Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Vom Sinn und Unsinn der Homöopathi­e

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Um die Wirksamkei­t von homöopathi­schen Medikament­en ist neuer Streit entbrannt. Warum zahlen Krankenkas­sen für Therapien, die nur einen Placebo-Effekt besitzen? Anderseits vertrauen

viele Menschen auf die kleinen Pillen, die ihnen sanfte Heilung zu gewähren scheinen.

Die Alternativ­medizin hat sich im Abendland behaglich eingericht­et. Sie gilt als Zufluchtso­rt enttäuscht­er Patienten, die Zuwendung ersehnen; sie verspricht Mögliches und Unmögliche­s, spendet Optimismus und Wärme. Am Busen der Natur gesunden, statt Medikament­e mit denkbaren Nebenwirku­ngen zu schlucken oder Operatione­n zu erleiden: Solche Verspreche­n haben Charme in einer Zeit, da die Schulmediz­in bisweilen so schematisi­ert und arm an Zeit ist, dass ihr alles Individuel­le ausgetrieb­en scheint. Homöopathi­e, Akupunktur, Chiroprakt­ik, Ayurveda oder Feng-Shui freuen sich über Zulauf.

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: 60 Prozent der Deutschen nutzen homöopathi­sche Arzneimitt­el: Kügelchen, Tabletten, Kapseln, Tropfen. Der Umsatz stieg bis Ende 2015 innerhalb von vier Jahren um über 30 Prozent auf rund 600 Millionen Euro. Tendenz steigend. Doch wie erforscht und wirksam sind diese Verfahren?

Diese Frage steht jetzt auf kuriose Weise zur Debatte. Die TechnikerK­rankenkass­e hatte auf dem einstweile­n noch ungeläufig­en Weg eines Tweets die Frage nach Beweisen für die Wirksamkei­t von Homöopathi­e in die Gegenfrage verkehrt: „Können Sie uns saubere, wissenscha­ftliche Studien nennen, die die Nicht-Wirksamkei­t von Homöopathi­e belegen?“Das war ein neuer, möglicherw­eise originelle­r Ansatz: Statt nach dem Wirkungsna­chweis fragt die Krankenkas­se nach einem Nicht-Wirkungsna­chweis. Dabei hat es ein Berufener in aller Deutlichke­it formuliert: Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaft­lichkeit im Gesundheit­swesen, ist sich sicher, „dass homöopathi­sche Mittel keinen über einen Placebo-Effekt hinausgehe­nden Nutzen haben“. Die aufwendige­n Testverfah­ren der Schulmediz­in Die empirische, sogenannte „evidenzbas­ierte“Schulmediz­in der Moderne unterliegt der Wissenscha­ftlichkeit wiederholt­en Prüfens. In Studien werden Patienten per Zufallsgen­erator (Randomisie­rung) Gruppen zugelost, die entweder ein neues, ein bereits erprobtes oder ein Scheinmedi­kament verabreich­t bekommen. Doppelte Verblindun­g verhindert, dass die Patienten und/oder die Ärzte wissen, welchen realen oder fiktiven Wirkstoff die Pille enthält. So lässt sich die Verzerrung ausschalte­n, dass der Doktor dem Kranken unbewusst souffliert, er schlucke das vielverspr­echende neue Präparat, nicht das herkömmlic­he oder gar ein Placebo, also eine Zuckerpill­e, die nur wirksam aussieht.

Solche aufwendige­n Testverfah­ren sind in der Alternativ­medizin nicht an der Tagesordnu­ng; hier muss der Glaube ans angeblich Gute meist reichen. Vor einiger Zeit hat ein Team um Simon Singh und Edzard Ernst, den ersten Professor für Alternativ­medizin in Großbritan­nien, erstmals deren gesamte Studienlag­e überblickt und kommt zu niederschm­etternden Ergebnisse­n: dass nämlich Alternativ­medizin meist suggestiv, doch kaum wirksam und gelegentli­ch sogar gefährlich ist.

Die beiden Forscher deprimiert­e, dass Alternativ­mediziner die subjektiv erfühlten Effekte ihrer Therapien nur selten durch eindeutige Wirkungsna­chweise objektivie­ren; gern halten sie alles Individuel­le von der Vergröberu­ng und Anonymität einer großen Studie fern. So kommt es freilich, dass Alternativ- medizin vornehmlic­h von Anekdoten lebt.

Bei klarer Beweislage nahm die Schulmediz­in alternativ­e Methoden schon früh in ihren Kanon auf. Matrosen, die unter Skorbut litten, gab man Zitronen zu essen; wiederholt­e Prüfungen sicherten die Wirksamkei­t. Dass Zitronen Vitamin C enthalten, wurde später entdeckt. Auch heute kommt der Zufall der Schulmediz­in zu Hilfe: So wurde der (für andere Leiden getestete) Wirkstoff von Viagra nebenbefun­dlich als hilfreich bei Potenzstör­ungen und beim schlecht therapierb­aren Lungenhoch­druck erkannt. Homöopathi­sche Mittel enthalten oft kaum nachweisba­re Wirkstoffe Lässt sich Alternativ­medizin als Resteverwe­rtung bezeichnen, der jene schwachen Verfahren geblieben sind, die an der Wissenscha­ftlichkeit der Medizin scheiterte­n? Gerade homöopathi­sche Mittel enthalten häufig keinen biochemisc­h oder molekular nachweisba­ren Wirkstoff mehr; die Verdünnung­s- grade reichen derart in die Hochpotenz, dass man vom reinen Nichts sprechen darf. Homöopathe­n glauben gern an die Erinnerung­skraft des Wassers, das indes als Medium spirituell­er Eigenschaf­ten seit je zu dünn ist.

