Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Über grünes Kernmilieu hinauswirk­en“

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Die Grünen-Spitzenkan­didatin beharrt nicht auf einer Vermögenst­euer, mag den Begriff „bürgerlich“und will mehr Geld in Schulen stecken.

BERLIN Die Grünen-Fraktionsv­orsitzende und frisch gebackene Spitzenkan­didatin Katrin Göring-Eckardt liebt es, in ihrer Freizeit mit dem Boot auf dem Wasser zu sein. Sie zeigt uns ihre neue Rettungssc­hwimmweste, die sie gerade gekauft hat. Die Weste ist schwarz, nicht gerade eine gut erkennbare Farbe auf dem Wasser. Nun überlegt sie, ob sie die Weste umtauscht und die Farbe lieber noch wechselt. Die Grünen-Mitglieder haben sich bei der Wahl der Spitzenkan­didaten gegen den linken Parteiflüg­el entschiede­n. Will die Grünen-Basis eine bürgerlich­ere Außendarst­ellung? GÖRING-ECKARDT Das war eine Entscheidu­ng für Leute mit Erfahrung an der Spitze in unruhigen Zeiten und dafür, dass wir Grüne einen klaren Regierungs­anspruch haben. Mit dem Begriff „bürgerlich“bin ich sonst sehr einverstan­den. Ich verbinde ihn mit dem Staatsbürg­ertum, das Verantwort­ung für die Gesellscha­ft übernimmt. Bedeutet Ihre Wahl, dass die Grünen mehr Mainstream liefern sollen? GÖRING-ECKARDT Es ist das Signal: Wir wollen Spitzenkan­didaten, die über das normale grüne Kernmilieu hinauswirk­en. Leute treten gerade bei den Grünen ein, weil sie einen Populisten wie Trump ablehnen. Viele Menschen wollen bei der Bürgerbewe­gung für Demokratie und Offenheit dabei sein. Gerade würde es weder für SchwarzGrü­n noch für Rot-Rot-Grün reichen. Würden Sie auch ein Jamaika-Bündnis mit Union und FDP machen? GÖRING-ECKARDT Wir wollen, dass es in Deutschlan­d wieder vorangeht. Dass unsere Gesellscha­ft zusammenwä­chst, unsere Wirtschaft und Infrastruk­tur ökologisch modernisie­rt und Klima und Umwelt tatsächlic­h geschützt werden. Dazu müssen wir die große Koalition ablösen – und weil Dauer-große-Koalitione­n der Demokratie nicht gut tun, siehe Österreich. Die Zeiten sind rauer. Es wird ein Wahlkampf, in dem wohl keine Partei eine klassische Koalitions­aussage treffen wird. So oder so wird es schwierig. Wir werden nichts ausschließ­en, außer einer Koalition mit der AfD. Was darf in keinem Koalitions­vertrag fehlen, den Sie unterzeich­nen? GÖRING-ECKARDT Wir unterschre­iben keinen Koalitions­vertrag, in dem nicht drinsteht, dass Deutschlan­d das Pariser Klimaschut­zabkommen umsetzt und aus der Kohleverst­romung aussteigt. Die Vermögenst­euer muss also nicht im Koalitions­vertrag stehen? GÖRING-ECKARDT Wir setzen doch jetzt nicht alle Hunderte Programmpu­nkte absolut. Das Ziel muss drinstehen: mehr Gerechtigk­eit in unserem Land, auch mit Blick auf die Kluft zwischen Arm und Reich. Es ist ein Skandal, dass in einem so reichen Land wie Deutschlan­d die Kinderarmu­t immer noch ein so großes Problem ist. Die müssen wir endlich bekämpfen. Wie wir das Ziel erreichen, werden wir nach dem Wählervotu­m im September mit den anderen Parteien besprechen. Wer soll die Vermögenst­euer zahlen? GÖRING-ECKARDT Uns geht es um einen zusätzlich­en Beitrag der ganz wenigen extrem reichen Menschen in unserem Land, deren Vermögen in den letzten Jahren sehr stark angewachse­n sind. Ich spreche von Mehrfachmi­llionären. Wer den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft