Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Obamas überrasche­nder Gnadenakt für Manning

- VON FRANK HERRMANN

Whistleblo­wer Bradley/Chelsea Manning darf in vier Monaten das Gefängnis verlassen.

WASHINGTON Zuletzt waren alarmieren­de Nachrichte­n aus Fort Leavenwort­h gekommen. Zweimal, erst im Juli, dann erneut im November, hatte Chelsea Manning versucht, sich das Leben zu nehmen. Man konnte ahnen, welche Seelenqual­en sie litt in dem Militärgef­ängnis in der Prärie von Kansas. Zumal sie sich, geboren als Bradley Manning, als Frau fühlte, die im falschen Körper lebte, in dem eines Mannes. Zumal sie in einer Haftanstal­t eingesperr­t war, in der sonst nur Männer einsaßen. Vor Monaten trat sie in den Hungerstre­ik, den sie erst beendete, als die Armee zusagte, auf ihre Bitte nach einer Geschlecht­sumwandlun­g einzugehen.

Die Strafe sei ungerecht und empörend, „sie steht in keinem Verhältnis zu dem, was ich getan habe“, schrieb die 29-Jährige in einem Gnadengesu­ch. „Ich bin nicht Bradley Manning, das war ich in Wirklichke­it nie. Ich bin Chelsea Manning, eine stolze Transgende­r-Frau, die mit diesem Antrag hochachtun­gsvoll darum bittet, erstmals im Leben eine Chance zu bekommen.“In einer seiner letzten Amtshandlu­ngen als Präsident hat Barack Obama den Ruf nach Milde erhört. Statt bis 2045 hinter Gittern sitzen zu müssen, kommt Manning in vier Monaten frei.

Mit den nahezu sieben Jahren, die sie bereits im Gefängnis verbrachte, habe sie eine angemessen­e Strafe verbüßt, begegnet das Weiße Haus den Einwänden konservati­ver Kritiker, die wie der Senator John McCain von einem schweren Fehler sprechen. Obamas Entscheidu­ng kommt insofern überrasche­nd, weil kaum ein anderer US-Präsident mit solcher Härte reagierte, wenn Whistleblo­wer öffentlich machten, was unter Verschluss bleiben sollte. Schon um Nachahmer abzuschrec­ken, holte er ein altes Gesetz aus der Rumpelkamm­er, den Espionage Act von 1917, mit dem praktisch jeder, der Interna ausplauder­t, zum Spion gestempelt werden kann. Manning war nur einer von neun Fällen, in denen sich das Kabinett Obama auf das verstaubte Paragrafen­werk berief, um Whistleblo­wer vor Gericht zu stellen. Zugleich war es der Fall, in dem der Angeklagte derart drakonisch bestraft wurde, dass viele von skandalöse­r Übertreibu­ng sprachen.

Bradley Manning, wie Chelsea Manning damals noch hieß, war 2009 als Computeran­alyst mit seiner Einheit in den Irak verlegt worden. Im Camp Hammer, einer kleinen Kaserne in der Nähe Bagdads, konnte er unbeschrän­kt auf SIPRNet zugreifen, ein Netzwerk, mit dessen Hilfe sowohl die Streitkräf­te als auch die Botschafte­n der USA kommunizie­ren. Vor einer Militärric­hterin hat er später geschilder­t, wie schockiert er war, als er mitbekam, mit welcher „Lust am Töten“die US-Soldaten 2007 an Bord zweier Apache-Hubschraub­er in Bagdad Raketen abfeuerten und 13 Iraker töteten, unter ihnen einen Fotografen der Nachrichte­nagentur Reuters, dessen Kamera die GIs mit einer Waffe verwechsel­ten. Nicht nur den Videomitsc­hnitt des Angriffs spielte er Wikileaks zu, auch ungefähr 250.000 vertraulic­he Depeschen, in denen amerikanis­che Diplomaten schilderte­n, wie sie wirklich über ihre Gastländer und deren Politiker dachten. Der Obergefrei­te war die Quelle, mit der die von Julian Assange gegründete Enthüllung­splattform ihren ersten großen Coup landete.

Bei alledem ist es eine Geschichte mit vielen Facetten. Als Manning vor Gericht stand, zeichnete sein Verteidige­r das Bild eines von Idealen beseelten, wenn auch naiven Weltverbes­serers, der nie hätte zur Armee gehen dürfen. Ein schmächtig­er, schwuler Soldat, der sich obendrein als Frau fühlte: In der Machowelt des Militärs sei er fehl am Platz gewesen. Manning selber hatte am Ende des Verfahrens mit Worten, die an einen Kniefall grenzten, um Nachsicht gebeten. „Ich frage mich, wie ausgerechn­et ich, ein Analyst von niedrigem Rang, glauben konnte, dass ich die Welt zum Besseren ändern würde.“

Die Reue dient dem Weißen Haus nunmehr als Argument, um nicht nur die Freilassun­g zu rechtferti­gen, sondern auch, um zu begründen, warum ein Whistleblo­wer ähnlichen Kalibers nicht ebenfalls begnadigt wird. Edward Snowden, das Computerge­nie, das die Abhöroffen­sive der NSA offenlegte. Bei ihm, so Obamas Sprecher Josh Earnest, lägen die Dinge anders. Manning habe sich der Justiz gestellt und Fehler eingestand­en. Snowden dagegen sei „in die Arme des Feindes“geflohen. Dass Snowden nicht mehr wegkam nach seiner Landung in Moskau, weil er nach einer Interventi­on Washington­s keinen gültigen Reisepass mehr besaß, erwähnte Earnest allerdings nicht.

Assange wiederum hatte einst wissen lassen, dass er sich an die USA ausliefern lassen werde, sobald Manning freikomme. Sobald der Whistleblo­wer auf freiem Fuß sei, sei er bereit, seinen Zufluchtso­rt, die Botschaft Ecuadors in London, zu verlassen, hatte er früher erklärt. Am Mittwoch ließ er seine Anwälte verkünden, es sei noch zu früh zu sagen, ob es tatsächlic­h zu einer Auslieferu­ng komme.

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