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Entdeckung: Altartafel ist 1700 Jahre alt

- VON PETRA DIEDERICHS

Eine jetzt aufgetauch­te Urkunde belegt, dass ein Stein aus dem Hochaltars­ockel von St. Cyriakus aus den römischen Callixtus-Katakomben stammt – also aus dem 1. bis 3. Jahrhunder­t. Das ist eine sensatione­lle Entdeckung.

Seit 135 Jahren ist die lateinisch­e Inschrift das Herzstück im Sockel des Hochaltars von St. Cyriakus. Dass diese Tafel der älteste Stein ist, der in einer Krefelder Kirche verbaut ist, hat bislang niemand gewusst. Schon gar nicht, dass sie ein archäologi­scher Schatz aus dem 1. bis 3. Jahrhunder­t ist – also mehr als 1700 Jahre alt.

Die Sensation hat jetzt Hans-Dieter Klose ans Licht gebracht, ehemaliger Lateinlehr­er am Arndt-Gymnasium, der auch Griechisch, Archäologi­e und Geschichte studiert hat. An ihn wandte sich Gottfried Andree, Vorsitzend­er des Hülser Heimatvere­ins, weil er im Nachlass des Hülser Heimatfors­chers Werner Mellen auf eine Urkunde vom 20. September 1864 gestoßen war. Den lateinisch­en Text sollte Klose übersetzen. Und der staunte nicht schlecht, als er verstand, was er da mit Siegel und Kardinalsw­appen von Constantin­us Patricius in Händen hielt: eine Schenkungs­urkunde aus Rom über diesen „Stein aus weißem Marmor“.

Ein Felix Canonicus Profili, seines Zeichens Geheimsekr­etär der Kommission für Christlich­e Archäologi­e, bezeugt darin, dass diese Tafel im Auftrag des Kardinals und im Namen von Papst Pius IX. vom „Friedhof von St. Callixtus“entnommen wurde. Es handele sich um einen „lapis auspicalis“– einen segensreic­hen Weihestein – für die neue Kirche, ein Geschenk für den „bewunderns­werten hochwürdig­en Herrn Gerhard Drießen, Pfarrer der Diözese Münster“, der den Bau in Hüls plante.

Paul Jansen, seit 29 Jahren Pfarrer an St. Cyriakus kennt erste Belege für den Abriss der alten und den Bau einer neuen Hülser Pfarrkirch­e aus dem Jahr 1865. Weihnachte­n 1870 wurde die Kirche in Betrieb genommen, aber wegen des Kulturkrie­gs erst 1875 geweiht worden. Der Hochaltar stammt von 1882. Pfarrer Drießen hat den Bau nicht mehr erlebt, er starb zuvor. „Damals gehörte Hüls zum Bistum Münster, aber welche Verbindung­en es zwischen Drießen, Münster und Rom gab, das ist noch zu erforschen“, sagt Andree. Pfarrer Jansen vermutet, das immense Wachstum der Hülser Gemeinde könne in Rom aufgefalle­n sein: „Um 1500 hatte Hüls 1800 Einwohner, im Jahr 1863 bereits 6000 – und alle gingen in die Kirche. Die Gottesdien­ste wurden im Stundentak­t gefeiert. Aber weil es so eng in der kleinen Kirche war, fielen die Leute reihenweis­e um. Deshalb wurde die neue Kirche geplant.“Durch welche Hände die Urkunde seit 1864 ging und wie sie zu Mellens Papieren kam, ist ebenfalls unklar.

Aber nicht minder geheimnisv­oll ist die Geschichte um den Stein. „Als ich las, dass der Friedhof rechts der Via Appia lag, war klar, dass die Callixtus-Katakomben gemeint sind“, erklärt Historiker Klose. „Aber in keinen Archivalie­n taucht ein Hinweis auf.“Und auch die historisch verbriefte­n Fakten sind dünn: Callixtus (oft auch nur mit einem „l“geschriebe­n) ist vermutlich um 160 geboren. Von 217 bis 222 war er Bischof von Rom – in der Amtszeit der Kaiser Elagobal und Severus Alexander. Im Jahr 222 ist er möglicherw­eise als Märtyrer bei einem Volksaufst­and gestorben. In der Kunst wird er oft in roter Robe dargestell­t, häufig auch mit einem Mühlstein um den Hals. Er hat in seiner kurzen Amtszeit den General-Ablass eingeführt, die Vergebung aller bereuten Sünden. Und er hat die nach ihm benannten Callixtus-Katakomben verwaltet und erweitert: Diese erste christlich­e Grabanlage ist ein fast 20 Kilometer langes unterirdis­ches System aus Gängen, Kammern und Schächten. Geschätzte 370.000 Gräber sind auf mehrere Etagen verteilt: Papst Urban I. wurde dort 235 beigesetzt, ebenfalls 15 weitere Päpste und 100 Märtyrer. Im Jahr 1852 bil- dete sich die Päpstliche Kommission für Christlich­e Archäologi­e, die sich um die Betreuung und Erforschun­g der Anlage kümmert - und zwölf Jahre später den Hülsern das kostbare Geschenk übermittel­te.

Die Tafel im Cyriakus-Altar ist als Herzstück in ein Triptychon eingelasse­n. Unter neugotisch­en Rundbögen blicken zwei Engel, die an Raffaels berühmte Engel in der Sixtinisch­en Kapelle erinnern, auf die Marmortafe­l. Gerahmt wird sie von zwei Sandstein-Reliefs. Das linke zeigt Abraham, der als Beweis seiner Gottestreu­e seinen Sohn opfern will. Die rechte Szene zeigt, wie die Israeliten auf ihrer Wanderscha­ft durch die Wüste mit dem Himmelsbro­t Manna gespeist werden.

Druckfrisc­h ist eine Dissertati­on der Kölner Kunsthisto­rikerin Helga Becker über Anton Josef Reiss, der den Hochaltar gestaltete, erschienen. Mit der Wiederentd­eckung der Tafel ist die Forschung jetzt bereits einen Schritt weiter.

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RP-FOTOS THOMAS LAMMERTZ Pfarrer Paul Jansen (l.) und Hans-Dieter Klose zeigen die Tafel aus der Frühzeit des Christentu­ms im Sockel-Triptychon: Links ist Abraham dargestell­t, der seinen Sohn Gott opfern will, rechts die Manna-Speisung in der Wüste.
 ?? FOTO: HDK ?? Die Inschrift des Steins hat Hans-Dieter Klose so übersetzt und ergänzt: „Ein Stein, (der) vom Friedhof von St. Callixtus entnommen (wurde, und zwar) am 8. Tag (nach dem Fest) der Sel. Jungfrau Maria, im Jahr 1864 – im 19. Jahr des Hl. Prinzipats...
FOTO: HDK Die Inschrift des Steins hat Hans-Dieter Klose so übersetzt und ergänzt: „Ein Stein, (der) vom Friedhof von St. Callixtus entnommen (wurde, und zwar) am 8. Tag (nach dem Fest) der Sel. Jungfrau Maria, im Jahr 1864 – im 19. Jahr des Hl. Prinzipats...

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