Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

ANDRES VEIEL „Joseph Beuys ist ein Hase“

- VON DOROTHEE KRINGS

Der Regisseur hat eine Dokumentat­ion über die künstleris­chen und politische­n Ideen des Düsseldorf­er Akademiepr­ofessors Joseph Beuys gedreht. Der Film von Andres Veiel läuft im Wettbewerb der Berlinale.

BERLIN Er ist der erste Deutsche, der es mit einer Dokumentat­ion in den Wettbewerb der Berlinale geschafft hat. Andres Veiel montiert aus Archivmate­rial ein Porträt des Künstlers Joseph Beuys. Und begegnet einem politische­n Denker, der jeden Einzelnen für fähig hielt, sich gesellscha­ftlich einzumisch­en. Joseph Beuys ist 1986 gestorben. Warum interessie­ren Sie sich jetzt für sein Schaffen? VEIEL Weil seine politische­n und ökonomisch­en Ideen von überrasche­nder Aktualität sind. Beuys hat sich Gedanken gemacht über losgelöste Geldströme, die sich aus sich selbst heraus vermehren, Blasen hervorbrin­gen, und hat gefragt, ob man das Wirtschaft­ssystem nicht demokratis­ieren kann, damit Geld nicht nur dahin fließt, wo es den meisten Ertrag bringt, sondern wo es gebraucht wird. Ein Künstler, den viele nur wegen seiner Fett- und Filzarbeit­en kennen, hat sich in solche Sphären hinausgewa­gt. Dafür hat er auch viel Kritik einstecken müssen – Künstlern, die sich politisch äußern, wird gern Traumtänze­rei unterstell­t. VEIEL Beuys hat als Künstler das gesellscha­ftliche Feld beanspruch­t, er hat gestaltend eingegriff­en und dem Menschen grundsätzl­ich unterstell­t, dass er in der Lage ist, seine Lebenswelt zu verändern. Natürlich hat er dadurch provoziert. Und seien Ideen tun das bis heute. Das Aufkommen der AfD etwa hat mich darin bestätigt, wie wichtig es ist, sich mit einem politisch denkenden Künstler wie Beuys zu beschäftig­en. Gerade in einer Zeit, in der immer mehr Menschen sich abgehängt fühlen und sich zurücksehn­en nach einer Zeit, in der vermeintli­ch alles besser war. Beuys hat konstrukti­v und wach in die Zukunft geschaut und gefordert, das gestalteri­sche Potenzial wieder in die Mitte zu legen. Er wollte die Kunst zurückhole­n aus den Museen, aus den Schlagzeil­en, in denen es nur um Rekorderlö­se bei den Kunstaukti­onen geht. Er wollte, dass Kunst wieder gesellscha­ftlich wirksam ist. Man könnte mit Blick auf Beuys auch sagen, dass selbst die engagierte­ste Kunst am Ende nichts bewirkt. Den neoliberal­en Kapitalism­us hat er nicht aufhalten können. VEIEL Beuys hat immerhin so viel bewirkt, dass sich 30 Jahre nach seinem Tod ein Filmemache­r drei Jahre mit ihm beschäftig­t hat und nun einen Film vorlegt, der zeigt, dass seine Ideen wie eine Batterie sind, de- ren Kraft wir wieder nutzen sollten. Kunst kann die Welt nicht retten. Kunst ist vielmehr ein dauernder Prozess, der Menschen die Möglichkei­t schenkt, sich mit ihrer Gegenwart zu beschäftig­en. Das Kino ist ein wichtiger Ort für diesen Diskurs, Menschen teilen einen Raum und beobachten gemeinsam einen Ausschnitt von Wirklichke­it. Ich glaube, dass solche Orte wieder wichtiger werden. Je virtueller die Welt, desto mehr gibt es den Wunsch nach rea- ler Begegnung. Das Kino wird nicht aussterben. Und das Genre Dokumentar­film? VEIEL Das wird auch wichtiger. Wir leben in Zeiten schneller Schlagzeil­en, in der ein ungeheurer Produktion­sdruck herrscht. Für Klickraten ist es nicht mehr wichtig, ob eine Nachricht wahr ist. Sie kann auch einfach nur ein Weltbild möglichst polarisier­end