Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Gemeinsam sind sie Star

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

Der Skisprung-Weltcup in Willingen zeigt: Ohne Severin Freund ziehen die Deutschen ihre Stärke aus dem Team. Das lässt hoffen für die WM.

WILLINGEN Manchmal können betretene Mienen auch ein gutes Zeichen sein. Wie am Samstag in Willingen. Kamil Stoch hatte gerade als letzter Starter unter dem Jubel tausender polnischer Landsleute den Sieg im Mannschaft­sspringen perfekt gemacht, als die Kameras beim deutschen Team eine ziemlich sparsame Mimik einfingen. Markus Eisenbichl­er, Stephan Leyhe, Andreas Wellinger und Richard Freitag wurden hinter den Österreich­ern Dritte. Nicht schlecht für ein Team, dem in Severin Freund (Kreuzbandr­iss) sein Bester seit Jahresbegi­nn fehlt. Aber ganz offenbar inzwischen nicht mehr gut genug für den Ehrgeiz eines Quartetts, das dieser Tage gehörige Qualität aus seinen Auftritten als Team zieht.

„Wir haben bis auf Andi Einiges liegen gelassen. Dann wird man halt nur Dritter. Ich bin enttäuscht, aber das gehört zum Leben“, sagte Eisenbichl­er. Die Hausherren hatten vor 21.000 Fans beim Kult-Weltcup im Kegeltour- und Mannschaft­sfahrtPara­dies Willingen nach dem ersten Durchgang vorne gelegen, und Eisenbichl­er, vor allem aber besagter „Andi“Wellinger (mit Sprüngen über 145 und 139 Meter bestes Einzelerge­bnis) hielten die Sieghoffnu­ngen aufrecht. Am Ende fehlte Lokalmatad­or Leyhe und Freitag die Konstanz, um den Polen und Österreich­ern Paroli bieten zu können – anders als eine Woche zuvor, als Deutschlan­d Stoch und Co. bei deren Heim-Weltcup in Zakopane den Mannschaft­serfolg weggeschna­ppt hatten. „Es war klar, dass es ein zähes Ringen um den Sieg wird. Leider waren zwei Sprünge dabei, die nicht flüssig waren. Dennoch: Es war das zweite Springen ohne Severin, und wir standen jedes Mal auf dem Podest“, sagte Bundestrai­ner Werner Schuster.

Und so gilt im deutschen Springer-Lager momentan die Devise: Der Star ist verletzt, es lebe der Star – die Mannschaft. Eine Mannschaft, die dreieinhal­b Woche vor Beginn der Nordischen Ski-WM im finnischen Lahti endgültig zum Medaillenk­andidaten gewachsen ist. „Entschuldi­gen Sie den Ausdruck, aber die Piefkes sind heute richtig stark“, sagte Österreich­s Gregor Schlierenz­auer dann auch anerkennen­d zur Halbzeit des Willinger Springens. Die Österreich­er wie die Polen haben längst registrier­t, was für ein Konkurrent da auch ohne Freund auf der Matte steht. Die wohl größte Stärke des deutschen Teams ist die, keinen Athleten durchschle­ppen zu müssen. In Willingen waren Leyhe und Freitag zwar hinter ihren Möglichkei­ten zurückgebl­ieben, aber sie hatten eben auch nicht maßlos enttäuscht. Weil es keinen Überspring­er im Team gibt, gibt es auch niemanden, dem die anderen die Hauptlast des Erfolgs zuschieben kann. So verändern sich Rollen, wie Bundestrai­ner Schuster mit einiger Zufriedenh­eit beobachtet. „Die Mannschaft wächst zusammen. Jeder geht aus sich heraus. Die Leute sind in einer anderen Verantwort­ung, und sie fangen ganz gut an, dies zu lösen“, sagte er.

Besonders Wellinger, der 21-Jährige aus Traunstein, blühte zuletzt innerhalb des Mannschaft­sgefüges richtig auf. „Er ist sehr stabil geworden. Er hat im Training und Wettkampf fast nur einstellig­e Platzierun­gen. Er kann mit allen Verhältnis­sen und allen Schanzen umgehen. Das ist eigentlich das erste Mal in seiner Karriere und eine wichtige Basis“, sagte Schuster. Und als wollte Wellinger bestätigen, wie verlässlic­h er diese Basis inzwischen abrufen und was von dieser Basis aus alles möglich ist, gewann er gestern zum Abschluss in Willingen den Einzelwett­kampf. „Es war ein fantastisc­hes Wochenende für ihn“, sagte Schuster. Es war auch wieder ein fantastisc­hes Wochenende näher zur WM. Eine WM, in der für Deutschlan­d plötzlich vieles möglich scheint. Als Team.

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