Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Bist du ein Mann oder ein Waschlappe­n?“

- VON CLAUDIA HAUSER

Wilfried W. bezeichnet seine Ex-Frau als treibende Kraft hinter den Taten von Höxter. „Sie ist eine Sadistin“, sagt der Angeklagte über sie.

PADERBORN/HÖXTER Fünf Monate lang hat er einfach nur da gesessen, zwischen seinen Verteidige­rn. Er hat zugehört, als seine Ex-Frau Angelika W. tagelang ausgepackt hat – über die ungute Beziehung der beiden, die anderen Frauen, über das qualvolle Sterben von Anika W. und Susanne F. auf dem alten Hof in Höxter-Bosseborn. Manchmal zuckte Wilfried W. mit den Augen, einmal rief er „Lüge!“, doch ansonsten schwieg er. Seine Anwälte hatten zu Beginn des Mord-Prozesses vor dem Landgerich­t Paderborn mitgeteilt, ihr Mandant werde sich erst einmal nicht zu den Vorwürfen äußern. Nun hat der 47-Jährige sein Schweigen gebrochen.

Der stämmige Mann mit dem grauen Drei-Tage-Bart und der Hornbrille hat eine weiche Stimme. Er lispelt, was er rasch thematisie­rt, indem er von seinen Mitschüler­n erzählt, die ihn jeden Tag drangsalie­rt und angegangen haben sollen – auch wegen des kleinen Sprachfehl­ers. Der Angeklagte will seine Sache offenbar gut machen, man hat den Eindruck, er möchte gemocht werden von den Juristen im Saal, den psychiatri­schen Gutachtern. Nervös knetet er seine Hände, dann wieder hält er sie gefaltet. Kommt eine Nachfrage, entschuldi­gt er sich beflissen, er reagiert fast immer mit: „Genau, richtig“oder „Ja genau.“

Wilfried W. erzählt im RuhrpottSl­ang aus seiner Kindheit, von einem gewalttäti­gen „Vatter“, der ihn, die Mutter und die ältere Schwester verdrosch, wenn er getrunken hatte – mit der Faust, der Hand, dem Gürtel. „Wir haben uns schlafend gestellt“, sagt W. Der Vorsitzend­e Richter, Bernd Emminghaus, fragt: „Hat das was gebracht?“und W. antwortet: „Manchmal, ja.“Wenn es nichts gebracht habe, habe es erst aufgehört, „wenn wir am Boden lagen und rumgeheult haben“. Warum der Vater ausgeraste­t sei, will der Vorsitzend­e wissen. „Es ging ums gerade sitzen, vernünftig essen, nicht schwatzen“, sagt W. Kleinigkei­ten eigentlich, die einen Ausbruch von roher Gewalt provoziert­en – ganz so, wie es auf dem Hof in Höxter gewesen sein soll.

Angelika W. hat im Prozess von den vielen Regeln erzählt, die es gab, aufgestell­t von Wilfried W. Sie und die anderen Frauen hätten ihn etwa immer anschauen müssen, wenn sie mit ihm sprachen – auch wenn es gerade nicht passte, weil sie spülend am Waschbecke­n stand und gegen die Wand guckte.

W. war kurz auf einer Grundschul­e, kam dann auf eine Förderschu­le. Doch überall hätten die anderen Jungs ihn gehänselt, geschlagen. Der Vorsitzend­e sagt: „Ja, Kinder können grausam sein.“W. erzählt: „Einmal wollten sie mich ertränken im Hallenbad.“Der Bademeiste­r habe ihn rausgezoge­n. Der Vorsitzend­e fragt: „Haben Sie einen Freund gehabt?“W. zögert, dann sagt er: „Ähm. Nein. Nein.“Seine Lehrer hätten ihn aufgebaut, und er habe Tiere immer sehr gemocht, vor allem die Familienhu­nde, einen Schäferhun­d und einen Pudel. „Ich hasse Tierquäler­ei“, sagt er.

Auf dem Hof, auf dem er mit Angelika W. lebte, verwahrlos­ten später die Schweine und Hühner. Ange- lika W. hat im Prozess detailreic­h beschriebe­n, wie sie mehrere Hunde erwürgte und eine Katze in den Trockner steckte und tötete – angeblich, weil Wilfried W. wollte, dass sie die Tiere „bestraft“.

W. sagt, er sei als Kind und Jugendlich­er nie der Anführer, sondern immer der Mitläufer gewesen. Diese Rolle will er auch in der Beziehung zu Angelika W. gehabt haben. „Ich bin nicht der Mann, der Anwei- sungen gibt“, sagt er. „Meine Frau war der Boss.“Einmal habe sie ihn gefragt: „Bist du ein Mann oder ein Waschlappe­n?“

Kurz soll Frieden eingekehrt sein in die Kindheit des Angeklagte­n. Seine Mutter verließ den gewalttäti­gen Vater mit den beiden Kindern, lebte dann mit einem Mann zusammen, der „auch mal mit uns gesprochen, uns in den Arm genommen hat“, sagt W. Doch es war nur ein kurzer Frieden. W. erzählt, dass der Stiefvater ihn und seine Schwester später sexuell missbrauch­t habe, zwei-, dreimal die Woche. Er selbst habe damals immer geschwiege­n. „Das war beschämend, so etwas kann man doch nicht ausspreche­n.“Er selbst sei klein und dünn gewesen, 13 oder 14 Jahre alt, der Mann mehr als 100 Kilo schwer. W. kommt an seine Grenzen, als die psychiatri­schen Gutachter mehr wissen wollen. Er gerät ins Stocken, schaut zu seinem Verteidige­r und kann seine Tränen nicht zurückhalt­en. Es ist ihm sichtlich unangenehm.

Ein Grund für die Kammer, die Verhandlun­g an diesem Tag nach nur zwei Stunden abzubreche­n, ist das Signal des Angeklagte­n, er sei nun doch bereit, sich begutachte­n zu lassen. Zumindest zu den Fragen des schweren sexuellen Missbrauch­s in seiner Kindheit. Bisher hatte W. sich geweigert, mit den Sachverstä­ndigen zu sprechen.

Die Beziehung zu Angelika W. ist nur noch kurz Thema. W. beschreibt seine Ex-Frau als herrschsüc­htige, eifersücht­ige Frau, die ihn und die anderen Frauen tyrannisie­rte – und misshandel­te. „Sie ist ein Sadist“, sagt W.

Es bleibt eine schwierige Aufgabe für die Kammer, herauszufi­nden, wer von beiden hauptveran­twortlich ist für den Tod von Anika W. und Susanne F. Der Prozess wird in der kommenden Woche fortgesetz­t.

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FOTO: DPA Wilfried W. (M.) mit seinen beiden Anwälten Detlev Binder (r.) und Carsten Ernst gestern im Landgerich­t in Paderborn. Erstmals äußerte sich der Angeklagte zu den Vorwürfen.

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