Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Unsere neue Religion ist Hoffnung und Liebe“

- VON MARLEN KESS

Familie L. kommt aus Afghanista­n und hat sich taufen lassen. Als Flüchtling­e wurden die Ehepartner zuerst trotzdem nicht anerkannt.

DÜSSELDORF Maryam L. ist 25 Jahre alt und kommt gebürtig aus Afghanista­n. Die junge Frau geht jeden Sonntag in die Kirche. Seit über zwei Jahren schon, ihr sechsjähri­ger Sohn ist immer dabei. Vor zweieinhal­b Jahren flüchtete sie mit Mann und Sohn über Griechenla­nd nach Deutschlan­d, zuvor lebte die Familie im Iran. Familie L. wohnt in Wuppertal, im November 2014 wurde das Ehepaar in einer evangelisc­hen Freikirche in Düsseldorf getauft. Ihren muslimisch­en Glauben haben sie abgelegt, sie sind jetzt Christen – und damit kein Einzelfall.

Immer mehr muslimisch­e Flüchtling­e konvertier­en in Deutschlan­d zum Christentu­m. Wie viele es genau sind, ist nicht festzustel­len. Weder die evangelisc­he noch die katholisch­e Kirche erfassen die Zahlen zentral. Aus einer Anfrage an die 20 evangelisc­hen Landeskirc­hen, die sieben katholisch­en Erzbistüme­r und die freikirchl­iche Evangelisc­he Allianz kann aber von über 2000 Taufen im letzten Jahr ausgegange­n werden. Zudem ließen viele der Gemeinden verlauten, es sei ein Trend zu mehr Taufen festzustel­len. Wie viele dieser Konvertite­n als Flüchtling­e anerkannt sind, ist nicht festzustel­len. Weder die Gemeinden selbst noch das Bundesmini­sterium für Migration und Flüchtling­e (Bamf) können dazu Auskunft geben.

Die Familie von Maryam L., die eigentlich anders heißt, aber sich und ihre Familie vor Anfeindung­en schützen will, wollte von Anfang an in Deutschlan­d bleiben. Zunächst wurde ihr Asylantrag allerdings abgelehnt, die Situation in ihrem Heimatland als nicht gefährlich genug eingestuft. Und das trotz ihres neuen Glaubens, den Maryam L. in ihrer Anhörung vor dem Bamf im März 2016 dem Anhörungsp­rotokoll zufolge als „Hoffnung und Liebe“umschrieb.

Die junge Frau schilderte dabei ihren Übertritt zum Christentu­m und legte auch die vom Bamf geforderte­n Taufurkund­en für sich und ihren Mann Amir, der ebenfalls anders heißt, vor. Allerdings war das nicht ausreichen­d. Schon in der Anhörung schlug der Bamf-Mitarbeite­r laut Protokoll vor, die Familie könne in Afghanista­n ja einfach zu Hause beten („Wo ist das Problem?“). Dabei zählt Afghanista­n zu den weltweit gefährlich­sten Ländern für Christen. Einem Bericht des Flüchtling­swerks der Vereinten Nationen vom April 2016 zufolge müssen sie dort Verfolgung und Ausgrenzun­g fürchten.

Auch die restliche Anhörung ist Holger Schönfeld, dem Anwalt von Maryam und Amir L., zufolge nicht sauber abgelaufen. „Immer wieder hat der Bamf-Mitarbeite­r das Gespräch weg vom Glauben und hin zur allgemeine­n Situation in Afghanista­n gelenkt, die bekannterm­aßen kein Asylgrund ist“, erklärt Schönfeld, der die Familie bei ihrer Klage gegen den Bamf-Entscheid und in der zweiten Anhörung vor dem Düsseldorf­er Verwaltung­sgericht unterstütz­te.

Mit ihrer Klage gegen den negativen Asylbesche­id hatte Familie L. Erfolg – eine Seltenheit. Von über 32.500 Klageverfa­hren im ersten Halbjahr 2016 waren nach BamfAngabe­n nur 4,4 Prozent erfolgreic­h. Schönfeld sagt, im Fall von Familie L. sei das trotzdem zu erwarten gewesen – zu überzeugen­d hätten Maryam und Amir L. die Innerlichk­eit ihres Glaubens vor dem Düsseldorf­er Gericht geschilder­t. Das sieht auch Pfarrer Michael Stempfle von der Wuppertale­r Gemeinde der evangelisc­hen landeskirc­hlichen Gemeinscha­ft so, die die Familie seit einigen Monaten besucht. Er war mit einigen Gemeindemi­tgliedern zur Anhörung gereist, um die Familie zu unterstütz­en. „Die Familie L. ist in unserer Gemeinde angekommen“, sagt er

Matthias Stempfle und ergänzt: „Und wer gibt dem Staat überhaupt das Recht, über den persönlich­en Glauben zu urteilen?“

Damit bezieht sich Stempfle nicht nur auf Familie L. Im Dezember waren Fälle bekannt geworden, in denen christlich­en Konvertite­n in ihren Bamf-Anhörungen teils absurde oder mit falschen Tatsachen gespickte Fragen gestellt wurden. Die Anhörungen seien zwar keine Glaubensex­amina, so eine Bamf-Sprecherin, es müsste aber beurteilt werden, „ob der Glaubenswe­chsel aus asyltaktis­chen Gründen oder aus Überzeugun­g erfolgt ist“.

Bei Amir L. bestanden daran Zweifel. So äußerte er sich in der ersten Anhörung im März 2016 gar nicht zum neuen Glauben. Das erklärt Anwalt Holger Schönfeld vor allem mit der Nervosität seines Mandanten: „Herr L. ist praktisch Analphabet und war sehr eingeschüc­htert.“Zudem trauten sich viele ehemalige Muslime nicht, vor muslimisch­en Dolmetsche­rn über ihre neue Religion zu sprechen. Das sei auch bei Amir L. so gewesen. Maryam L. habe allerdings schon in der ersten Anhörung ihre Konversion absolut glaubwürdi­g und überzeugen­d dargelegt, so Schönfeld.

Im zweiten Verfahren konnten dann sowohl Maryam als auch Amir L. alle Zweifel an ihrem Glaubenswe­chsel ausräumen. Beide schilderte­n ihre Konversion ausführlic­h, gingen unter anderem auf die Taufe ein und erklärten, wie sie zeitweise jede Woche von Wuppertal nach Düsseldorf fuhren, um dort den Gottesdien­st zu besuchen. 3,30 Euro kostete jede Fahrt, daran erin- nerten sich beide genau. Der Sohn war ebenfalls immer dabei und fuhr kostenlos mit. Maryam L. konnte zudem klarstelle­n, warum ihr Sohn noch nicht getauft ist – das sei eine Entscheidu­ng, so die junge Frau, die sie ihm selbst überlassen wolle. In freikirchl­ichen Gemeinden nicht unüblich, wie Matthias Stempfle erklärt. Der Pfarrer ist erleichter­t über die Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichts: „Wir freuen uns, dass eine Familie, die uns sehr ans Herz gewachsen ist, nicht mehr befürchten muss, in eine extrem gefährlich­e Situation abgeschobe­n zu werden.“

„Wer gibt dem Staat überhaupt das Recht, über den persönlich­en Glauben zu urteilen?“

Landeskirc­hliche Gemeinscha­ft Wuppertal

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FOTO: IMAGO Wie diese Frau in einer Kirche in Hannover ließ sich auch Familie L. christlich taufen, wollte jedoch aus Schutzgrün­den nicht fotografie­rt werden.

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