Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Grüne wählen bürgerlich

- VON BIRGIT MARSCHALL FOTO: ACTION PRESS

Parteichef Özdemir gewinnt die Urwahl äußerst knapp. Eine Vorentsche­idung für Schwarz-Grün im Bund soll das aber nicht sein.

BERLIN Cem Özdemir sieht blass aus an diesem Mittwoch in Berlin-Wedding. Der Grünen-Vorsitzend­e steht verkniffen neben Katrin GöringEcka­rdt, der Chefin der Bundestags­fraktion, die selbstbewu­sst lächelt. Eigentlich müsste Özdemir froh und erleichter­t sein. Schließlic­h hat er soeben gegen zwei starke Konkurrent­en die Urwahl zur Spitzenkan­didatur gewonnen. Özdemir wird neben Göring-Eckardt das Gesicht der Grünen im Bundestags­wahlkampf sein.

Doch sein Sieg bei der Urwahl, an der sich 59 Prozent der 61.000 Parteimitg­lieder beteiligt haben, war weniger eindeutig als erwartet. Der 51-jährige türkischst­ämmige Schwabe konnte sich nur mit einer hauchdünne­n Mehrheit von 75 Stimmen gegen Schleswig-Holsteins Vize-Regierungs­chef Robert Habeck durchsetze­n. Keine Chance hatte dagegen der Parteilink­e und Fraktionsc­hef Anton Hofreiter, der auf 26 Prozent der Stimmen kam.

Mit etwas mehr Glück hätte also Habeck die Grünen angeführt, und Özdemirs politische Karriere wäre womöglich vorbei gewesen. Klarer Rückhalt der Parteibasi­s sieht anders aus, dementspre­chend demütig präsentier­t sich nun Özdemir. Doch Sieg sei Sieg, sagt er trotzig auf die Frage, wie er selbst das Zitter-Ergebnis bewertet. Habeck und er unterschie­den sich in ihren politische­n Positionen kaum. Wenn sich 70 Prozent der Mitglieder für Habeck oder ihn entschiede­n hätten, bedeute das auch, dass 70 Prozent seine, Özdemirs, Positionen unterstütz­en. Das bestärke ihn.

Da ist es aber schon widersprüc­hlich, wenn Özdemir und GöringEcka­rdt anderersei­ts behaupten, mit diesem Urwahlerge­bnis sei keine Vorentsche­idung über den künf- tigen Kurs der Grünen gefallen. Özdemir und Göring-Eckardt sind beide entschiede­ne Vertreter des Realo-Flügels, der einem schwarz-grünen Bündnis oder auch einer Jamaika-Koalition mit der Union und der FDP den Vorzug vor einem rot-rotgrünen Linksbündn­is geben würde. Anders als 2013, als der Parteilink­e Jürgen Trittin neben Göring-Eckardt Spitzenkan­didat gewesen war, geht die Öko-Partei nun 2017 mit einem Duo in den Wahlkampf, das die bürgerlich­e Mitte anspricht.

Die Grünen blieben aber bei ihrem Kurs der Unabhängig­keit, versichern beide Kandidaten. Es werde darum gehen, die Partei als eigenständ­ige Kraft so stark wie nur möglich zu machen.

Dennoch blinken Özdemir und Göring-Eckardt bereits schwarzgrü­n, indem sie etwa betonen, wie sehr sie auf die Unterstütz­ung von Winfried Kretschman­n bauen. Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident, der mit Abstand beliebtest­e Grünen-Politiker der Republik, kämpft auch im Bund für SchwarzGrü­n. Den Sieg Özdemirs bei der Urwahl bejubelte er bei Twitter.

So viel Realo-Übermacht könnte allerdings die Arbeit des neuen Spitzenduo­s erschweren, wenn nämlich die Parteilink­en aufbegehre­n. Es wird aber die wichtigste Aufgabe der beiden Spitzenkan­didaten sein, die zerstritte­ne Partei vor der Bundestags­wahl wieder zu einen.

Mit Entsetzen hatten viele auch bei den Grünen zu Jahresbegi­nn registrier­t, wie Parteichef­in Simone Peter, Vertreteri­n der Parteilink­en, Minuspunkt­e einsammelt­e, weil sie den Einsatz der Kölner Polizei in der Silvestern­acht mit einer unbedach- ten Äußerung in Misskredit gebracht hatte. Peter musste daraufhin viel Kritik einstecken, weil ihre Äußerungen das Klischee bedienten, die Grünen stünden mit der Polizei auf Kriegsfuß. Dass die Partei in Umfragen auf 8,5 Prozent absackte, könnte auch auf diesen Vorfall zurückzufü­hren sein.

Aus der CSU-Sicht schlingern die Grünen mal gefährlich nach links, dann wieder in die Mitte. „Das knappe Ergebnis zeigt, wie zerrissen, unberechen­bar und damit auch unzuverläs­sig die Grünen sind“, sagte CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer. Vor allem der Beschluss des jüngsten Grünen-Parteitags für eine Vermögenst­euer wurde allgemein als Linksruck interpreti­ert. „Bei ihrem Parteitag sind die Gaga-Grünen mit Karacho scharf nach links abgebogen und haben sich von der bürgerlich­en Mitte der Gesellscha­ft entfernt“, meint Scheuer.

Dabei hatten die Grünen ihre Vermögenst­euer an schwer umsetzbare Bedingunge­n geknüpft. So solle sie nur kommen, wenn sie einträglic­h, verfassung­skonform und nicht mittelstan­dsfeindlic­h sei. Auch Özdemir verweist wieder auf diese drei Klippen, die zu umschiffen wären.

Özdemir und Göring-Eckardt hoffen auf Schützenhi­lfe der beiden Unterlegen­en. Die signalisie­rten Habeck und Hofreiter gestern auch – allerdings betonte Habeck zugleich, er werde sich nun „mit 120 Prozent“auf Schleswig-Holstein konzentrie­ren. Özdemir hatte den heimlichen Vordenker schon als nächsten Parteivors­itzenden ins Gespräch gebracht. Doch daraus wird wohl vorerst nichts.

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Cem Özdemir (51) und Katrin Göring-Eckardt (50) stellen sich in Berlin vor.

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