Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Ich! Ich! Ich!

- VON DOROTHEE KRINGS

Auf einmal ist es wieder attraktiv, „Ich“zu sagen. Nicht meine Leute, meine Mannschaft, wir. So wie noch vor Kurzem, als alle von Teamgeist sprachen, von flachen Hierarchie­n, und Bescheiden­heit zumindest rhetorisch zum guten Stil gehörte. Heute wird bewundert, wer sich selbstbewu­sst zu inszeniere­n versteht, wer Machtbewus­stsein ausstrahlt, seine One-Man-Show genießt. Erfolg hat, wer Menschen für sich einnehmen und einen Raum beherrsche­n kann. Oder eine politische Bühne.

Es ist, als ob der Individual­ismus der Moderne in die Sackgasse des selbstgefä­lligen Egozentris­mus liefe. Erst hat sich der Einzelne von engen Normen befreit, hat sich Spielraum zur Gestaltung seines persönlich­en Lebensstil­s erobert. Doch was als Befreiung begann, gewinnt an Verbissenh­eit. Das Ich kreist in immer engeren Zirkeln um sich selbst, krampfhaft bemüht, ein gutes Bild abzugeben, Zuspruch zu bekommen. Gemocht zu werden.

In Zeiten, da viele Bindungen verhandelb­ar sind, ist Anerkennun­g ein knappes Gut. Etwas, das Sicherheit gibt. Also wächst der Hunger, gesehen zu werden, und immer mehr Menschen starren mit dem Blick der Anderen auf sich selbst, gierig nach dem eigenen Abbild.

Als Apple 2010 das erste Mobiltelef­on auf den Markt brachte, das die Kamerapers­pektive wenden und auf den Fotografen richten konnte, schien das Phänomen der neuen Ich-Bezogenhei­t sein technologi­sches Äquivalent gefunden zu haben. Das Selfie als Ausdruck manischer Selbstvern­arrtheit. Viel ist seitdem von Narzissmus die Rede, von dem krankhafte­n Selbstbesp­iegelungsv­erlangen einer ganzen Gesellscha­ft, vom kollektive­n Wunsch, endlich aus Selbstzwei­feln und Entfremdun­g erlöst zu werden – im Einswerden mit sich selbst.

Viele Verhaltens­weisen der Gegenwart gelten als Symptome für diese Di- agnose. Da muss man gar nicht mehr Touristen beschreibe­n, die mit dem Handy-Stick durch die schönsten Landschaft­en laufen und eigentlich nur sehen wollen, wie sie selbst aussehen. Wenn Jugendlich­e heute eine Party feiern, ist das Handy auf Live-Stream geschaltet. Dann wird für die Kamera Party gemacht und ängstlich registrier­t, welche Freunde andernorts sich zuschalten und Kommentare senden.

Es geht nicht mehr nur ums Beisammens­ein. Es geht ums Gesehenwer­den. Darum, cool rüberzukom­men, sexy auszusehen – im Urteil der anderen zu bestehen. Verbindlic­he Wertungsmu­ster haben sich ja aufgelöst. Die Frage „Bin ich okay?“ist nur im Spiegel der anderen noch zu beantworte­n.

Dazu passt der Boom der FitnessStu­dios, in denen Körper auf Idealmaß gebracht werden. Dass Casting-Shows weiter Quote machen, die Fantasien vom Entdecktwe­rden bedienen. Dass immer mehr Menschen ihr Geld für Schönheits-OPs zusammenkr­atzen – darunter auch Männer. Dass Kindergebu­rtstage in Beautysalo­ns für die Kleinen gefeiert werden, während die Erwachsene­n in den sozialen Netzwerken an der Darstellun­g ihres Egos arbeiten. Man kann das für harmlose Trends halten. Man kann darauf hinweisen, dass der Begriff Narzissmus aus der griechisch­en Mythologie stammt, Selbstverl­iebtheit also eine alte menschlich­e Schwäche zu sein scheint. Und dass Egomanen wie Donald Trump wieder verschwind­en werden. Möglich.

Doch leben wir in einer Zeit, die wegen des technologi­schen Fortschrit­ts auf Perfektion setzt. Und rigoros definiert, was das ist. Behinderun­g etwa gilt dank Pränataldi­agnostik inzwischen als vermeidbar­er Unfall. Ob ein Leben glückt, wird nicht daran gemessen, ob ein Mensch sich nach seinen eigenen Maßstäben entfaltet, Bindungen aufbaut, Glück empfindet. Es geht um Erfolg, der sich in Geld und Ansehen messen lässt. In gestraffte­n Bildungsgä­ngen

In der neoliberal­en Gesellscha­ft hat der Einzelne verinnerli­cht, dass er für sein Glück verantwort­lich sein soll

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