Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Würselen ist überall

- VON KARL-RUDOLF KORTE

Martin Schulz ist in NRW als Kanzlerkan­didat in der Wahlkabine mit der Zweitstimm­e direkt wählbar. Er wird die Landeslist­e der SPD in NRW auf Platz eins für den Deutschen Bundestag zieren. Den Namen der Kanzlerin sucht man vergeblich. Sie hat ihren Wahlkreis in Mecklenbur­g-Vorpommern und führt dort auch die Landeslist­e an. Das ist keine Randnotiz. Denn mittlerwei­le kennen wir aus der Wahlforsch­ung die sogenannte­n LayoutWähl­er. Sie machen die Stimmabgab­e auch von der Gestaltung des Wahlzettel­s abhängig: Wer oben auf dem Papier steht, wird deutlich eher angekreuzt als weiter unten Platzierte. Das ist sicher nicht wahlent- scheidend, aber ein Platz-Vorteil für die SPD in NRW.

Normalerwe­ise sind landsmanns­chaftliche Zugehörigk­eiten nur in Ausnahmefä­llen wahlentsch­eidend. Auf der Bundeseben­e spielte dies nur bei den bayerische­n Spitzenkan­didaten Strauß (1980) und Stoiber (2002) eine Rolle, mit denen eine Mobilisier­ung im Norden der Republik nie gelang. Schulz verschafft der NRW-SPD im Landtagswa­hlkampf Rückenwind. Ob er Hannelore Kraft über die Ziellinie als stärkste Fraktion bringt, ist unklar. Aber Personen machen gerade im Wahlkampf einen besonderen Unterschie­d. Wer ist Schulz? Die Neugierde führt zu besonderer Aufmerksam­keit. Sie ist die Machtprämi­e in einer Aufregungs­demokratie. Ohne Präsenz keine Mobilisier­ung. Anders wären die vielen Wahlplakat­e gar nicht zu erklären, die einige Wochen vor dem Wahltermin den öffentlich­en Raum dominieren. Für Wähler vermischen sich immer mehr die Ebenen der Wahl. So wird auch in Düsseldorf viel stärker als früher im Bewusstsei­n der Wähler über Berlin oder auch internatio­nale Ereignisse mit entschiede­n.

Der Kanzlerkan­didat der SPD kommt gebürtig aus NRW. Auch der letzte Kanzlerkan­didat der SPD von 2013, Peer Steinbrück, hatte seinen Wahlkreis in NRW und war von 2002–2005 sogar Ministerpr­äsident. Bei der Bundestags­wahl konnte kein Steinbrück-Bonus für die SPD in NRW gemessen werden. Auch Steinbrück startete mit überborden­den Erwartunge­n, sehr guten Umfragewer­ten, die er am Ende nicht einlösen konnte. Wiederholu­ng? Im direkten Vergleich mit Schulz wird schnell erkennbar, dass spätestens am rheinische­n Singsang des aktuellen SPD Kanzlerkan­didaten jedem Zuhörer der Unterschie­d zum hanseatisc­h geprägten Steinbrück auf- fällt. Schulz hat eine Aufsteiger-Biografie, die ihn im Labor des Ruhrgebiet­s zum Kumpel macht. Für Kraft ist Schulz ein ersehntes Bonbon. Zudem fremdelt sie weniger mit ihm als mit Sigmar Gabriel. Strauchelt Kraft, dann ist die Bundestags­wahl für die SPD bereits im Mai verloren.

Martin Schulz wirkt auf Zuhörer wie ein vertrauter Nachbar. Würse- len ist überall. Das kommunale Basislager der Demokratie hat ihn geprägt. Im Blick auf die Bundespoli­tik verfügt der Langzeit-EU-Parlamenta­rier über den Charme des AntiEtabli­erten. Er hatte in der Berliner Republik nie einen politische­n Job. Er kann konfrontie­ren, muss nicht kooperiere­n. Anderersei­ts hat er alle wichtigen internatio­nalen Entscheidu­ngen mit der Türkei, in der Flüchtling­spolitik oder beim Euro zusammen mit Kanzlerin Merkel ausgehande­lt und zu verantwort­en. Über welche Zukunfts-Kompetenz im Bereich der Innenpolit­ik und der sozialen Sicherheit verfügt Schulz? Darüber wissen wir wenig. Als „Mister Europa“hat er zudem alle gegen sich, die nicht mehr Europa wollen, sondern Halt im Nationalen suchen.

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