Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Sekundarsc­hulen in Not

- VON FRANK VOLLMER

DÜSSELDORF/ALPEN Sylvia Löhrmann neigt nicht zu emotionale­n Ausbrüchen. Doch als 2012 die Schulminis­terin 42 Sekundarsc­hulen als neue Schulform für NRW auf den Weg brachte, da klangen bei ihr zumindest hohe Erwartunge­n mit: Die Sekundarsc­hule sei „eine Schule der Zukunft“, sagte Löhrmann etwa, „eine Antwort auf die bildungspo­litischen Herausford­erungen, vor denen Schulen und Kommunen stehen“. Vor Ort herrsche „eine große Aufbruchst­immung aller Beteiligte­n“.

Anfang 2017, vor der neuen Anmeldungs­runde, darf man sagen: Der große Renner ist die Sekundarsc­hule, an der Kinder bis mindestens Klasse 6 gemeinsam lernen, nicht geworden. Dabei bietet jede Schule einen festen Weg zum Abitur – das sollte ein wichtiges Argument vor allem für ländliche Kommunen sein, nach dem Motto: Abi gibt’s nicht nur in der Stadt. Die Gymnasien sollten keine Konkurrenz fürchten müssen, weil die Sekundarsc­hule keine Oberstufe hat. Und die Bildungsre­former sollten viele neue Schulen bekommen, an denen länger gemeinsam gelernt wird.

Das war die Idee. Zwar gibt es heute 117 Sekundarsc­hulen im Land; die 200, die das Ministeriu­m 2012 als Erwartung ausgegeben hatte, wurden aber deutlich verfehlt. Zudem brach die Zahl der Neugründun­gen ein: 2013 gab es 53 Anträge, 2017 noch genau einen.

Man mag das, wie es auch das Ministeriu­m tut, mit Sättigung erklären – seit dem Schulfried­en von Rot-Grün und CDU 2011, in dem die Einführung der Sekundarsc­hule vereinbart wurde, hat jede vierte Kommune eine bekommen. Allerdings sind auch die Anmeldezah­len vielerorts heikel. Das förderte im Herbst eine kleine Anfrage der FDP zutage. An 68 Sekundarsc­hulen waren die Aufnahmeza­hlen 2016 rückläufig. Jede dritte Schule liegt unter der Marke von 75 Anmeldunge­n, die gemäß Schulge- setz erforderli­ch sind, um eine Sekundarsc­hule einzuricht­en. Diese Schulen wären mit den Zahlen von 2016 also gar nicht zustande gekommen. Jede neunte hat sogar so wenig Anmeldunge­n, dass sie die schon sehr großzügig gesetzte Untergrenz­e des Ministeriu­ms für eine Fortführun­g (60) verfehlt.

Beispiel Alpen, Kreis Wesel, 12.800 Einwohner: Nie lag die Zahl der Fünftkläss­ler an der Sekundarsc­hule über 97; 2016 rutschte sie unter 60. „In unserer Region gibt es ein Überangebo­t an Schulen des längeren gemeinsame­n Lernens“, sagt Bürgermeis­ter Thomas Ahls (CDU): „In Kombinatio­n mit der Starrheit der Mindestgrö­ßen ist das problemati­sch.“Die Politik habe den ländlichen Raum zu wenig im Blick.

Dem Verkümmern vieler Sekundarsc­hulen entspricht der Boom der eng verwandten Gesamtschu­le. „Immer mehr Eltern wollen eine Schule, die direkt zum Abitur führt“, sagt Bürgermeis­ter Ahls: „Schulwechs­el oder sogar Schulortwe­chsel sind unbeliebt – damit haben alle Sekundarsc­hulen zu kämpfen.“Umgekehrt erhöht eine Gesamtschu­le die Chancen, Schüler zu halten. Gesamtschu­lgründunge­n wurden im Schulfried­en erleichter­t; seit 2012 ist ihre Zahl um fast 100 gestiegen. Zwar verzeichne­t auch von diesen etwa die Hälfte rückläufig­e Anmeldezah­len. Aber nur drei liegen unter der Mindestgrö­ße für Neugründun­gen (100).

Fünf Sekundarsc­hulen sind bereits in Gesamtschu­len umgewandel­t, fünf weitere Umwandlung­en stehen 2017 an: Zwei von Löhrmanns Lieblingsk­indern kannibalis­ieren sich, polemisch gesagt. Das sieht die Ministerin natürlich ganz anders: Die Umwandlung­en schmälerte­n „die Wirksamkei­t des Schulkonse­nses in keiner Weise. Mehr längeres gemeinsame­s Lernen war nie.“

Trotzdem steht hinter vielen Schulen ein Fragezeich­en – und für manche Experten schon hinter der ganzen Schulform. Ein Gutachten der Rosa-Luxemburg-Stiftung erwartete schon Mitte

Hinter vielen Schulen steht ein Fragezeich­en – für manche Experten sogar schon hinter der ganzen Schulform

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