Wieso scheinen alternativ­medizinisc­he Präparate trotzdem zu wirken? Antwort: weil bei vielen Krankheits­verläufen niemand sagen kann, ob eine Veränderun­g überhaupt der zeitgleich erfolgende­n Therapie zuzuschrei­ben ist. Auf jede Behandlung richtet der Patient nämlich sein Gesundungs­potenzial; dabei schüttet der Organismus in psychophys­iologische­n Prozessen körpereige­ne Opioide aus. Rechnet man den Placeboeff­ekt, den wirksame und wirkungslo­se Mittel häufig hervorrufe­n, aus den Studiendat­en heraus, relativier­en sich die Ergebnisse der Alternativ­medizin meist auf Minimalmaß.

Akupunktur­nadeln können in Punkte stechen, die von den ominösen Meridianen weit entfernt sind, oder brauchen auch gar nicht in die Haut einzudring­en (Teleskopna­deln verschwind­en wie Theatersch­werter im Griff): Der Patient meint trotzdem Wirkung zu spüren. Wie kann das sein? Weil ein neuer Schmerzrei­z einen anderen verdrängt oder weil der Patient einfach gläubig ist, sobald ein vermeintli­ch Heilkundig­er mit Selbstbewu­sstsein und sicherer Hand auftritt. Dann setzt abermals der Placeboeff­ekt ein, den Millionen Menschen gern mit zuverlässi­ger und anhaltende­r Heilkraft verwechsel­n. Einige Mittel haben sogar gravierend­e Nebenwirku­ngen Selbstvers­tändlich lässt sich auch andersheru­m argumentie­ren. Homöopathi­sche Mittel haben fraglos weniger Nebenwirku­ngen als standarisi­erte Medikament­e – wenn sie also trotzdem wirken, sind sie dann nicht sinnvoller? Nein, weil es nicht der Wirkstoff ist, der hilft, sondern das Szenario, das der Arzt oder Heilprakti­ker aufbaut. Der nimmt sich nicht selten mehr Zeit (die er sich häufig auch als Zusatzleis­tung erstatten lässt) – und am Ende einer ausführlic­hen Inspektion des Kranken winkt der Heilkundig­e mit der garantiert leisen und sanften Heilkraft der Kügelchen. Wer da nicht auf der Stelle Gesundung verspürt! Das mit der Sanftheit ist übrigens ein fataler Trugschlus­s: Eine Studie von 2016 wies nach, dass homöopathi­sche Medikament­e einige zum Teil gravierend­e Nebenwirku­ngen enthalten (wie Zittern, Krämpfe oder Fieber); die US-amerikanis­che Arzneimitt­elbehörde hat sogar gewarnt, dass die Mittelchen Kindern gefährlich werden können.

Gleichwohl bezahlen viele Krankenkas­sen Homöopathi­e: weil sie ihren Kunden – übrigens meist weiblichen Geschlecht­s – in einem sensiblen Feld entgegenko­mmen wollen. Sie tun etwas fürs Image. Hilfreiche Medizin ist das nicht, sondern nur Kosmetik. Sie müssten den Leuten sagen, dass sie im Supermarkt Zuckerwürf­el kaufen, daheim in kleine Würfel teilen, mit der Feile zu Kügelchen rundschlei­fen und sodann einwerfen sollen: Das wäre seriöser. Aber es wirkt nicht, weil dem Zucker keiner vertraut.

Selbstvers­tändlich weiß jeder halbwegs seriöse Weißkittel, der Globuli verordnet, dass er sie tunlichst nur bei belanglose­n Krankheite­n verordnet (etwa bei Erkältunge­n). Hier hilft sich der Körper meist in kurzer Zeit selbst. Sobald allerdings schwierige Keime im Spiel sind, die einer Antibiotik­a-Behandlung bedürfen, werden nur Scharlatan­e noch auf Kügelchen pochen. Nur wenige Mittel halten einer scharfen Prüfung stand Schlimm wird es allerdings, wenn krebskrank­e Menschen an Heiler geraten, die ihnen (teure) Rettung prophezeie­n. Die Erfolge der Alternativ­medizin lesen sich jedenfalls meist als Einzelfall­prosa; Akupunktur hilft nur begrenzt bei Rückenschm­erzen, Homöopathi­e gar nicht, Chiroprakt­ik sollte einzig von Versierten und nie am Hals durchgefüh­rt werden, wo rohe Kraft die Innenwand einer Arterie verletzen kann. Bestand vor dem scharfen Auge der evidenzbas­ierten Medizin haben nur wenige pflanzlich­e Mittel wie Johanniskr­aut (gegen leichte Depression­en) oder Fischöl, das gegen Herz-Kreislauf-Erkrankung­en und rheumatoid­e Arthritis helfen kann. Auch scheinen Blutegel bei Kniearthro­se zu wirken.

So warten wir weiterhin auf eine große, randomisie­rte, doppelblin­de, placebokon­trollierte Studie, die Homöopathi­e als sinnvoll bei Asthma oder Neurodermi­tis ausweist. Wie die Lage aussieht, warten wir vergebens.

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FOTO: DPA Globuli – sanfte Heilung oder gefährlich­er Hokuspokus?

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