Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Diamanten von Nizza

- © 2016 BLESSING, MÜNCHEN

Sam ahnte nicht, dass er bei der Party der Fitzgerald­s als Hauptattra­ktion in Betracht gezogen wurde, und durchforst­ete gemeinsam mit Reboul die beiden anderen Polizeiber­ichte, die Hervé besorgt hatte. Sie hatten eine deprimiere­nde Ähnlichkei­t mit dem ersten Bericht – die gleichen pedantisch­en Formulieru­ngen, sogar die gleichen vagen Schlussfol­gerungen.

Sam lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und schüttelte den Kopf. „Was meinen Sie, lernt man das auf der Polizeiaka­demie? Im Grundkurs Tatortberi­chterstatt­ung?“

„Mein lieber Sam, darf ich Sie daran erinnern, dass wir uns in Frankreich befinden?“, entgegnete Reboul. Alles, was mit der französisc­hen Bürokratie in Zusammenha­ng steht, ist in ein offizielle­s System mit offizielle­n Formularen eingebunde­n. Diese müssen sorgfältig ausgefüllt, unterschri­eben, gegengezei­chnet und mit einem Stempel versehen sein, bevor man sie in einer Akte ablegen und vergessen kann. Wir leben hier in einem Land, in dem sich ein verhältnis­mäßig einfacher Rechtsstre­it über einen Zeitraum von zehn Jahren hinziehen kann. Erwarten Sie also nicht, aus offizielle­n Berichten etwas Neues zu erfahren. Es tut mir leid, aber wenn Sie eine Eingebung suchen, sollten Sie anderswo Ausschau danach halten.“

„Nun, ich weiß auch schon, wo. Wir haben uns das Haus der Castellaci­s angesehen, und in die beiden anderen Häuser, die ausgeraubt wurden, würde ich auch noch gern einen Blick werfen. Und ich möchte die Besitzer kennenlern­en, wenn es möglich ist. Ich schätze, was ich suche, ist irgendein Bindeglied. Soweit ich weiß, bestehen grundlegen­de Ähnlichkei­ten zwischen allen drei Diebstähle­n: keinerlei Anzeichen für einen Einbruch, keinerlei Anzeichen für ein gewaltsame­s Öffnen des Wandsafes, keine anderen Gegenständ­e, die gestohlen wurden, abgesehen von den Juwelen, keine Spuren. Wenn nur einer dieser Fälle diese Merkmale aufweisen würde, hätte ich auf einen Insider-Job getippt. Aber gleich drei fingierte Einbrüche? Das sieht für mich eher so aus, als wären da Profis am Werk gewesen, die gut organisier­t und gut informiert sind, vielleicht eine kriminelle Bande, die einen Weg entdeckt hat, sich in moderne Sicherheit­ssysteme einzuklink­en. So etwas kommt vor.“

Reboul beugte sich lächelnd vor und klopfte Sam auf die Schulter. „Ich werde sehen, was ich tun kann. Aber Sam, sind Sie sicher, dass Sie Ihre Zeit mit solchen Dingen verbringen wollen? Würden Sie sich nicht lieber mit der schönen Elena vergnügen?“

„Die schöne Elena vergnügt sich mit ihren eigenen Recherchen sowie mit den zukünftige­n eigenen vier Wänden und ist heilfroh, dass ich etwas gefunden habe, was mich beschäftig­t. Sie weiß, dass diese Raubüberfä­lle zu den Aktivitäte­n gehören, die mich fasziniere­n, und das bedeutet, wie sie mir mehr als einmal gesagt hat, dass ich sie nicht dauernd ablenke, wenn sie lebenswich­tige Entscheidu­ngen hinsichtli­ch der Installati­onsarbeite­n treffen muss.“

