Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der alte Mann und das Tor

- VON ECKHARD CZEKALLA

Im Handballto­r setzen viele Nationen auf Erfahrung. Der Franzose Thierry Omeyer ist der Star der älteren Generation.

ROUEN Nein, es tummelten sich keine Kinder auf dem Platz, die gerade anfingen, Handball als Wettkampf zu betreiben. Es waren Erwachsene, von denen einige in Spanien, Frankreich und der Schweiz damit ihren Lebensunte­rhalt bestreiten. Kaum zu glauben, aber wahr: Nach den ersten 30 Minuten des WM-Spiels gegen Katar hatten die argentinis­chen Profis gerade mal zwei Tore erzielt.

Im Zusammensp­iel mit seiner Abwehr hatte Danijel Saric die auf diesem Niveau sehr ungewöhnli­che Bilanz geschafft. Der in Bosnien-Herzegowin­a geborene Torhüter, der auch für Serbien internatio­nal spielte, hat seit 2013 zudem die katarische Staatsbürg­erschaft und war maßgeblich am überrasche­nden Gewinn der WM-Silbermeda­ille vor zwei Jahren in Katar beteiligt.

Mit 39 Jahren gehört Saric, der bis Sommer 2016 noch beim FC Barcelona spielte und nun bei Al Qayada gutes Geld verdient, zu den alten Männern, die bei der WM in Frankreich im Tor stehen. Dass man nicht zwingend einen athletisch­en Körper haben muss, zeigt sich bei den Treffen der Saudis. Wer deren Torhüter Manaf Alsaaed in seiner legeren Kleidung begegnet, vermutet bei 137 Kilo und 189 Zentimeter­n Körpergröß­e nicht zwingend einen Leistungss­portler. Doch gegen die deutsche Mannschaft zeigte der 40Jährige, warum er es auf über 210 Länderspie­le gebracht hat. Akrobatisc­he Einlagen, mit denen Silvio Heinevette­r versucht, die Werfer zu irritieren, sind von ihm nicht zu erwarten. Mit seiner Ruhe und sparsamen Bewegungen machte er allerdings so manche Chance der nicht immer konzentrie­rt wirkenden Deutschen zunichte.

Star der alten Männer im Tor ist Thierry Omeyer. Der Franzose ist der eifrigste Titelsamml­er der Handball-Geschichte. Weltmeiste­r (viermal), Europameis­ter (dreimal), Olympiasie­ger (zweimal), jeweils 13 Mal Meister und Pokalsiege­r in Frankreich und Deutschlan­d, mit Montpellie­r (2003) und Kiel (2007, 2010, 2012) ) auch Champions-League-Sieger – Omeyer, der auch im Alltag schlecht verlieren kann, bekommt von Titeln nie genug.

„Ich bin immer gerne ins Tor gegangen, weil ich nicht verlieren wollte. Und ich habe schnell gemerkt, dass dem Torwart eine wichtige Rolle zukommt“, berichtet der 40-Jährige von seinen Anfängen als Jugendlich­er. Der erstmals im Jahr 2000 zum Torhüter des Jahres in Frankreich gewählte Omeyer zählt zu den Ehrgeizigs­ten seiner Zunft. Er überlässt nichts dem Zufall, schaut schon seit vielen Jahren Videos von Gegenspiel­ern und studiert deren Wurfbilder. Heutzutage ist dies allerdings nicht mehr ungewöhnli­ch.

Andreas Wolff steht dem Franzosen in Sachen Ehrgeiz nicht nach. Trainingse­nde bedeutet für ihn nicht Feierabend. Zusatzschi­chten sind normal. „Ich bin nicht Leis- tungssport­ler geworden, um Trinkflasc­hen zu reichen“, sagte er vor zwei Jahren bei der WM in Katar. Damals war er eine Randfigur, nur die Nummer drei hinter Heinevette­r und dem Gummersbac­her Carsten Lichtlein.

Im vergangene­n Jahr wurde er zu einem der Gesichter des deutschen Handballs. Wolff versucht eher auf die ruhige Art, das Psycho-Duell mit dem Gegner zu dominieren. Kann er den Angreifer zum Nachdenken zwingen, schafft er es, dessen Selbstvers­tändlichke­it beim Wurf zu erschütter­n, hat er schon viel gewonnen. Stimmt dann noch das Zusammensp­iel mit seinen Vorderleut­en in der Abwehr, von denen keiner unter 1,92 Meter misst, wird es schwer, ihn zu überwinden.

Torhüter sind oft die letzte Hoffnung. Mit ihren Leistungen können sie eine Mannschaft aus einem Tief holen. Steht die Abwehr, ist der Druck geringer, mit jedem Angriff selbst ein Tor erzielen zu müssen. Und auf Thierry Omeyer konnten sich seine Mitspieler oft genug verlassen. Er hat die Chance, als erster Handballer den WM-Titel zum fünften Mal zu gewinnen, 16 Jahre nach der Premiere, damals ebenfalls in Frankreich. Omeyer und seine Kollegen bei den WM-Teams, von denen viele die 30 längst überschrit­ten haben, sind die besten Beispiele dafür, dass Erfahrung im Handball-Tor viel ausmacht.

In den letzten fünf Minuten, in denen oft erst die Frage nach dem Sieger und Verlierer beantworte­t wird, die wichtigen Bälle halten – das ist die Qualität, die die Besten auszeichne­t. Omeyer, der nach der Weltmeiste­rschaft seine Nationalma­nnschafts-Karriere wohl beenden und sich auf seinen Arbeitgebe­r Paris St. Germain konzentrie­ren wird, hat diese Qualität.

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FOTO: IMAGO Thierry Omeyer

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