Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die ideale Schauspiel­erin für unsere Zeit

- VON PHILIPP HOLSTEIN FOTO DPA

Die 26 Jahre alte Kristen Stewart macht aus der verworrene­n Produktion „Personal Shopper“einen sehenswert­en Film.

Man muss wissen, dass das kein Film mit einer klassische­n Handlung ist, es gibt im Grunde nicht mal einen Plot, und die Fragen, die der Regisseur aufwirft, bleiben sämtlich unbeantwor­tet. Trotzdem ist „Personal Shopper“von Olivier Assayas eine sehenswert­e Produktion, und der Grund ist die Hauptdarst­ellerin Kristen Stewart. Die 26-Jährige bewegt sich wie in einem Traum, das ist geträumte Gegenwart, und man schaut ihr fasziniert zu. Sie ist nicht zu fassen, und am Ende denkt man,

Man möchte ihr immerzu Multi Sanostol auf einen Löffel drücken

und hinhalten

dass vielleicht keine andere Schauspiel­erin so gut in diese Zeit passt wie die Frau aus Los Angeles.

Kristen Stewart spielt Maureen, eine Amerikaner­in in Paris. Sie arbeitet als Assistenti­n einer nicht näher definierte­n Berühmthei­t mit dem Namen Kyra. Sie muss der ständig abwesenden Chefin Kleidung besorgen, also rauscht sie auf dem Motorrolle­r durch die Stadt, von Chanel zu Cartier, und überall reicht man ihr nur das Beste an – bezahlt wird per Blanko-Scheck. Die Kleider, Gürtel und Handtasche­n legt sie meist in der Wohnung des Stars ab, eine Begegnung gibt es nur ein einziges Mal, und dabei kommt es zu keinem Dialog. Maureen hat Prokura, nur eines darf sie nicht: die Kleider der Bossin anprobiere­n. Sie tut es trotzdem.

Man wird verstehen, dass Maureen dieser Job nicht ausfüllt, aber sie braucht das Geld, außerdem kann sie beim Auftrags-Shoppen nachdenken, denn vor kurzem ist ihr Zwillingsb­ruder gestorben. Die Geschwiste­r hatten Kontakt zur Geisterwel­t, sie waren Medien, und sie gaben einander das Verspreche­n, dass derjenige, der zuerst stirbt, dem Überlebend­en aus dem Jenseits ein Zeichen sendet. Nun schaut Maureen genau hin und sieht allerorten Gespenster.

So aufgeschri­eben liest sich die Handlung hanebüchen, das muss man zugeben, aber die Kunst von Assayas liegt darin, dass dem Zuschauer das bald völlig egal ist. Im Grunde ist der Film nämlich ein Essay über Kristen Stewart, mit der Assayas schon für den Vorgängerf­ilm „Wolken über Sils Maria“zusammenge­arbeitet hat. Ihre Rolle damals war ähnlich geartet, sie spielte die rechte Hand einer von Juliette Binoche verkörpert­en FilmDiva. Damals war das eine Nebenrolle, jetzt ist Stewart in jeder Szene zu sehen.

2002 hat man sie das erste Mal wahrgenomm­en, da war sie elf und trat als Tochter von Jodie Foster in „Panic Room“auf. Dann war sie vier Mal die Bella Swan in der erst ziemlich guten und dann ziemlich doofen Vampir-Reihe „Twilight“. Mit 22 galt sie als höchstbeza­hlte Schauspiel­erin Hollywoods, und seither wechselt sie zwischen Blockbuste­rn wie „Snow White & The Huntsman“und Autorenkin­o-Produktion­en. Zuletzt sah man sie bei Woody Allen, demnächst filmt sie mit Ang Lee und Kelly Reichardt. Stewart, die Arthaus-Muse.

Am besten ist sie indes, wenn sie ein Frau aus der Gegenwart spielt wie in „Personal Shopper“. Sie trägt eine Lederjacke, die nicht wärmt, aber schützt. Sie zieht die Bündchen der Ärmel über die Fäuste, und stets wirkt sie auf hohem Niveau unbehaust. Man möchte ihr immerzu Multi-Sanostol-Sirup auf einen Löffel drücken und hinhalten, aber wahrschein­lich würde sie es nicht mitbekomme­n. Sie trägt in diesem Film fast immer Kopfhörer, weiße Kabel seilen sich aus ihren Ohren ab, und verbunden sind sie mit dem iPhone. Sie schottet sich ab gegen die Zudringlic­hkeit der Welt, sie ist mutterseel­enallein, und selbst in den Szenen, die im Trubel der französisc­hen Hauptstadt spielen, in Bahnen und Zügen etwa, lächelt sie an den Schönheite­n des Lebens vorbei. Sie duckt sich weg, sie zieht den Kopf zwischen die Schultern, als habe sie Angst vor der Zukunft; sie will irgendwohi­n zurück. Ihre Maureen ist eine Figur im Transit, immer unterwegs. Sie kommt nicht an, sie hat ja auch kein Ziel, die Bewegung allein wiegt sie in Sicherheit, sobald es still wird, spürt sie Angst.

Stewart gelingt es, übergangsl­os aus dem Zustand größter Zerbrechli­chkeit in den unverbrüch­licher Härte zu wechseln. Eben wirkte sie versonnen, dann entschloss­en, und das macht ihr Spiel so aufregend, verwirrend und irritieren­d. Sie entzieht sich immerzu. Ihr Auftritt hält den Film denn auch zusammen. Er beginnt als Paraphänom­en-Thriller und man sieht tatsächlic­h Geisterers­cheinungen samt Ektoplasma­Reflux. Daraus wird ein Psychokrim­i, als Maureen SMS von einem Unbekannte­n erhält. Irgendwann geschieht auch noch ein Mord, aber das macht nichts, denn da hat man längst begriffen, dass es Assayas in diesem wilden Genre-Gewirr mit den vielen unverknüpf­t daliegende­n Erzählfäde­n darum geht, das Erwachsenw­erden in unübersich­tlicher Zeit zu illustrier­en. Maureen wird bewusst, dass der Zustand der Geborgenhe­it hinter ihr liegt. Sie wolle eine andere sein, sagt sie, aber als jemand fragt, wer sie denn sein wolle, weiß sie es nicht.

„Personal Shopper“ist ein Film über ein Gefühl, er übersetzt eine Atmosphäre in Bilder. Kristen Stewart ist hochnervös, ständig tippt sie auf ihrem Smartphone, es gibt eine ellenlange Passage, in der sie nur simst, und diese Stelle macht einen schier wahnsinnig, weil der Soundtrack dazu aus den Signaltöne­n für eintreffen­de Nachrichte­n besteht und man denkt, dass sei das eigene Handy, das sich da meldet.

Nora von Walstätten spielt in einen Kurzauftri­tt Kyra, die Chefin von Maureen, Lars Eidinger ist ein paar Minuten lang als deren gut frisierter Partner zu erleben, ansonsten kommunizie­rt Mauren ausschließ­lich mit Unsichtbar­en.

„Personal Shopper“ist ein Showcase der Fähigkeite­n von Kristen Stewart. Sie ist der Star zur Zeit, sie ist reine Gegenwart. Irgendwann wird Maureen gefragt, was sie machen wolle. Sie zuckt mit den Schultern und sagt: „Ich bleibe hier und warte.“ Personal Shopper, Frankreich, Deutschlan­d 2016 – Regie: Olivier Assayas, mit Kristen Stewart, Lars Eidinger, 110 Min.

Bewertung:

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Maureen (Kristen Stewart) probiert heimlich das Chanel-Kleid ihrer Chefin an.

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