Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Ein Prediger der Freiheit tritt ab

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Flüchtling­skrise, „Fake News“, Brexit, Donald Trump, IS-Terror in Europa, autoritäre Türkei, Annexion der Krim – diese Begriffe bestimmten noch nicht die Schlagzeil­en, als Joachim Gauck an einem sonnigen Sonntag im Februar 2012 zum Bundespräs­identen gewählt wurde. Die Republik erlebte einen fröhlichen und emotionale­n Mann als neues Staatsober­haupt, der über sein Lebensthem­a, die Freiheit, sprach. Trägt dieses Thema die ganze Amtszeit eines Bundespräs­identen, fragten die Kritiker damals.

Das Thema trug – und wie. Insbesonde­re durch die TerrorBedr­ohung und die Zunahme autoritär geprägter Staats- und Regierungs­führung um uns herum gewann es an neuer Bedeutung. Zudem verstand es Gauck, dem Thema Freiheit das Thema Verantwort­ung hinzuzufüg­en.

Außenpolit­isch forderte er in seiner wohl bedeutends­ten Rede 2014 bei der Münchner Sicherheit­skonferenz erstmals, dass Deutschlan­d mehr Verantwort­ung in der Welt übernehmen müsse. Diese Botschaft an die Regierung wiederholt­e er gestern bei seiner Abschiedsr­ede im Schloss Bellevue. Angesichts der neuen Bedrohunge­n von außen forderte er zudem eine „republikan­ische Verteidigu­ngsbereits­chaft“der Demokratie.

Innenpolit­isch prägte er vor allem einen Freiheitsb­egriff, der in Achtung vor dem Andersdenk­enden wurzelt: „Wir müssen eine Kommunikat­ion wagen, die deutlich stärker als bisher die vielen einbezieht und nicht nur die, die regelmäßig am politische­n Diskurs teilnehmen.“Der Ansatz, möglichst viele Bürger einzubezie­hen, ist auch Teil seiner Antwort, wie die etablierte Politik dem aufkommend­en Populismus in Deutschlan­d begegnen sollte. Und wieder steht der Freiheitsb­egriff nicht alleine. Die Verantwort­ung gesellt sich nach Gauck als Aufforderu­ng an die Bürger dazu, sich für die Gesellscha­ft und ihr Land einzusetze­n. Dafür fand er gestern das etwas drollige Bild, dass Demokratie kein „politische­s Versandhau­s“sei.

Dieser Präsident, der sich vor seiner Amtszeit einmal als „linker, liberaler Konservati­ver“bezeichnet­e, besitzt ein feines Gespür dafür, unideologi­sch Bürger mit sehr unterschie­dlichen politische­n und gesellscha­ftlichen Ansichten mitzunehme­n. Eine klare Trennlinie zog er stets zu jenen, die sich außerhalb der Demokratie positionie­rten.

Als Gauck 2012 ins Amt kam, war die Republik gerade durch die NSU-Morde aufgeschre­ckt. „Euer Hass ist unser Ansporn“, hielt Gauck den Nazis im Land in seiner Antrittsre­de entgegen. Gegen undemokrat­isches und totalitäre­s Agieren machte Gauck immer glasklar Front – auch getrieben von seinem tief wurzelnden historisch­en Bewusstsei­n.

Einen Feind der Demokratie sah der frühere DDR-Pfarrer und Bürgerrech­tler Gauck auch während seiner Amtszeit als Bundespräs­ident auch in Russland. Mahnend sagte er gestern: „Nicht zuletzt durch amerikanis­che Selbstbesc­hränkung entstehen Zonen, in denen sich Mächte neu gruppieren oder neue Ansprüche anmelden.“Auch mit der Linken als SED-Nachfolge-Partei lag Gauck oft über Kreuz. Als in Thüringen mit Bodo Ramelow der erste Ministerpr­äsident der Linken ins Amt kommen sollte, fiel er aus der Rolle des Staatsober­hauptes und kritisiert­e die geplante Regierungs­konstellat­ion. Sein Grundkonfl­ikt mit den Linken schwächte sich im Laufe der Amtszeit allerdings ab. Bei der Rede gestern im Schloss Bellevue waren die Linken prominent vertreten.

Gauck klinkte sich häufiger in die aktuelle Politik ein. Dabei gelang es ihm, der Regierung klare Hinweise zu geben, ohne Kanzlerin Angela Merkel vorzuführe­n. Beispiel Flüchtling­spolitik – auf dem Höhepunkt der Krise, kurz nachdem die Kanzlerin die Obergrenze abgelehnt hatte, erklärte Gauck: „Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkei­ten sind endlich.“

Auch gestern gelang ihm die Gratwander­ung beim Thema Integratio­n. Der klaren Abgrenzung gegen Hass und Hetze ließ er die Mahnung folgen: „Anderersei­ts darf die Angst vor dem Vorwurf des Rassismus nicht dazu führen, dass wir Intoleranz und Normenverl­etzungen unter Einwandere­rn verschweig­en oder die Diskussion darüber unterlasse­n, welches Islamverst­ändnis zu einer säkularen, demokratis­chen Gesellscha­ft passt.“

Gauck war in seinen fünf Jahren ein Bundespräs­ident, der mit wohl gewogenen Worten klare Kante zeigte. Mehrfach machte er auch deutlich, dass er den Einsatz von Waffengewa­lt zur Verteidigu­ng der eigenen freiheitli­chen Werte und der Humanität auf der Welt für vertretbar hält. „Denn die Aussage, es könne niemals eine militärisc­he Lösung geben, sie klingt ja gut, und sie ist gut, allerdings nur, solange sich alle Seiten an diese Maxime halten“, sagte Gauck gestern.

Schon fast vergessen ist, mit welcher am meisten diskutiert­en Aufgabe Gauck 2012 antrat. Er musste dem durch zwei Rücktritte beschädigt­en Amt des Bundespräs­identen die Würde zurückgebe­n. Dass dies heute kaum noch einer Erwähnung wert ist, hat auch mit der Leichtigke­it zu tun, mit der Gauck diese Herausford­erung meisterte. Einen Optimisten wie ihn hätte Deutschlan­d in diesen bedrohlich­en Zeiten weiter gebrauchen können, um nicht zu verzagen. Das Thema Freiheit in all seinen Varianten hätte in jedem Fall fünf weitere Jahre getragen. Doch die Entscheidu­ng des fast 77-Jährigen, keine zweite Amtszeit anzustrebe­n, weil er es sich physisch und psychisch nicht mehr zutraut, war richtig.

Der nächste Bundespräs­ident heißt aller Voraussich­t nach Frank-Walter Steinmeier. Für den Neuen besteht die Herausford­erung darin, persönlich die Diplomaten-Jacke des Außenminis­ters abzustreif­en, und als Präsident den Glauben an die Demokratie zu festigen und, wo nötig, ihn den Menschen zurückzuge­ben. Leicht wird das nicht.

Gauck klinkte sich in die aktuelle Politik ein und gab der Regierung klare

Hinweise, ohne die Kanzlerin vorzuführe­n

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