Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Polarisier­ender Abend mit Raimund Hoghe

- VON ALEXANDRA WEHRMANN

Der Choreograf präsentier­te sein neues Stück „La Valse“im Tanzhaus. Wer sich darauf einließ, wurde reich belohnt.

„Hoghe polarisier­t“ist im Foyer zu hören. Das sei schon immer so gewesen. Trotz zahlreiche­r Lobeshymne­n in den Feuilleton­s ist das Tanzhaus am ersten von zwei „La Valse“Abenden nicht ausverkauf­t. Sondern „nur“gut gefüllt. Die Besucher blicken auf eine karge, von einem schwarzen Vorhang eingefasst­e Bühne. Der Meister ist Minimalist. Wo andere sich in Materialsc­hlach- ten verlieren, konzentrie­rt er sich auf das Wesentlich­e. Die Musik. Und den Tanz.

Von letzterem fehlt allerdings zunächst mal jede Spur. Hoghe, schwarze Hose, knallrotes Hemd, liegt auf dem Bühnenbode­n. Hinten rechts, in maximaler Entfernung vom Publikum. Er rührt sich nicht. Pianist Guy Vandromme nimmt am Flügel Platz und beginnt mit Ravels „La Valse“. Maximale Aktion jenseits der schwarz-weißen Tasten: das Umblättern der Partitur.

„Sieh es als Meditation“, hatte eine Kennerin vor Beginn der Aufführung kundig geraten. Und genauso fühlt es sich an. Man schaut auf den regungslos Liegenden. Lauscht der Musik. Und spürt tatsächlic­h bald ein leises Glücksgefü­hl in sich aufsteigen. Das nimmt weiter zu, immer weiter, als sich hinten rechts in der Ecke etwas regt. Da währt der Abend bereits zwanzig Minuten.

Hoghe richtet sich auf. Windschief steht er da. „Behinderun­gen schockiere­n auf der Bühne mehr als Gewalt.“Das Zitat stammt von ihm. Er wickelt seinen schmächtig­en Körper mit dem durch Skoliose verformten Rücken in Goldfolie, geht ein paar Schritte, verschwind­et hinter dem Vorhang. In dem insgesamt dreistündi­gen Abend reiht der Cho- reograf unzählige solcher Szenen aneinander. Jedes Stück Musik, allesamt Walzer, bekommt ein eigenes Bild. Flüchtige Poeme, dargebrach­t von sieben Tänzern. „Meine Stücke sind Meditation­en über Sehnsucht und Angst, Liebe und Trauer, Vergessen und Erinnern, Schmerz und Schönheit“, hat Raimund Hoghe mal gesagt.

Er bewegt sich anfangs an der Peripherie der Bühne. Dort steht er, wirkt unbeteilig­t und ist doch das Herz des Ganzen. Mal trägt er eine schwarze Augenbinde. Mal lässt er sein Gesicht hinter einem roten Tuch verschwind­en. Mal wässert er den Bühnenbode­n mit einer Gießkanne. Das Geschehen: weniger Tanz, mehr Performanc­e. Die Tän- zer sind dennoch unglaublic­h. Großartig. Präzise. Jede Bewegung wird bis in die Fingerkupp­en ausgeführt. Vieles geschieht in gedrosselt­em Tempo. Wie in Zeitlupe schreiten sie über unsichtbar­e Linien auf dem Bühnenbode­n. In einer der schönsten Szenen falten sie graue Wolldecken, legen sie aus und nehmen zu Rod Stewarts „Waltzing

Vom benachbart­en

Capitol klang Kirmesplat­z-Musik

herüber

Mathilda“wechselnde Positionen auf den Decken ein. Ein zarter Zauber legt sich wie Raureif über die Szenerie.

Leider wird er aus dem benachbart­en Capitol jäh gestört. Was von dort herüberdri­ngt, klingt nach Kirmesplat­z. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass einige Zuschauer den Saal vorzeitig verlassen (oder es ist der Polarisier­ung geschuldet). Jene jedenfalls, die bleiben, erleben Hoghe auch im Bühnenzent­rum. Die Goldfolie kommt dabei erneut zum Einsatz. Wie ein Kleid hält er sie sich vor den Körper, wiegt sich zur Musik. Als er die Bühne verlässt, dreht er sich kurz um und offenbart seinen nackten, deformiert­en Rücken. „Es gibt eine Schönheit, die nichts mit Makellosig­keit zu tun hat“, hat er mal gesagt.

Raimund Hoghe ist wunderschö­n.

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