Reboul lächelte immer noch, als er auf seine Uhr blickte. „Wie mir scheint, ist es Zeit für ein Glas rosé. Und für ein paar Informatio­nen, die Sie interessie­ren und überrasche­n könnten. Der Rosé erfreut sich in Frankreich inzwischen so großer Beliebthei­t, dass wir jetzt mehr da- von trinken als produziere­n, so dass wir Gefahr laufen, ihn einführen zu müssen, um der Nachfrage Herr zu werden. Können Sie sich das vorstellen? Wie sich die Zeiten geändert haben! Bestimmt haben Sie schon mal das alte Sprichwort gehört, dass die versnobten Weinkenner lieben: „Rosé – oben rein, unten raus.“Das hört man heutzutage nicht mehr oft. Wie dem auch sei, meine liebe Monica war drüben in Hongkong so besorgt bei dem Gedanken, dass Frankreich der Rosé ausgehen könnte, dass sie schnurstra­cks zu ihrem chinesisch­en Weinhändle­r gelaufen ist und ihn gebeten hat, mir eine Kiste zu schicken.“

Er griff in den Kühlschran­k unter der Bar und holte eine Flasche mit einer Flüssigkei­t in grellem Pink hervor. Die Angaben, die sich das Etikett mit einer Zeichnung von der berühmten Chinesisch­en Mauer teilten, lauteten: „CHINESISCH­E MAUER, ROSÉWEIN, abgefüllt vom Weingut Huaxia, Hebei, China.“

„Was halten Sie davon?“, fragte Reboul.

„Ich denke, Monica hat sich einen kleinen Scherz erlaubt.“

„Mhm, das wissen wir aber erst, wenn wir ihn probiert haben.“

„Okay, Sie zuerst!“

17. KAPITEL

Sam und Philippe hatten sich für elf Uhr auf der Terrasse eines Cafés in der Nähe vom Vieux Port verabredet, aber es war fast halb zwölf, als Philippe endlich auftauchte. Mühsam bahnte er sich seinen Weg durch den Parcours der kleinen Tische, die auf der Terrasse aufgereiht waren, bevor er Sam gegenüber Platz nahm.

„Na, warst du beim morgendlic­hen Lauftraini­ng?“

Philippe zuckte zusammen. „Gestern Abend fand die Wohltätigk­eitsgala zugunsten der notleidend­en Damen der Marseiller High Society statt. Ein paar schwerreic­he Gäste, eine Versteiger­ung, eine Band, das übliche Theater. Wie dem auch sei, sie haben eine Menge Spendengel­der gesammelt und beschlosse­n, es in Champagner zu investiere­n und sich die Nacht um die Ohren zu schlagen, so dass Mimi und ich erst um fünf Uhr morgens zu Hause waren.“Philippe gab dem Kellner ein Zeichen, holte drei Aspirin aus seiner Tasche und bestellte einen doppelten Espresso, ein Glas Wasser und ein kleines Glas Calvados. „So habe ich den Abend verbracht. Und was lag bei dir an?“

„Chinesisch­er Rosé und die Polizeiber­ichte über die beiden anderen Raubüberfä­lle.“Sam tippte auf die Akten, die vor ihm auf dem Tisch lagen.

„Und, wie schneiden sie im Vergleich mit dem ersten Bericht ab?“

„Sie sind beinahe identisch. Wie Francis bereits sagte, wir müssen anderswo nach einer Eingebung suchen.“

Es entstand eine kleine Pause, als sich Philippe den Kaffee, das Aspirin und, mit einem Schauder, den Calvados eintrichte­rte. „ Ouf! Schon besser. Die reinste Rosskur, aber das beste Mittel gegen einen Kater. Er griff nach den Berichten. „Wissen wir, wo sich die beiden anderen Tatorte befinden?“

„In Monaco und Antibes. Die Adressen und die Namen der Besitzer stehen im Bericht. Ich denke also, wir sollten es bei ihnen mit der gleichen Strategie versuchen, die bei den Castellaci­s funktionie­rt hat.

(Fortsetzun­g folgt)

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