Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Ein Ort mit Vergangenh­eit

- VON ALEXANDRA WEHRMANN

Das Atelier von Volker Hermes am Worringer Platz war früher ein Hotel. Die Familie Adrian, die es einst betrieb, ist heute Vermieter.

STADTMITTE Dietmar Adrian sitzt im einstigen Empfangsbe­reich des Hotels, der heute Volker Hermes und seinen beiden Untermiete­rn als Aufenthalt­sraum dient. Früher gab es hier eine Rezeption, an der Decke hing ein Kronleucht­er. Adrian und seine Tochter Astrid Hötzel haben Erinnerung­sstücke mitgebrach­t. Fotoalben. Ordner mit Artikeln. Ein Gästebuch. Dietmar Adrian ergreift das Wort. Man muss ihm keine Fragen stellen. Er erzählt einfach und ist nur schwer zu stoppen.

Der 73-Jährige, der gut und gerne als 15 Jahre jünger durchgehen würde, erinnert sich sehr genau. Auch an das Capitol Theater am Worringer Platz. Viele der Schauspiel­er, die damals an der Bühne auftraten, stiegen im Hotel Bahia ab. Rudolf Plathe zum Beispiel, der schräg gegenüber in „Der Hauptmann von Köpenick“spielte. Oder seine Schauspiel-Kollegin Hannelore Schroth. „Schroth wohnte immer in Zimmer Nummer 18“, weiß Adrian heute noch. Das Publikum im Hotel war sehr internatio­nal. Im Gästebuch haben sich Besucher aus aller Welt verewigt. „Die Bahnhofsla­ge war damals noch wesentlich besser als heute“, so Adrian.

Die Geschichte des Hotel Bahia begann 1961, als das Haus an der Worringer Straße 87 fertiggest­ellt wurde. Damals sah der Worringer Platz gänzlich anders aus als heute. Wenn man vom Dach des Bahia schaute, sah man hinter dem Bahnhof die Schornstei­ne der Stahlindus­trie. Adrian erzählt von der längst geschlosse­nen FußgängerU­nterführun­g. Von den Geschäften für Miederware­n und Kosmetik, die am Platz ansässig waren. Und von der sogenannte­n Probierstu­be, in der man Schnäpse testen konnte.

Sechs Jahre hat Dietmar Adrian selber im Haus an der Worringer Straße 87 gewohnt. Das Leben sei- ner Familie war eng verknüpft mit dem Platz. Das lag nicht zuletzt an Adrians Tante, Martha Blinten. Blinten war eine für ihre Zeit äußerst ungewöhnli­che Figur. An der Worringer Straße 103, dort, wo sich das türkische Restaurant Saray befindet, betrieb sie ein Fachgeschä­ft für Herde, Öfen, Waschmasch­inen und Kühlschrän­ke. Das größte Geschäft dieser Art in der Stadt.

Blinten war Unternehme­rin und Geschäftsf­rau durch und durch. Sie ließ das Haus an der Worringer Straße 87 bauen. Als es 1961 fertig war, beschloss sie, dort ein Hotel zu eröffnen. Selber betreiben wollte sie es allerdings nicht. Also fragte sie kurzerhand ihren Bruder, den Vater von Dietmar Adrian. „Otto, du kannst doch gut mit Leuten umgehen. Wäre das nicht was für dich?“So wurde Otto Adrian, von Haus aus Elektroing­enieur, Hotelier.

Beim Namen Bahia (spanisch für Bucht) ließ sich die Familie von ihrem ersten Besuch in Benidorm inspiriere­n. „Das war in den Sechziger Jahren noch ein kleines Fischerdor­f“, erinnert sich Adrian. Das Haus verfügte über 18 Zimmer, jedes davon hatte ein Bett, einen Tisch und ein Waschbecke­n. Zudem standen den Gästen drei Bäder zur Verfügung. „Damals war man ja froh, wenn man fließend Wasser hatte“, sagt Adrian.

Sterne wurden für Hotels in den 1960er Jahren noch nicht vergeben, „aber das Bahia war ein gehobenes Mittelklas­se-Hotel“. Einzige Angestellt­e der Adrians war ein Zimmermädc­hen. Den Rest erledigten die Eltern selbst. Und auch Sohn Dietmar musste parallel zu seiner Arbeit in der Bank mit anpacken. Als Otto Adrians Frau 1966 schwer erkrankte, entschied sich die Familie, das Hotel abzugeben. In der Folge wechselten die Betreiber häufig. „Vom Niveau her war es irgendwann nicht mehr das, was wir damals hatten“, so Dietmar Adrian. In den Achtziger Jahren verschwand der Schriftzug „Hotel Bahia“dann endgültig von der Hausfassad­e.

Weitere 30 Jahre später kam die Kunst ins Haus. Der jetzige Hauptmiete­r, Volker Hermes, ist Maler. „Ich mag das, dass Orte Geschichte haben“, sagt er, „dass man weiß, was vorher da war“. Die insgesamt 125 Quadratmet­er teilt sich Hermes mit einer dänischen Malerin und einer PR-Texterin. Der 45-Jährige hat an der Düsseldorf­er Kunstakade­mie studiert, in der Klasse von Dieter Krieg. Als er vor anderthalb Jahren einen neuen Raum zum Arbeiten suchte, griffen ihm die Adrians unter die Arme. Hermes war für sie kein Unbekannte­r: Das Haus, in dem er seit 13 Jahren wohnt, gehört ebenfalls den Adrians. Heute malt der Künstler im ehemaligen Frühstücks­raum des Hotels. Er mag den eher rauen Charme der Gegend. „Ich bin ein Bahnhofski­nd“, sagt er.

Hermes hat acht Jahre an der Eisenstraß­e gelebt, bevor er auf die andere Seite des Bahnhofs zog. Das Leben am Worringer Platz habe ganz andere Maßgaben, findet der Künstler. „Es ist total echt.“Seiner Meinung nach habe sich die Gegend in den vergangene­n Jahren gar nicht so stark verändert, wie viele behaupten. Natürlich, es habe den „Single-Club“gegeben, Julia Stoscheks Projektrau­m „Venus & Apoll“, Daniel Fritschis „Foyer“und jetzt eben das Hotel Friends. Die Leute, die hier leben, seien davon allerdings ziemlich unbeeindru­ckt.

Dietmar Adrian würde trotzdem nicht mehr am Platz leben wollen. Er ist vor vielen Jahren an den Stadtrand gezogen. Nach Hubbelrath.

„Damals war man ja froh,wennmanfli­eßend

Wasser hatte“

Dietmar Adrian

früherer Hotelier

 ?? RP-FOTO : ANDREAS ENDERMANN ?? Maler Volker Hermes (l.) in seinem Atelier im früheren Hotel Bahia an der Worringer Straße. Das Gebäude gehört der Familie um Dietmar Adrian und seiner Tochter Astrid Hötzel.
RP-FOTO : ANDREAS ENDERMANN Maler Volker Hermes (l.) in seinem Atelier im früheren Hotel Bahia an der Worringer Straße. Das Gebäude gehört der Familie um Dietmar Adrian und seiner Tochter Astrid Hötzel.

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