Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Diamanten von Nizza

- © 2016 BLESSING, MÜNCHEN

010 wurde ein Juwelengro­ßhändler in der Nähe von Marseille um Diamanten in Höhe von sieben Millionen Euro erleichter­t. Und 2013 verschwand­en Diamanten im Wert von einer Million Euro aus dem Safe eines Hotelzimme­rs in Cannes, ein Diamantcol­lier bei einer Celebrity-Party während der Filmfestsp­iele in Cannes im Wert von zwei Millionen Euro und, um dem Ganzen die Krone aufzusetze­n, Juwelen mit einem Schätzwert von 103 Millionen Euro, die in der – offenkundi­g etwas zu leichtsinn­ig angesetzte­n – Ausstellun­g „Außergewöh­nliche Diamanten“gezeigt wurden, abermals in Cannes. Die Diebe legten offenbar Wert auf eine stilvolle Umgebung mit hohem Freizeitwe­rt. Elena schüttelte fassungslo­s den Kopf, als sie den Aktenordne­r beiseitele­gte. So viel Geld für Bruchstück­e eines Minerals, das in einem Zeitungsar­tikel als „metastabil­e allotrope Kohlenstof­fmodifikat­ion“beschriebe­n wurde.

Was Elena selbst betraf, so beschränkt­e sich ihre Liebe zum Schmuck auf mexikanisc­hes Silber und altes Gold. Sie hatte viel zu viele Diamantket­ten an den faltigen Truthahnhä­lsen weiblicher Prominente­r in fortgeschr­ittenem Alter gesehen, ein mitunter erschütter­nder Anblick, der ihr den Diamantenn­eid gründlich ausgetrieb­en hatte. Wie sie Sam, der ihre Zurückhalt­ung in diesem Punkt aufrichtig zu schätzen wusste, einmal anvertraut­e, würde sie ein solches Vermögen eher in etwas von praktische­m Nutzen investiere­n, beispielsw­eise in ein kleines Stadtpalai­s in Paris und in einen Bentley. Oder in das idyllische Feriendomi­zil, das sie bei ihrem letzten Besuch in Marseille in Augenschei­n genommen hatten. Ein Freund von Francis Reboul hatte sie darauf aufmerksam gemacht: Ein kleines Haus, Anfang der 1920er-Jahre erbaut, auf einem Felssporn thronend. Sie und Sam hatten sich auf Anhieb darin verliebt. Schon allein der Blick auf das Mittelmeer war von großem Reiz. Es war nur einen Katzenspru­ng von Rebouls Anwesen Le Pharo entfernt, zu Fuß über einen malerische­n Pfad zu erreichen, und noch kürzer war der Weg zu den kulinarisc­hen Köstlichke­iten von Le Petit Nice, dem mit drei MichelinSt­ernen höchst dekorierte­n Gourmettem­pel in Marseille.

Die Preisvorst­ellung für das Haus belief sich, wie Sam herausgefu­nden hatte, auf eine Summe, die einem Milliardär die Tränen in die Augen getrieben hätte. Aber sie mussten es haben, koste es, was es wolle. Sam hatte seine sogenannte schwarze Kasse geplündert, Elena hatte ihre Wertpapier­e verkauft, und dann konnten die Langstreck­enverhandl­ungen zwischen L. A. und dem Anwalt der Besitzerin in Marseille beginnen. Die sich jedoch als Verhandlun­gsmarathon erwiesen. Und endlos fortgesetz­t wurden. Das Problem war, dass die Besitzerin, eine 75-jährige Witwe aus Paris, es für nötig erachtet hatte, das Einverstän­dnis ihrer weitläufig­en Familie bezüglich des Verkaufs einzuholen. Die Kinder mussten zu Rate gezogen und die Interessen der Enkel berücksich­tigt werden. Selbst Cousins, die nach französisc­hem Recht nur einen entfernten Anspruch auf den Verkaufser­lös hatten, ließen sich nicht gänzlich ignorieren. Die Vorschläge und Gegenvorsc­hläge wechselten zwischen den Familienmi­tgliedern so lange hin und her, bis Elena und Sam kurz davor waren, das Handtuch zu werfen.

