Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Das Schulz-Universum

- VON MATTHIAS BEERMANN, KIRSTEN BIALDIGA UND JAN DREBES

Martin Schulz ist beliebt, obwohl er innenpolit­isch bisher kaum Profil hat. Was treibt den neuen SPD-Kanzlerkan­didaten an, wer sind seine Berater und wo lauern Fallstrick­e?

BERLIN/DÜSSELDORF Jeden Abend schreibt Martin Schulz Tagebuch, stets eine Seite im Jahreskale­nder der Sparkasse Aachen. Seit 1982 mache er das, sagte er einmal. Doch was er gestern, nach seiner Nominierun­g als künftiger SPD-Chef und Kanzlerkan­didat, in das kleine Buch eintrug, dürfte zu den bedeutends­ten Notizen seines bisherigen Lebens gehören. Genau 30 Jahre nach seinem Amtsantrit­t als Bürgermeis­ter in seiner kleinen Heimatstad­t Würselen wird Martin Schulz in den kommenden Monaten um das mächtigste Amt der Bundesrepu­blik kämpfen. Aber wie gut ist der 61Jährige darauf vorbereite­t? Wer wird ihm helfen, sein bisher kaum greifbares, innenpolit­isches Profil zu formen? Wir haben einen Blick in Schulz’ Kosmos geworfen.

Zunächst ist festzustel­len, dass der Rheinlände­r trotz seiner langen Tätigkeit in Brüssel als einstiger Fraktionsc­hef und späterer Parlaments­präsident bestens verdrahtet ist in Deutschlan­d. Er verdankt das Netzwerk seiner engen Verbundenh­eit zu seiner Heimatstad­t Würselen, wo er mit seiner Frau lebt. Schulz war also nie so richtig weg. Und zum anderen führte ihn seine Mitgliedsc­haft im SPD-Präsidium nahezu wöchentlic­h nach Berlin. Seit 1999 hat er einen festen Platz in der Parteispit­ze, Schulz kennt die Parteizent­rale, das Willy-BrandtHaus, also bestens.

Dort wird es nach seinem Einzug, so ist zu hören, kaum personelle Ver- änderungen geben, wenn Schulz den Vorsitz von Sigmar Gabriel übernimmt. Schulz werde lediglich einige wenige Mitarbeite­r aus Brüssel mitbringen, allen voran seinen engsten Berater Markus Engels.

Mit dem 49-Jährigen arbeitete Schulz seit 2011 in Brüssel zusammen, Engels ist bei allen wichtigen Treffen dabei. Auch der gebürtige Duisburger kennt das Willy-BrandtHaus gut, er leitete dort das Büro des früheren Kanzlerkan­didaten FrankWalte­r Steinmeier. Zuletzt war er Schulz’ Statthalte­r in Berlin als Chef des Hauptstadt­büros des EU-Parlaments. Engels schrieb mit Schulz bis gestern früh an dessen erster langen Rede als künftiger SPD-Chef. Engels wird Technische­r Wahlkampfl­eiter, auf Augenhöhe mit Bundesgesc­häftsführe­rin Juliane Seifert. Auch künftig wird er Schulz’ wichtigste­r Ansprechpa­rtner bleiben.

In der Parteispit­ze selbst bleibt aber auch Sigmar Gabriel in engem Austausch mit Schulz. Die beiden verbindet ein freundscha­ftliches Verhältnis, das durch Gabriels Verzicht nun noch einmal gestärkt sein dürfte. Allerdings kommt es darauf an, wie sich der neue Außenminis­ter im Wahlkampf verhalten wird. Er kündigte zwar schon an, sich ab jetzt aus der Parteiführ­ung herauszuha­lten. Doch auch bei Peer Steinbrück­s Kandidatur wollte Gabriel sich zurückhalt­en und stahl Steinbrück dann immer wieder die Show.

Verlassen kann sich Schulz im Willy-Brandt-Haus auch auf Bundesscha­tzmeister Dietmar Nietan, der aus Düren stammt und für die Finanzieru­ng des Wahlkampfs zu- ständig ist. Die beiden kennen sich aus ihrer Heimat, sind langjährig­e Weggefährt­en. Überhaupt sind sie in der rheinische­n SPD wegen der engen Verbindung schon ganz aus dem Häuschen. Beide sind FC-KölnFans. Das eint sie auch mit Generalsek­retärin Katarina Barley, die die rheinische SPD als dritte Rheinlände­rin in der Parteispit­ze zählt. „So groß war das Gewicht der rheinische­n SPD in Berlin lange nicht“, jubeln NRW-Genossen.

Dabei versteht sich Schulz aber auch gut mit Justizmini­ster Heiko Maas und Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles. Letztere ist eine wichtige Verbindung zum schwierige­n linken SPD-Flügel. Schulz ist den Lagern nicht genau zuzuordnen, das ist zunächst sein Vorteil. Er hat nicht von vorneherei­n eine bestimmte Gegnerscha­ft in den eigenen Reihen. Und auch aus seiner Rede am Sonntagmit­tag war keine Positionie­rung im konservati­ven oder linken Spektrum der SPD auszumache­n. Aber sämtliche Strömungen werden natürlich versuchen, Schulz für ihre Positionen im Wahlkampf zu gewinnen. Daran hatten auch in der Vergangenh­eit Kandidaten zu knabbern.

Einer von Schulz’ engsten Vertrauten auf Bundeseben­e ist Achim Großmann, einst Parlamenta­rischer Staatssekr­etär im Verkehrsmi­nisterium. Großmann ist ein Jugendfreu­nd, gut vernetzt im konservati­ven Seeheimer Kreis der SPD. Er trug entscheide­nd dazu bei, dass Schulz vom Alkohol loskam. Seinem Vater gehörte das Haus, in dem Schulz seine Buchhandlu­ng eröffnete.

In Kreisen der NRW-SPD heißt es, das Verhältnis zu Ministerpr­äsidentin und Parteivize Hannelore Kraft könnte besser sein. Kraft hatte sich immer für Gabriels Kandidatur starkgemac­ht, wollte möglichst wenig Veränderun­g in Berlin, um ihren Wahlkampf nicht zu stören. Manche machen aber auch einen unterschie­dlichen Politikans­atz verantwort­lich. Wieder andere meinen, es stecke die Sorge dahinter, dass Schulz als Nordrhein-Westfale Kraft irgendwann im Land gefährlich werden könne. Sowohl in Berlin als auch in Düsseldorf geht man jedoch davon aus, dass sich beide zusammenra­ufen werden.

Gleichzeit­ig hat Schulz in Europa selbst bei Konservati­ven Rückhalt. Der CDU-Europaparl­amentarier Elmar Brok lobt Schulz’ klare Aussagen etwa im Ukraine-Konflikt. Reichlich Konter bekommt Schulz jedoch von kleineren Parteien in Brüssel, stand er als Parlaments­präsident doch für die gedeihlich­e Zusammenar­beit der beiden großen Fraktionen von Konservati­ven und Sozialdemo­kraten. Abgeordnet­e der Grünen etwa empfanden die Ära Schulz freilich am Ende wie eine Kopie der großen Koalition in Berlin: Träge, selbstgere­cht und sehr, sehr deutsch. Im Bundeswahl­kampf wird das aber wohl kaum noch eine Rolle spielen. Hannelore Kraft (

hofft auf Rückenwind in NRW durch

Schulz‘ Beliebthei­t

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