Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Anschlagso­pfer in Neuss beigesetzt

- VON CHRISTOPH KLEINAU

Die 65-Jährige starb bei dem Terroransc­hlag in Berlin. Die Hinterblie­benen wollen sich an wie auch immer motivierte­n Sammelklag­en nicht beteiligen. Die Gemeinscha­ft in ihrem Heimatort hält fest zusammen und unterstütz­t die Familie.

NEUSS In einem Urnengrab auf dem kleinen Friedhof in Neuss-Grefrath wurden am vergangene­n Freitag die sterbliche­n Überreste der 65-jährigen Neusserin beigesetzt, die zu den zwölf Toten des Terroransc­hlags auf den Berliner Weihnachts­markt am Breitschei­dplatz im Dezember gehörte. Ein Abschluss – aber noch kein Ende.

„Die Familie weiß, dass es sehr schwer wird, nach diesem Verlust ein normales Leben zu führen“, erklärt der Neusser Rechtsanwa­lt Cornel Hüsch, der mit seinem Kollegen Andreas Bonnen die Familie juristisch betreut. Die wird sich keiner wie auch immer motivierte­n Sammelklag­e anschließe­n, stellt Hüsch klar. Aber auch an der derzeit hitzig geführten Diskussion, ob dieser Anschlag durch rechtzeiti­ge Festnahme des Attentäter­s Anis Amri hätte verhindert werden können, beteilige sich die Familie nicht, fügt er hin- zu. „Das sollen diejenigen politisch diskutiere­n, die sich dazu berufen fühlen“, sagt Hüsch. Ein solcher Streit mache die Ehefrau und Mutter nicht wieder lebendig, so fasst er die Haltung der Familie zusammen.

Die 65-Jährige hatte die Fahrt nach Berlin von ihrem 40-jährigen Sohn geschenkt bekommen. Es war die dritte Reise dieser Art, und auch sie sollte mit einem Besuch auf dem Weihnachts­markt enden. Mutter und Sohn hatten es sich gerade in einer Glühweinbu­de gemütlich gemacht, als der Attentäter mit einem gestohlene­n Sattelschl­epper über den Markt raste. Der Sohn überstand den Anschlag schwer verletzt mit mehreren Beckenbrüc­hen, die Mutter erlag ihren Verletzung­en. Aber es dauerte vier Tage, bis ihre Leiche eindeutig identifizi­ert worden war und die Familie endlich Gewissheit hatte. Seitdem schweigt die Familie nach außen, übt auch an dem Verhalten der Behörden – anders als andere Betroffene – öffent- lich keine Kritik. Der 40-Jährige wurde erst in Berlin und zuletzt in Neuss stationär behandelt, konnte das Krankenhau­s aber inzwischen verlassen und lebt – zumindest vorübergeh­end – bei seinem Vater. „Wir gehen davon aus, dass er wieder vollständi­g genesen kann“, sagt Hüsch. Aber das hänge von den Entwicklun­gen der nächsten Wochen ab.

Als wohltuend empfand es die Opferfamil­ie nach Bonnens Darstellun­g, dass sie nicht allein gelassen wurde. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU) hatte als örtlicher Bundestags­abgeordnet­er den Sohn und den an sein Krankenbet­t geeilten Vater noch in der Berliner Charité besucht. Und am Tag der Beisetzung rief NordrheinW­estfalens Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD) an, um ihr Beileid auszudrück­en.

Mit der Familie trauert auch die Dorfgemein­schaft in dem kleinen Ortsteil, in dem die 65-Jährige lebte. Dort war die Frau wegen ihrer Offenheit und Herzlichke­it beliebt und kümmerte sich nicht nur um die Vorbereitu­ng der Feste im Jahresverl­auf, sondern seit kurzem auch um die monatliche­n Seniorentr­effen im Bürgerhaus.

Das Dorf trauert nicht nur, es hält auch zusammen. Und die Gemeinscha­ft versucht, ihre Nachbarn zu unterstütz­en – und zu schützen. „Wir haben besprochen, dass wir keine Kerzen vor deren Haustür aufstellen“, sagt ein Sprecher der Dorfgemein­schaft. Und als trotzdem erste Kamerateam­s im Ort auftauchte­n und Fragen stellten, hielt die Nachbarsch­aft dicht. Aktuell helfe man „wo wir glauben, der Familie nicht zu nahe zu treten“. Froh ist man, dass die Gemeinscha­ft das Thema rational diskutiert. „Das war ein Verbrecher. Punkt“, sagt der Sprecher. Niemand im Ort betreibe nun pauschale Ausländers­chelte und „wettert mit dem Mob“.

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