sie unter anderem bei einem ganz lockeren 3:0Testspielerfolg über den belgischen Erstligisten Standard Lüttich. So viele 18- und 19-Jährige auf dem Platz gibt es in Dortmund ansonsten nur am Sonntagvormittag in der A-Junioren-Bundesliga.
Mit jungen Leuten arbeitet Tuchel am liebsten. Mit Erfolg übrigens. 2009 gewann er mit der A-Jugend von Mainz 05 die deutsche Meisterschaft. In Dortmund will er das in absehbarer Zukunft auch mal mit Erwachsenen hinbekommen. Dort gibt es jedoch weniger schnelle Lerneffekte. Deshalb ging Tuchel schlecht gelaunt in die Pause. Drei Tage unter dem Weihnachtsbaum reichten ihm zu einer Überarbeitung der Gesichtszüge. Bilder aus Marbella zeigen einen entspannten nach der Gartenarbeit im Regen noch tipptopp“.
Für journalistische Formate stehen die Spieler dann natürlich nicht mehr zur Verfügung. Aber es ist ja auch eigentlich alles schon gesagt worden. Thomas Müller hat die Branche neulich selbst herrlich persifliert. Als der FC Bayern aus seinem Trainingslager in Doha am Münchner Flughafen ankam, da hielt er sich einen Pass wie ein Mo- Coach. Sicher ist: Das wird sich noch ändern.
In Wolfsburg hat sich der gesamte Klub in vier Wochen verändert. Wo jahrelang nach dem Motto „Hauptsache teuer“ein feiner Starkult betrieben wurde, setzt nun Detailarbeit mit (nicht ganz billigen) Talenten ein. Ehemalige sehr teure Talente wie Julian Draxler (Paris St. Ger- biltelefon ans Ohr, um keine lästigen Fragen beantworten zu müssen. Er sprach in das Dokument und lachte die Wartenden herzerfrischend an. Er lachte sie nicht aus, das ist ein großer und wichtiger Unterschied. Ob seiner Originalität ist Müller eine große Ausnahme. Die meisten seiner Berufskollegen machen sich weit weniger Mühe zu demonstrieren, wie wenig Lust sie haben, sich mit der Basis zu beschäftigen. Kopfhörer auf – Micky Maus. Es geht gewiss nicht nur um den Umgang mit Medien. Auch die Autogramwünsche kleiner Kinder, die stundenlang am Trainingsgelände im strömenden Regen warten, werden mitunter mit einem Gesichtsausdruck abgearbeitet, dass der Himmel für Stunden weiter weint. Die Stadien werden immer größer und moderner. Die Übertragungen immer maßgeschneiderter. Die Informationen rund um das Produkt sind 24 Stunden, sieben Tage die Woche abrufbar. Doch bei allem nachvollziehbaren Interesse, noch mehr Geld zu generieren, um Top-Stars anzulocken und zu halten – wenn Fußball zuallerst als Produkt empfunden wird und nicht mehr Fans, sondern Kunden ins Stadion gehen, hat man dem Spiel seinen Zauber genommen. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de main) und André Schürrle (Borussia Dortmund) zählen nun woanders zu den Großverdienern.
Geldsorgen bedrücken die Bayern so wenig wie Aufgeregtheiten. Deutschlands reichster und wichtigster Klub hat in Trainer Carlo Ancelotti den mit Abstand coolsten Übungsleiter aller Zeiten. Sein Ensemble von Spitzenkräften ging mit dem Erfolgserlebnis eines 3:0 gegen den frechen Emporkömmling Leipzig in die Pause. Es geht mit dieser Feststellung des Trainers ins neue Jahr: „Wir sind besser als im Sommer.“Läuft doch.
Die Fans durften sich über die vermeintlich stilleren Tage mit einer erfreulichen Flut von TestspielÜbertragungen trösten. Jeder Sender, der auch nur einigermaßen was auf sich hält, hat bewegte Bilder vom öffentlichen Training der Bundesligisten in die Wohnzimmer getragen. So durfte die deutsche Fußballwelt zum Beispiel interessierter Zeuge sein, wie Borussia Mönchen- gladbach auf einem Platz gegen Waregem kickte, der wie eine Bezirkssportanlage wirkte – die passende Geräuschkulisse und Ausstattung inklusive. Die Tornetze hatten deutlich mehr und deutlich größere Löcher als üblich. Der schöne Nebeneffekt: Die manchmal dem wirklichen Leben so entrückten Berufssportler erinnerten an richtige Fußballer.
Ein bisschen Entrückung bot diese Pause natürlich auch. Namentlich in der erneuten Erhebung von Cristiano Ronaldo in den Adelsstand des besten Fußballers der Welt. Das hatte wenig von Bezirksliga und sehr viel von Hollywood. Allenfalls die Texte waren eher bodenständig. Wem das alles nicht reichte, der konnte sich den Abend immer noch mit der Darts-WM verkürzen. Da waren dann auch ein paar dicke Jungs am Start und nicht nur auf den Tribünen. Und so war doch für jeden was dabei. Jetzt darf es dann endlich wieder richtig losgehen.
Einfach mal den Ball flach halten