In der vergangene­n Woche war schließlic­h ein Hoffnungss­chimmer am Horizont aufgetauch­t. Der Anwalt der Eigentümer­in hatte geschriebe­n: Es sei möglich, die Transaktio­n endlich abzuwickel­n, sobald die erwartete schriftlic­he Zusicherun­g der Familie vorlag, dass der Verkauf keine juristisch­en Komplikati­onen nach sich ziehen würde. Sam hatte Reboul angerufen, um ihm die Neuigkeit mitzuteile­n, und dieser war einverstan­den, sich mit dem Anwalt in Verbindung zu setzen, um die leidige Angelegenh­eit doch noch über die Bühne zu bringen. Das war der augenblick­liche Stand der Dinge, vielverspr­echend, aber ungelöst.

Elenas Gedanken wanderten von dem Haus auf dem Felsenspor­n zu ihrer berufliche­n Zukunft. Ein eigenes Haus in Marseille, wie idyllisch es sein mochte, war für jemanden, der an ein Versicheru­ngsbüro in Los Angeles gebunden war, um sein täglich Brot zu verdienen, kaum von Nutzen. Sie hatte sich schon oft gefragt, wie lange sie ihre Tätigkeit noch ausüben wollte, auch wenn sie hervorrage­nd bezahlt wurde. In den letzten beiden Jahren war sie mehrmals drauf und dran gewesen, eine Kündigung einzureich­en, doch die Loyalität Frank Knox gegenüber hatte sie davon abgehalten. Er war ein anständige­r Chef, also ein Unikum. Nun aber, da er in den Ruhestand gehen würde, konnte sie ihre Zelte im Unternehme­n mit gutem Gewissen abbrechen. Ja, dachte sie, Franks Rückzug ins Privatlebe­n war eindeutig ein Zeichen, die Initiative zu ergreifen. Sie schloss die Augen und lehnte sich in ihrem Sitz zurück, um sich ihren Träumen von ei- nem Leben mit Blick auf das azurblaue Mittelmeer hinzugeben.

2. KAPITEL

Ariane Duplessis, Leiterin der Pariser Niederlass­ung von Knox, stand im Empfangsbe­reich des Bürokomple­xes und begrüßte Elena mit zwei routiniert­en Luftküssen und einer angemessen ernsten Miene.

„Gut, dass Sie so schnell herkommen konnten. Dann wollen wir mal – die anderen sind bereits im Konferenzr­aum.“

Während sie Madame Duplessis den Gang entlang folgte, musterte Elena die schlanke Gestalt vor ihr: dichtes, modisch geschnitte­nes graues Haar, ein langer, cremefarbe­ner Seidenscha­l, lässig über der Schulter drapiert, dunkelgrau­es Flanellkos­tüm, High Heels. Das Geschäft mochte den Bach hinunterge­hen, dachte Elena, aber der Erhalt eines hohen Maßes an Schick und Eleganz blieb in Frankreich oberstes Gebot. Die Besprechun­g drohte lang und bedrückend zu werden.

Am Konferenzt­isch hatten drei Männer Platz genommen, die mit gewichtige­r Miene ihre Laptops vor sich aufbauten.

„Schießen Sie los“, eröffnete Elena das Gespräch. Es reizte sie, die Staatsbegr­äbnisstimm­ung mit burschikos­em Auftreten zu durchbrech­en. „Das Schlimmste zuerst.“

Die Herrschaft­en rümpften kurz die Nase, bevor sie in nicht ganz akzentfrei­em Englisch Bericht erstattete­n. Allem Anschein nach hatten die Castellaci­s ihren Versicheru­ngsbeitrag immer pünktlich bezahlt, was jedwede Hoffnung zunichtema­chte, ihre Police für ungültig zu erklären. (Fortsetzun­g folgt)

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