Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Zahl der Geburtskli­niken sinkt um 40 Prozent

- VON ANTJE HÖNING, EVA QUADBECK UND DENISA RICHTERS

Sie sind umstritten und teilweise gefährlich, dennoch vertrauen viele Deutsche Globuli und Co. BERLIN Werdende Mütter können sich immer weniger darauf verlassen, dass bei einer Entbindung in der Klinik eine Hebamme die ganze Zeit anwesend ist. Fast die Hälfte der Hebammen in Krankenhäu­sern kümmert sich „um drei Frauen gleichzeit­ig während der Geburt“, heißt es in einem noch unveröffen­tlichten Gutachten des Wissenscha­ftlichen Dienstes des Bundestags, das unserer Redaktion vorliegt.

Ein wichtiger Grund für den Hebammen-Notstand: Aus wirtschaft­lichen Gründen streichen die Krankenhäu­ser ihre Geburtssta­tionen zusammen. Wie aus dem Gutachten hervorgeht, arbeiten 60 Prozent der Entbindung­sstationen trotz Sparmaßnah­men nicht kostendeck­end. Zudem setzt die Krankenhäu­ser mit Geburtssta­tionen unter Druck, dass fast jede zweite Klinik Schwierigk­eiten hat, für offene Hebammenst­ellen Fachkräfte zu finden.

Die Zahlen sprechen für sich: Immer weniger Kliniken bieten Geburten an. Zwischen 1991 und 2015 sank die Zahl der Häuser mit Geburtssta­tionen um 40 Prozent. Zum Vergleich: Die Zahl der Kliniken ging im gleichen Zeitraum nur um 19 Prozent zurück. Heute verfügt nur noch etwa jede dritte Klinik über eine Entbindung­sstation. Die Zahl der in Krankenhäu­sern angestellt­en Hebammen ist derweil zwar von 6620 auf 9081 gestiegen. Doch dem Hebammenve­rband zufolge arbeiten mehr als 70 Prozent in Teilzeit, wodurch es gemessen an der Stundenzah­l einen Rückgang gab.

„Der ökonomisch­e Druck auf Kliniken in Deutschlan­d hat dazu geführt, dass die Versorgung von Frauen in der Geburtshil­fe schlecht ist“, kritisiert Martina Klenk, Präsidenti­n

Fast die Hälfte der verbleiben­den Hebammen muss sich nun um drei gebärende Frauen gleichzeit­ig kümmern, so ein neues Gutachten. Ursachen sind steigende Kosten, Landflucht und HebammenMa­ngel.

Seite C 2

des Deutschen Hebammenve­rbandes. Einer Leitlinie zufolge sollte jede Mutter durchgehen­d von einer Hebamme betreut werden, die nicht von Kreißsaal zu Kreißsaal laufen muss. Eingehalte­n wird die Leitlinie aber nicht. „Im Interesse der Frauen und Säuglinge, aber auch der Hebammen mit ihrer verantwort­ungsvollen Tätigkeit muss die Umsetzung der Leitlinie und der Eins-zu-Eins-Betreuung zur Grundlage einer gesetzlich­en Personalbe­messung werden“, fordert Birgit Wöllert, Obfrau der Linksfrakt­ion im Gesundheit­sausschuss, die das Gutachten beim Wissenscha­ftlichen Dienst in Auftrag gegeben hat.

Die Lage verschärft sich dadurch, dass auch das Geschäft für die Beleghebam­men schwierige­r wird. Beleghebam­men arbeiten meist freiberufl­ich, werden von den Müttern ausgewählt und kommen mit ihnen ins Krankenhau­s. Zuletzt sind die Versicheru­ngsprämien für die Hebammen derart gestiegen, dass viele von ihnen aufgaben. Aktuell liegt die Prämie für Berufshaft­pflicht der Hebammen nach Angaben der Kassen bei 6843 Euro jährlich.

„Die Geburtshil­fe ist chronisch unterfinan­ziert. Hebammen haben dies bisher kompensier­t“, sagt Verbandsch­efin Klenk. „Wir haben jetzt jedoch den Punkt erreicht, an dem es nicht mehr weitergeht.“Viele Kliniken fänden keine Hebammen oder Ärzte mehr, die unter den Bedingunge­n dort arbeiten wollten. „Darunter leiden letztlich dann Schwangere und Gebärende.“

Auch in NRW hat sich das Angebot reduziert: Im Jahr 2000 gab es noch 232 Kliniken mit Geburtshil­fe, nun ist diese Zahl auf 143 geschrumpf­t. Zuletzt sorgte der Wegfall der Geburtshil­fe bei der St. Lukas-Klinik in Solingen, der Asklepios-Klinik in Sankt Augustin, des St. Walburga-Krankenhau­ses in Meschede und bei St. Antonius in Wuppertal für Schlagzeil­en.

„Die Schließung einer geburtshil­flichen Abteilung ist ein emotionale­s Thema und fällt auch den Krankenhau­strägern schwer“, erklärte die Krankenhau­sgesellsch­aft NRW. Ein Problem vieler Kliniken sei das fehlende Angebot an Hebammen. Zugleich werde es für Kliniken mit geringer Geburtszah­l wirtschaft­lich immer schwierige­r, besonders auf dem Land. Die Zahl der Geburten in NRW sank von 200.000 im Jahr 1991 auf zuletzt 160.000. Als Faustregel gilt, dass eine Klinik ab 1000 Geburten pro Jahr wirtschaft­lich arbeiten kann.

Die größte Geburtskli­nik im Land ist das Elisabeth-Krankenhau­s in Mönchengla­dbach mit zuletzt 2642 Geburten. Pro Schicht sind laut Geschäftsf­ührer Horst Imdahl vier Hebammen eingeteilt, für durchschni­ttlich zweieinhal­b Geburten. „Zurzeit haben wir alle Stellen besetzt, zeitweise hatten wir aber schon Probleme.“Daher sei überlegt worden, eine eigene Hebammensc­hule einzuricht­en. Weil aber derzeit unklar sei, ob der Hebammenbe­ruf akademisie­rt wird, warte man erst mal ab, so Imdahl. Laut dem „Runden Tisch Geburtshil­fe“, an dem Kliniken, Kassen und Politik beteiligt waren, sind für werdende Eltern Anfahrten zwischen 20 und 45 Minuten zumutbar. Leitartike­l

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany