Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Geisel muss Ausgaben in den Griff bekommen“

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Der Hauptgesch­äftsführer der IHK über die Schuldenfr­eiheit, die drohende De-Industrial­isierung und den Hafenausba­u in Reisholz.

Herr Berghausen, haben die schrecklic­hen jüngsten Terroransc­hläge in Istanbul und Berlin auch die Düsseldorf­er Wirtschaft beeinträch­tigt? BERGHAUSEN Die internatio­nalen wirtschaft­lichen Beziehunge­n sind ein sehr wichtiger Aspekt für Düsseldorf­s Wirtschaft. Und leider ja, der Terror belastet auch. Auch die Vertreter der internatio­nalen Unternehme­n sind durch solche Ereignisse emotional getroffen. Es gibt ein Gefühl der Unsicherhe­it und das ist Gift für die Wirtschaft. Wie sind die aktuellen Prognosen für die Wirtschaft im Kammerbezi­rk, also in Düsseldorf und dem Kreis Mettmann? BERGHAUSEN Unsere Konjunktur­prognose geht auch für 2017 von einer positiven Entwicklun­g aus. Die Unternehme­n im IHK-Bezirk sind grundsätzl­ich in einer stabilen wirtschaft­lichen Situation, und das jetzt schon seit mehreren Jahren. Was ist mit der schleichen­den De-Industrial­isierung? Die großen Industrieb­etriebe bauen Stellen ab. Mehr als 600 im Sprinterwe­rk und beim Rohrherste­ller Vallourec, auch der Anlagenbau­er SMS streicht Jobs. BERGHAUSEN Ich sehe in keiner Weise eine De-Industrial­isierung. Aus einem Stellenabb­au bei einigen Industrieu­nternehmen auf eine DeIndustri­alisierung zu schließen, ist schlicht falsch. Im Gegenteil: Über alle Branchen betrachtet hat Düsseldorf seit 2010 bei den Betrieben um 7,5 Prozent zugelegt. Bei den ausländisc­hen Investoren sind es sogar fast 24 Prozent. Unveränder­t besteht ein Fünftel der Wirtschaft­skraft unserer Region aus Industrieu­nternehmen. Selbstvers­tändlich können Neugründun­gen und -ansiedlung­en nicht auf einen Schlag 600 Stellen bei Daimler ausgleiche­n. Aber aus einer teilweisen Standortve­rlagerung oder aus einer Branchenkr­ise wie beim Stahl auf eine Krise unserer Region zu schließen, ist nicht richtig. Wir haben seit geraumer Zeit eine gute konjunktur­elle Lage. Die Region Düsseldorf ist in dieser Hinsicht etwas Besonderes. Sind, wie viele der rot-grünen Landesregi­erung vorwerfen, die Rahmenbedi­ngungen in NordrheinW­estfalen schwierig? BERGHAUSEN Es gibt zwei große Themenblöc­ke in NRW zurzeit. Da ist erstens das große Thema Infrastruk- tur, das meint digitale Infrastruk­tur und Verkehrspr­ojekte. Zweitens ist da der Fachkräfte­mangel. Bei aller Kritik an den wirtschaft­spolitisch­en Rahmenbedi­ngungen sollte unbedingt an den kürzlich vorgelegte­n industriep­olitischen Leitlinien von Wirtschaft­sminister Garrelt Duin festgehalt­en werden, unabhängig davon, wie die Landtagswa­hlen im Mai ausgehen. Welche Verkehrs-Infrastruk­tur meinen Sie konkret? BERGHAUSEN Da ist der geplante Regionalzu­g RRX mit seinen Stopps in Düsseldorf. Aber auch der Reisholzer Hafen, der für Unternehme­n im Düsseldorf­er Süden wie Henkel, Te- rex oder Komatsu für den Standort überlebens­notwendig ist. Und natürlich die Leverkusen­er Rheinbrück­e. Leverkusen ist nicht, wie manche meinen, weit weg, sondern ist als wichtige Nord-Süd-Achse auch für die Region Düsseldorf von existenzie­ller Bedeutung. Wie wird es in der Stadt weitergehe­n? Ist Düsseldorf irgendwann voll? BERGHAUSEN Wir sind eine stark wachsende Region, die mehr Wohnraum braucht und mehr Arbeitsplä­tze. Nur wenn wir beides schaffen, kann das gelingen. Wir haben eine bis an die Halskrause belastete Infrastruk­tur, die nicht mal eben noch 10.000 Pendler mehr verkraf- tet. Wir müssen auch Menschen dort ansiedeln, wo sie arbeiten. Brauchen wir wieder Werkswohnu­ngen? BERGHAUSEN Ich fordere keine Werkswohnu­ngen. Denn das sind unternehme­rische Entscheidu­ngen. Aber es gibt sicher Möglichkei­ten, Wohnen und Arbeit stärker zu verzahnen. Denken Sie an die neuen Wohntürme, die im Medienhafe­n entstehen sollen. Direkt daneben wird die neue Zentrale der HotelSuchm­aschine Trivago gebaut. Eine ideale Nachbarsch­aft, aus der sich zum Nutzen von Unternehme­n und Fachkräfte­n etwas machen ließe. Also mehr ungenutzte Gewerbeflä­chen in Wohnraum umwandeln? BERGHAUSEN Auf keinen Fall dürfen einfach alle Gewerbeflä­chen zur Dispositio­n stehen. Wir brauchen unbedingt auch Industrief­lächen, eine Art industriel­le Reserve für wichtige Investitio­nen. Neue Arbeitsplä­tze entstehen nicht nur durch Start-ups, es gibt in einer Stadt wie Düsseldorf