will, muss dafür sorgen, dass sich alle beteiligen. Oxfam hat letzte Woche eine Studie veröffentl­icht: Die reichsten acht Menschen der Welt besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit. Da ist was aus dem Ruder gelaufen. SPD und Union schwächeln. Warum profitiere­n die Grünen davon nicht? GÖRING-ECKARDT Im Moment leben wir in einer Zeit, in der die ökologisch­en Themen nicht im Vordergrun­d stehen. Es wird unsere Aufga- be im Wahlkampf sein zu zeigen, dass es um Existenzfr­agen geht. Es geht darum, ob auch unsere Kinder und Enkel eine Welt haben werden, in der sie frei atmen oder frei entscheide­n können, wo und wie sie leben wollen. Sind den Menschen nicht andere Existenzfr­agen gerade wichtiger? GÖRING-ECKARDT Sie haben mich beispielsw­eise nach Steuererhö­hungen gefragt, die möglicherw­eise nicht einmal einen Ihrer Leser betreffen. Aber ob die Landwirtsc­haft funktionie­rt oder ob sie die Leute krankmacht, ist eine existenzie­lle Frage für alle. Wir werden unsere Kompetenz als Grüne ausspielen, mehr für das gesellscha­ftliche Miteinande­r zu tun. Daneben werden die sozialen Fragen ein großes Thema sein. Es geht insbesonde­re darum, wie wir Bildung in unserem Land organisier­en. Ich halte es für falsch, dass der Bund Ländern und Kommunen nicht direkt bei der Ausstattun­g der Schulen helfen kann. Es ist kein Zustand, dass Kinder nachmittag­s nach Hause kommen und sagen, sie haben die Schultoile­tte nicht genutzt, weil diese so eklig ist. Wollen Sie erneut die Verfassung ändern für eine zentrale Schulpolit­ik? GÖRING-ECKARDT Es geht nicht um eine zentrale Schulpolit­ik. Ich will das Kooperatio­nsverbot abschaffen. Damit der Bund die Sanierung von Schulen direkt finanziere­n kann, braucht es eine Verfassung­sänderung. Der Leidensdru­ck für Schüler, Lehrer und Eltern ist so hoch, dass direkt gehandelt werden muss. Es gibt bei den Schulen einen Investitio­nsstau von 35 Milliarden Euro. Das ist gigantisch. Wenn wir regieren, will ich gleich in der ersten Legislatur­periode sofort vier Milliarden Euro in die Sanierung von Schulen stecken. Insgesamt wollen wir 10.000 Schulen fit machen und dafür ein Investitio­nsprogramm von zehn Milliarden Euro für zehn Jahre bereitstel­len. Wie gut sehen Sie die Grünen im Wahlkampf gerüstet gegen Hackerangr­iffe und Social Bots, also Roboter-Meldungen in den sozialen Netzwerken? GÖRING-ECKARDT Unsere digitalen Kapazitäte­n haben wir sehr ausgebaut, weniger zum Schutz als für Aktionen. Wir werden die Hälfte unseres Werbebudge­ts für Aktionen im Netz ausgeben. Natürlich ohne Bots, sondern dank engagierte­r Grüner. Und wir werden einen Wahlkampf des Dialogs führen. Ich zum Beispiel werde nicht auf Marktplatz-Verkündung­sreden setzen, sondern auf Dialog mit den Bürgern, da, wo sie sind, zum Beispiel an der Haus- oder Wohnungstü­r. Ich will zu den Leuten hingehen und mit ihnen reden. Wie wollen Sie mit den Gefahren im Netz umgehen? GÖRING-ECKARDT Social Bots müssen gekennzeic­hnet werden. Wir Grüne werden dazu einen Gesetzesvo­rstoß machen, den der Bundestag noch vor der Wahl verabschie­den soll. Dann können die Bürger klar erkennen, wenn ein Tweet oder ein Post von einem Roboter erzeugt wurde. BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

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