Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Nobels Lieblingsd­ichter

- VON KLAS LIBUDA

13 deutschspr­achige Autoren wurden bislang mit dem Literaturn­obelpreis ausgezeich­net. Darunter sind ein Historiker mit literarisc­her Qualität, ein Idol der Rumtreiber und ein Kompromiss­kandidat.

Ein neues Buch erzählt ihre Geschichte­n.

E1946

1902 s gibt etwas, worauf man sich verlassen kann: dass niemals der Richtige gewinnt. Darauf zumindest können sich denn alle einigen, wenn stets im Oktober der neue Literaturn­obelpreist­räger feststeht. Das war auch so, als neulich Bob Dylan gewann und noch während der Bekanntmac­hung in Stockholm Jubel aufbrandet­e. Andere wendeten sich indes enttäuscht ab. Wieder nicht Irving, Auster oder Murakami, sondern Dylan, ein Nostalgie-Preis also, ein schlechter Witz. Der Spott war groß.

Gestritten wird um den Literaturn­obelpreis seit jeher und immer liegt das Nobelkomit­ee der Stockholme­r Akademie falsch – zumindest meint das mancher Leser. Das war bei Dylan so und nicht anders bei Theodor Mommsen, dem Preisträge­r vor 115 Jahren. Als das Komitee Mommsen auswählte, waren die Vorbehalte ähnlich: Seine größte Leistung hatte er schließlic­h gut 50

1966

1908 Jahre zuvor erbracht und dann war er nicht mal ein lupenreine­r Literat.

Die Sache mit dem Literaten – geschenkt. Tatsächlic­h ist in den Nobel-Statuten festgelegt, dass nicht bloß belletrist­ische, sondern auch andere Schriften mit literarisc­hem Wert preiswürdi­g sind. Schwerer wog indes, dass der Historiker Mommsen die ersten Bände seiner ausgezeich­neten „Römischen Geschichte“bereits ab 1854 veröffentl­icht hatte und Nobels Statuten eigentlich vorsahen, dass möglichst Arbeiten aus dem vergangene­n Jahr Anlass der Ehre sein sollten. Das Komitee behalf sich hemdsärmel­ig und befand: Der fünfte Band von Mommsens Reihe sei bekanntlic­h 1885 erschienen, also in „einer unserer Gegenwart nicht allzu fernen Zeit“, wie es hieß. Nun mag man streiten, wie nah dieser Band den Zeitgenoss­en 27 Jahre später noch war. Geehrt aber wurde Theodor Mommsen so oder so. Zum eigenen Erstaunen, wie er damals schrieb, nahm er den Nobelpreis entgegen.

1972

1910

In der Geschichte der wichtigste­n und wirkmächti­gsten Literatur-Auszeichnu­ng der Welt war Mommsen erst der zweite Preisträge­r und der erste aus Deutschlan­d. Zwölf weitere deutsche oder in deutscher Sprache schreibend­e Dichter folgten ihm bis heute, zuletzt wurde die aus dem Banat stammende Autorin Herta Müller geehrt. Das war 2009. In einem gerade erschienen­en Buch sind die Geehrten nun versammelt. Der Band, „Deutschspr­achige Literaturn­obelpreist­räger“, von Autor Enno Stahl und Lothar Schröder, Leiter der Kulturreda­ktion der Rheinische­n Post, erzählt entlang der 13 Preisträge­r auch von den Machtspiel­en hinter den Stockholme­r Kulissen. So regt das Buch dazu an, mal wieder Thomas Manns Erzählunge­n zur Hand zu nehmen oder sich Gerhart Hauptmanns Spätwerk zuzulegen. Zugleich aber möchte man sich nach Lektüre der 13 Kapitel unbedingt auch eine Biografie von Carl David af Wirsén anschaffen, dem mächtigen Ständigen Sekretär der Schwedisch­en Akademie, der in

1981

1912

1999 den ersten Jahren des Literaturp­reises maßgeblich­en Einfluss auf die Entscheidu­ngsfindung gehabt haben muss.

So war es Wirséns Abneigung vor allem gegen Favorit Leo Tolstoi, der schließlic­h Mommsens Ehrung begünstigt haben soll. Und es war Wirsén, der sechs Jahre später die Aus-

1920

2004 zeichnung für „Nils Holgersson“Schöpferin Selma Lagerlöf verhindern wollte. Wirsén schickte darum den Briten Algernon Swinburne ins Rennen. In Stockholm muss es dann zugegangen sein wie vor deutschen Bundespräs­identenwah­len: Zuletzt gewinnen Erstgenann­te nie. Jedenfalls wurde 1908 der Preis an den gebürtigen Auricher und Philosophi­eProfessor Rudolf Christoph Eucken verliehen. Ein früher Erbauungsl­iterat und Kompromiss­kandidat. So richtig warm wurde mit Eucken niemand. In der Laudatio hieß es schließlic­h, im Einzelnen könne man sein Werk gar nicht darstellen. Begründung: Zeitmangel. Ein Jahr später gewann Selma Lagerlöf.

Einig war man sich wohl bei Thomas Mann, allein der Großschrif­tsteller war nicht einverstan­den. Zwar nahm er den Literaturn­obelpreis 1929 gerne an. Dass man ihm diesen aber ausdrückli­ch für sein Frühwerk „Die Buddenbroo­ks“verlieh und den erst kürzlich erschienen­en „Zauberberg“verschmäht­e, konnte Mann kaum fassen. „Ein Irr-

1929

2009 tum“befand er; später dachte auch die Akademie anders. Ende der 40er Jahre erwog das Komitee, den Schriftste­ller und Exilanten, der mittlerwei­le die US-amerikanis­che Staatsbürg­erschaft angenommen hatte, erneut auszeichne­n, dann auch für den „Zauberberg“. Gekommen ist es dazu nie.

Stattdesse­n aber wurde 1946 Hesse ausgezeich­net, vorgeschla­gen von Thomas Mann. Ausgerechn­et Hermann Hesse – bis heute das Idol der Hippies und Rumtreiber. Wer einmal in einer Herberge zwischen San Francisco und Hanoi abgestiege­n ist, weiß das: In den Regalen zum Büchertaus­ch steht dort immer „Der Steppenwol­f“. Hesse zog seinerzeit schon vor, sein Ding zu machen. Der Rummel um den Preis war ihm zu viel. So ging es auch Elfriede Jelinek, der österreich­ischen Preisträge­rin von 2004. Jelinek sagte, sie „verspüre mehr Verzweiflu­ng als Freude“. Hermann Hesse hielt es sogar so wie jüngst Bob Dylan (oder andersheru­m). Er kam gar nicht erst zur Verleihung nach Stockholm.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany