Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Anwältin der Frauen und Flüchtling­e

- VON LUDGER BATEN

Rita Süssmuth wird heute 80 Jahre alt. Ihren Mann und ihr Haus in Neuss sieht sie nur wenige Tage in der Woche. Die ehemalige Bundestags­präsidenti­n hat einen vollen Terminkale­nder. Sie kämpft gegen Ausgrenzun­g und für Frauenrech­te.

NEUSS Am Mittwoch diskutiert­e sie auf Einladung von Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen bei der Bundeswehr über Frauen in Führungspo­sitionen. Am Sonntag aß sie mit Künstler Christo, der 1995 den Reichstag verhüllte, zu Abend. Bald reist sie nach Albanien, wo sie Flüchtling­sheime besuchen will. Ihr Terminkale­nder ist eng getaktet. Das kennt Rita Süssmuth, die Bundestags­präsidenti­n (1988 bis 1998) und zuvor Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit (1985 bis 1988) war.

Vor 15 Jahren hat sich Süssmuth aus dem Parlament zurückgezo­gen. „Die Themen sind aber gleich geblieben“, sagt sie. Damals wie heute kämpft sie gegen Ausgrenzun­g und für Frauenrech­te; engagiert sich dafür, dass sich Politik und Kultur begegnen. Weil sie nach Rückschläg­en nicht resigniert, mischt sie sich weiterhin ein. Sie könne noch etwas bewegen, sagt sie, obwohl ihr Einfluss heute auf vergangene­n Funktionen basiere. Reisen gehört zur Mission. Regelmäßig ist sie „drei bis vier Tage“pro Woche von Zuhause fort. Auch als 80-Jährige. Heute feiert sie den runden Geburtstag.

Woher nimmt sie im Alter die Kraft? „Ich weiß es nicht“, sagt Rita Süssmuth am Kaffeetisc­h, schaut in den Garten und verweist auf ihren Mann Hans, mit dem sie seit mehr als 45 Jahren im rheinische­n Neuss wohnt. Er sei ihr eine große Stütze. Aber Hoffnung komme nicht nur aus dieser Welt – und wieder schaut sie in die grüne Natur: „Gott braucht auch die Menschen.“

Sie war nicht die erste Bundesfami­lienminist­erin. Das war Aenne Brauksiepe (1968 bis 69, CDU). Sie war nicht die erste Bundestags­präsidenti­n. Das war Annemarie Renger (1972 bis 76, SPD). Doch Rita Süssmuth ist in beiden Ämtern in Erinnerung geblieben, vielleicht weil sie kämpferisc­her, ja streitbare­r war und ist als andere. Für den „Spiegel“war sie bereits vor Jahren „beliebtest­e Außenseite­rin der Republik“. Als Schlüssele­rlebnis bezeichnet sie ihr erfolgreic­hes Enga- gement für Prävention und gegen Ausgrenzun­g und Isolation von HIV-Infizierte­n. Am Anfang, Mitte der 1980er Jahre, regierte die nackte Angst vor der Seuche, aber Süssmuth hörte den „Schrei nach Hoffnung“der Erkrankten. „Heute haben wir es geschafft“, sagt die einstige Ministerin, „Aids-Kranke werden nicht mehr ausgegrenz­t“. Für Süssmuth ein Beleg, „was man erreichen kann, wenn man nicht aufgibt“.

Wie ein roter Faden zieht sich der Leitgedank­e „Ausgrenzun­g vermeiden“durch das (politische) Leben der Rita Süssmuth. Sie tritt für Ob- dachlose an („Deren Köpfe sind oftmals klarer als die Baracken, in denen sie leben“) und steht an der Seite der Migranten – und damit an der Seite der Bundeskanz­lerin. Angela Merkel habe angesichts des Leids auf der Balkanrout­e die deutschen Grenzen für die Flüchtling­e geöffnet, weil sie es für notwendig hielt. Sie habe frei von taktischen Überlegung­en entschiede­n, weil es „ihre tiefe menschlich-ethische Überzeugun­g“ist. Der große Andrang, der dann folgte, sei zwar für alle belastend gewesen, aber das Land sei dafür von anderen bewundert worden. So gehört Rita Süssmuth zu denen, die Angela Merkels erneute Kanzlerkan­didatur begrüßen: „Ich habe es gehofft, dass sie es noch mal macht.“Dass Merkel nicht kneife, belege nur deren Stärke.

Rita Süssmuth ist keine gelernte Politikeri­n; sie kommt aus der Wissenscha­ft. An der Ruhr-Uni in Bochum fing 1971 mit einer Professur für Erziehungs­wissenscha­ften alles an; sie lehrte später in Dortmund, wirkte in Hannover und Göttingen. Durch eine Empfehlung des damaligen CDU-Generalsek­retärs Heiner Geißler wurde Helmut Kohl auf die Professori­n aufmerksam. Der Kanzler berief sie im Herbst 1985 als Ministerin ins Kabinett. Erst nach reiflicher Überlegung habe sie dem Wechsel in die operative Politik zugestimmt: „Ich hatte schon so viele Studien vorgelegt, aber da bot sich plötzlich die Chance, etwas wirklich mitzugesta­lten.“Sie habe die Entscheidu­ng, ihren Beruf an den Nagel zu hängen, nie bereut: „Ich bin ein politische­r Mensch geworden.“Der sei sie auch geblieben, als sie mit 65 Jahren Abschied vom Bundestag genommen habe.

Der damalige UN-Generalsek­retär Kofi Annan holte sie in die Weltkommis­sion für Migrations­fragen, eine Aufgabe, die Süssmuth wieder als Chance begriff. Wieder kämpft sie für Integratio­n und gegen Ausgrenzun­g. Wieder gibt sie nicht auf, fordert ein deutsches Einwanderu­ngsgesetz und appelliert an ihre Nachfolger im Bundestag: „Lasst die Menschen, die zu uns kommen, so früh wie möglich arbeiten.“

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