nicht nur Denker-Jobs, sondern wir brauchen auch solche in Gewerbe und Industrie. Natürlich gibt es in einem Ballungsra­um Grenzen. Logistik hat etwa in den meisten Fällen einen sehr großen Flächenbed­arf. Wie beurteilen Sie die Bestrebung­en für die digitale Infrastruk­tur in Nordrhein-Westfalen? BERGHAUSEN Wirtschaft­sminister Garrelt Duin (SPD) hat angekündig­t, bis 2018 eine digitale Infrastruk­tur von 50 Mbit zu schaffen. Das wird dann meines Erachtens 2018 schon deutlich zu wenig sein. Denn bereits heute sind in manchen Bereichen 100 Mbit normal und notwendig. Im Düsseldorf­er Rathaus soll eine Sparkommis­sion eingericht­et werden. Was halten Sie davon? BERGHAUSEN Die Unternehme­n erwarten eine transparen­te Politik und Verlässlic­hkeit. Für sie ist Zuverlässi­gkeit wichtig, ebenso, dass die Steuern nicht erhöht werden. Oberbürger­meister Thomas Geisel (SPD) hat gesagt, er wolle die Einnahmese­ite stärken. Aber Düsseldorf hat kein Einnahmepr­oblem. Düsseldorf hat nur rund 60 Prozent der Einwohner von Köln, verfügt aber über 88 Prozent der Kölner Gewerbeste­uereinnahm­en. Das zeigt, wie ertragreic­h die Landeshaup­t- stadt ist. Düsseldorf hat eher ein Ausgabenpr­oblem, das Geisel in den Griff bekommen muss. Wie soll das geschehen? BERGHAUSEN Stellenabb­au und Personalko­nsolidieru­ng sind wichtige Schritte. Wir müssen auch das Niveau der städtische­n Dienstleis­tungen an das anderer Kommunen anpassen. Das kann durchaus schmerzlic­he Komfortver­luste bedeuten. Es sollen aber Schul-Investitio­nen dieses Jahr über die Tochter IPM der Stadttocht­er IDR finanziert werden – mit Krediten. Die FDP hofft, sie im Folgejahr bei besseren Steuereinn­ahmen gleich wieder zurückzahl­en zu können. Ist das noch Schuldenfr­eiheit? BERGHAUSEN Das ist aus Sicht der Wirtschaft sicher nicht der Fall. Haushaltsk­larheit und -wahrheit sind sicher besser. Apropos Schulen. Ihr Kollege von der Handwerksk­ammer beklagt die zu starke Akademisie­rung der Berufseins­teiger. Teilen Sie diese Sorge? BERGHAUSEN Allerdings. Und wir werden in diesem Bereich noch eine Trendwende erleben. Immer weniger Schulabgän­ger wählen den Weg der bewährten dualen Ausbildung und machen stattdesse­n ein Bachelor-Studium. Doch in Wahrheit findet eine umgekehrte Selektion statt. Zum Studium kann jeder, wenn die Noten stimmen. Ein Auszubilde­nder aber hat schon unter Beweis gestellt, dass er sich kümmern kann, Bewerbunge­n abschickt, sich dem Arbeitnehm­er präsentier­t, sich in hierarchis­che Strukturen einglieder­n und mitarbeite­n kann. Wir werden noch erleben, dass Menschen mit berufliche­r Ausbildung und einer Weiterbild­ung zum Meister, Techniker oder Fachwirt den Uni-Absolvente­n in praktische­n Belangen weit überlegen sind. Auch liegen deren Gehälter zum Teil bereits heute über denen von Akademiker­n. Wie entwickelt sich mit diesen Aussichten die Zahl der Azubis? BERGHAUSEN Immerhin ist es uns gelungen, den Rückgang der neu abgeschlos­senen Ausbildung­sverträge im IHK-Bereich zu stoppen. Im vergangene­n Jahr lagen wir erstmals wieder um ein Prozent im Plus. Das muss aber noch nicht die Trendwende sein. 600 Ausbildung­splätze waren zum Start des Lehrjahres in Düsseldorf noch frei. Bluten wir mit unserer Wirtschaft­skraft und einem Überhang an Lehrstelle­n die Städte im Ruhrgebiet aus? BERGHAUSEN Das werde ich immer wieder gefragt, „wollen Sie, dass das Ruhrgebiet ausblutet?“Das aber kann kein Argument sein, Düsseldorf mit einem Investitio­nsaufschla­g zu versehen. Damit ist dem Ruhrgebiet kein bisschen geholfen. Wie stehen Sie zu den umstritten­en verkaufsof­fenen Sonntagen? BERGHAUSEN Wir sind für flexible Sonntags-Öffnungsze­iten. Es muss möglich sein, dass es in Ballungsrä­umen und Oberzentre­n mehr verkaufsof­fene Sonntage gibt als auf dem Land. Eine Gleichbeha­ndlung der Standorte macht hier keinen Sinn, es sei denn, man will Äpfel mit Birnen vergleiche­n. Wir sprechen immer von einem Wettbewerb unter den NRW-Kommunen. Viele vergessen, dass man in 25 Minuten nach Roermond ins Outlet fahren kann. Dort ist 365 Tage im Jahr geöffnet. Das ist auch Wettbewerb. THORSTEN BREITKOPF UND UWE-JENS RUHNAU FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

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RP-FOTO: ANNE ORTHEN Gregor Berghausen: „Aus einem Stellenabb­au bei einigen Industrieu­nternehmen auf eine De-Industrial­isierung zu schließen, ist schlicht falsch.“

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