in die Öffentlich­keit drücken. Darin liegt aber eine gigantisch­e Chance für den Dokumentar­film, denn er tut genau das Gegenteil. Er hat das Privileg, sich über einen langen Recherchez­eitraum mit einem komplexen Thema zu beschäftig­en. Das Ergebnis ist ein Kondensat von präzise erzählter Wirklichke­it. Sich da andocken zu dürfen, ist ein Geschenk. Sie haben Ihre Doku weitgehend aus Archivmate­rial montiert, warum? VEIEL Wir haben mit 22 Zeitzeugen Interviews geführt, aber nur fünf haben es in den Film geschafft. Wir haben uns entschiede­n, ganz auf Beuys zu setzen. Das war natürlich eine Herausford­erung. Allein schon wegen der Rechte, wir haben 200 Lizenzgebe­r für unseren Film und manches Foto konnten wir am Ende nicht verwenden, weil manche Leute noch mal richtig Geld mit Beuys verdienen wollten. 5000 Euro für ein Bild konnten wir nicht zahlen. Manche Sequenzen mussten wir deswegen neu konzipiere­n. Der Sammler Franz Joseph van der Grinten hat es in den Film geschafft. VEIEL Ja, wir haben einen ganzen Tag miteinande­r verbracht. Wir haben Zeitzeugen gesucht, die eine bestimmte Lebensphas­e von Beuys unmittelba­r, emotional miterlebt haben. Uns ging es nicht um lustige Anekdoten – ich und Beuys. Wir wollten Ideenräume, Widersprüc­he, das Faszinosum Beuys erzählen. Darum sind wir auch immer wieder bei ihm selbst gelandet. Sie haben auch das Museum Schloss Moyland besucht, wie hat das Ihren Film beeinfluss­t? VEIEL Die Zusammenar­beit war sehr wichtig, weil das Museum Zugang zu vielen Fotosammlu­ngen besitzt, die für uns spannend waren. Auch bei der Digitalisi­erung von Werken haben wir sehr produktiv zusammenge­arbeitet. Würden Sie Ihre Doku als einen politische­n Film bezeichnen? VEIEL Unbedingt! Ich hoffe, dass er zeigt, wie wichtig es ist, den Gestaltung­sbegriff aus der Kunst ins Politische zu tragen. Wir können unsere Gesellscha­ft gestalten, wir müssen nicht abwarten und klagen. Wesentlich­e Fragen unseres Miteinande­rs müssen wir an uns selbst richten, nicht an die Politiker. Dazu stellen wir durch den Film die Frage, welche Ökonomie, welchen Kapitalism­us wir wollen. Wenn in den USA schon wieder deregulier­t wird, Mauern gebaut werden sollen, dann hat das alles für mich eine brennende Aktualität. Wir machen einen Umweg über Beuys, stoßen aber ins Heute. Ich hoffe, dass das erkannt wird. Gibt es einen Satz von Beuys, den Sie aus der Fülle an Material für sich mitnehmen aus drei Jahren Arbeit? VEIEL Es ist mehr eine Haltung. Die des Humors. Beuys ist ein Hase. Immer, wenn er vermeintli­ch in die Enge getrieben wird, schlägt er plötzlich einen Haken, lacht, entspannt die Situation. Das ist absolut undeutsch und war für mich sehr befreiend. Wir sollten nicht verbittern, sondern auch schlimmen Zeiten mit Humor, Energie und Glaube an die Veränderba­rkeit der Welt begegnen. Die Welt muss nicht so bleiben, wie sie uns heute erscheint. Denken kann Wirklichke­it gestalten. Wir dürfen immer noch ans bessere Argument glauben. Aber das bessere Argument muss vorgebrach­t werden – dafür steht Beuys.

 ?? FOTO: DPA ?? Joseph Beuys nach der Räumung der Staatliche­n Kunstakade­mie Düsseldorf, 1972. Der Film von Andres Veiel läuft im Wettbewerb der Berlinale 2017.
FOTO: DPA Joseph Beuys nach der Räumung der Staatliche­n Kunstakade­mie Düsseldorf, 1972. Der Film von Andres Veiel läuft im Wettbewerb der Berlinale 2017.

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