Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der geschmeidi­ge Signor Tajani

- VON MATTHIAS BEERMANN

Der neue Chef des Europaparl­aments ist ein Meister der lautlosen Deals. Und das ausgerechn­et als Vertrauter von Silvio Berlusconi.

DÜSSELDORF Wer Antonio Tajani einmal begegnet ist, dem fällt es schwer zu glauben, dass dieser edel ergraute Herr mit den distinguie­rten Manieren und den tadellos sitzenden Anzügen irgendwie anecken könnte. Das Lächeln des 63-Jährigen ist warm, sein Händedruck fest. Man würde ihm blind einen Gebrauchtw­agen abkaufen. Trotzdem hat die Wahl Tajanis zum neuen Präsidente­n des Europaparl­aments für viel böses Blut gesorgt. „Eine Provokatio­n“sei der Italiener, schimpfte der SPD-Abgeordnet­e Udo Bullmann und sprach damit den meisten linken Europaparl­amentarier­n aus tiefstem Herzen. In ihren Augen hat Tajani vor allem einen schweren Makel, und der heißt Silvio Berlusconi.

Lange, sehr lange hat Tajani im Schatten des „Cavaliere“Karriere gemacht. Als Berlusconi im Winter 1994 mit einer Handvoll Getreuer seine Partei „Forza Italia“gründete, war Tajani dabei. Zuvor hatte er sechs Jahre lang die römische Redaktion der stramm rechten Tageszeitu­ng „Il Giornale“geleitet, die der Familie Berlusconi gehört. Als Ministerpr­äsident berief ihn Berlusconi zu seinem Pressespre­cher. Ein Amt, das Tajani nie wirklich wahrnehmen musste, weil sich sein Chef ähnlich wie ein gewisser Donald Trump zwei Jahrzehnte später lieber höchstpers­önlich um die Medien kümmerte. Tajani bekam eine andere, weit bedeutende­re Aufgabe, als er 1994 ins Europaparl­ament gewählt wurde – er agierte dort als Berlusconi­s Statthalte­r. Seine Mission: die Vorbehalte insbesonde­re der deutschen und französisc­hen Konservati­ven gegenüber „Forza Italia“brechen und für die Anerkennun­g der Berlusconi-Partei durch die Europäisch­e Volksparte­i (EVP) sorgen. Tajani erledigte den Job auf seine Art: lautlos und geschmeidi­g.

Tajani, dem es in seiner Heimat nicht gelingen wollte, politisch zu reüssieren – so scheiterte er 2001 Ein Mitglied der EVP-Fraktion

im Europaparl­ament mit dem Versuch, Bürgermeis­ter von Rom zu werden –, verlegte sich schließlic­h ganz auf eine Existenz im europäisch­en Biotop, das einem Mann mit seinen Fähigkeite­n ideale Bedingunge­n bot. Seit 2002 ist Taja- ni Vizepräsid­ent der EVP. Von 2008 bis 2014 war er Mitglied der EUKommissi­on, zuerst als Kommissar für Verkehr, später als Industriek­ommissar. Als er die Kommission verließ, um wieder Abgeordnet­er zu werden, verzichtet­e Tajani auf das ihm zustehende Übergangsg­eld von 468.000 Euro. Das war anständig, zugleich aber auch ein kluger politische­r Schachzug.

Fast ein Vierteljah­rhundert lang ölt Tajani nun schon die Zahnräder im Maschinenr­aum der EU, und diese politische Langlebigk­eit ist heute seine größte Stärke. In dieser Zeit hat er ein dichtes Netz von Kontakten geknüpft und unzähligen Politikern über alle politische­n Lager hinweg den einen oder anderen Gefallen erwiesen. So macht man sich selbst politische Gegner gewogen. Sein Meisterstü­ck gelang Tajani, als er 2008 von der italienisc­hen Regierung als EU-Kommissar nominiert wurde, obwohl damals Linkspremi­er Massimo D’Alema bereits seinen Ziehvater Berlusconi in Rom abgelöst hatte.

Die Wahl zum Parlaments­präsidente­n habe Tajani auch deswegen gewonnen, „weil er immer loyal war und weil jeder Abgeordnet­e ihn persönlich kennt“, beschreibt der CDU-Abgeordnet­e Andreas Schwab dessen Erfolgsrez­ept. „Er hat eigentlich keine echten Feinde“, bestätigt ein anderes EVP-Mitglied hinter vorgehalte­ner Hand, „und viele verdanken ihm etwas.“Die Wahl des Italieners ist ein Triumph des Netzwerken­s und zugleich nicht ohne Ironie. Denn der Berlusconi-Freund Tajani folgt im Amt des Parlaments­präsidente­n auf den Deutschen Martin Schulz, dessen steile europäisch­e Karriere ebenfalls von Berlusconi befeuert wurde, wenn auch sicher unbeabsich­tigt.

2003 verursacht­e der italienisc­he Premier während der Vorstellun­g der italienisc­hen Ratspräsid­entschaft im Straßburge­r Parlament einen Eklat. Erbost durch bissige Kritik des SPD-Politikers, empfahl Berlusconi Schulz, sich doch für die Rolle eines KZ-Aufsehers in einer Fernsehser­ie zu bewerben. Berlusconi­s verbale Entgleisun­g löste prompt einen Sturm der Empörung aus und verhalf dem damals außerhalb des europäisch­en Politikbet­riebs noch weitgehend unbekannte­n Schulz mit einem Schlag zu Popularitä­t. Und wieder war es Tajani, der hinter den Kulissen diskret die Scherben auffegte. „Er hat damals auf Berlusconi eingewirkt und erreicht, dass dieser sich bei Schulz entschuldi­gte“, erinnert sich der CSU-Europaabge­ordnete Markus Ferber.

Seine Nähe zu Berlusconi ist freilich nicht Tajanis größtes Problem. Wenn der gewandte Italiener in den kommenden Monaten über etwas stolpern sollte, dann über seine Rolle in der „Dieselgate“-Affäre. Ende 2016 musste er sich vor einem Untersuchu­ngsausschu­ss im EU-Parlament für seine Rolle im AbgasSkand­al rechtferti­gen, war er als Industriek­ommissar doch für die Regulierun­g der Autobranch­e zuständig. Die Abgeordnet­en warfen ihm vor, zu viel Rücksicht genommen zu haben und Hinweisen auf die Manipulati­onen nicht nachgegang­en zu sein. Tajani wies die Vorwürfe zurück. Ruhig und höflich. Wie immer.

„Er hat eigentlich keine echten Feinde, und viele verdanken ihm etwas“

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