Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Die Diamanten von Nizza
Sam ahnte nicht, dass er bei der Party der Fitzgeralds als Hauptattraktion in Betracht gezogen wurde, und durchforstete gemeinsam mit Reboul die beiden anderen Polizeiberichte, die Hervé besorgt hatte. Sie hatten eine deprimierende Ähnlichkeit mit dem ersten Bericht – die gleichen pedantischen Formulierungen, sogar die gleichen vagen Schlussfolgerungen.
Sam lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und schüttelte den Kopf. „Was meinen Sie, lernt man das auf der Polizeiakademie? Im Grundkurs Tatortberichterstattung?“
„Mein lieber Sam, darf ich Sie daran erinnern, dass wir uns in Frankreich befinden?“, entgegnete Reboul. Alles, was mit der französischen Bürokratie in Zusammenhang steht, ist in ein offizielles System mit offiziellen Formularen eingebunden. Diese müssen sorgfältig ausgefüllt, unterschrieben, gegengezeichnet und mit einem Stempel versehen sein, bevor man sie in einer Akte ablegen und vergessen kann. Wir leben hier in einem Land, in dem sich ein verhältnismäßig einfacher Rechtsstreit über einen Zeitraum von zehn Jahren hinziehen kann. Erwarten Sie also nicht, aus offiziellen Berichten etwas Neues zu erfahren. Es tut mir leid, aber wenn Sie eine Eingebung suchen, sollten Sie anderswo Ausschau danach halten.“
„Nun, ich weiß auch schon, wo. Wir haben uns das Haus der Castellacis angesehen, und in die beiden anderen Häuser, die ausgeraubt wurden, würde ich auch noch gern einen Blick werfen. Und ich möchte die Besitzer kennenlernen, wenn es möglich ist. Ich schätze, was ich suche, ist irgendein Bindeglied. Soweit ich weiß, bestehen grundlegende Ähnlichkeiten zwischen allen drei Diebstählen: keinerlei Anzeichen für einen Einbruch, keinerlei Anzeichen für ein gewaltsames Öffnen des Wandsafes, keine anderen Gegenstände, die gestohlen wurden, abgesehen von den Juwelen, keine Spuren. Wenn nur einer dieser Fälle diese Merkmale aufweisen würde, hätte ich auf einen Insider-Job getippt. Aber gleich drei fingierte Einbrüche? Das sieht für mich eher so aus, als wären da Profis am Werk gewesen, die gut organisiert und gut informiert sind, vielleicht eine kriminelle Bande, die einen Weg entdeckt hat, sich in moderne Sicherheitssysteme einzuklinken. So etwas kommt vor.“
Reboul beugte sich lächelnd vor und klopfte Sam auf die Schulter. „Ich werde sehen, was ich tun kann. Aber Sam, sind Sie sicher, dass Sie Ihre Zeit mit solchen Dingen verbringen wollen? Würden Sie sich nicht lieber mit der schönen Elena vergnügen?“
„Die schöne Elena vergnügt sich mit ihren eigenen Recherchen sowie mit den zukünftigen eigenen vier Wänden und ist heilfroh, dass ich etwas gefunden habe, was mich beschäftigt. Sie weiß, dass diese Raubüberfälle zu den Aktivitäten gehören, die mich faszinieren, und das bedeutet, wie sie mir mehr als einmal gesagt hat, dass ich sie nicht dauernd ablenke, wenn sie lebenswichtige Entscheidungen hinsichtlich der Installationsarbeiten treffen muss.“
Reboul lächelte immer noch, als er auf seine Uhr blickte. „Wie mir scheint, ist es Zeit für ein Glas rosé. Und für ein paar Informationen, die Sie interessieren und überraschen könnten. Der Rosé erfreut sich in Frankreich inzwischen so großer Beliebtheit, dass wir jetzt mehr da- von trinken als produzieren, so dass wir Gefahr laufen, ihn einführen zu müssen, um der Nachfrage Herr zu werden. Können Sie sich das vorstellen? Wie sich die Zeiten geändert haben! Bestimmt haben Sie schon mal das alte Sprichwort gehört, dass die versnobten Weinkenner lieben: „Rosé – oben rein, unten raus.“Das hört man heutzutage nicht mehr oft. Wie dem auch sei, meine liebe Monica war drüben in Hongkong so besorgt bei dem Gedanken, dass Frankreich der Rosé ausgehen könnte, dass sie schnurstracks zu ihrem chinesischen Weinhändler gelaufen ist und ihn gebeten hat, mir eine Kiste zu schicken.“
Er griff in den Kühlschrank unter der Bar und holte eine Flasche mit einer Flüssigkeit in grellem Pink hervor. Die Angaben, die sich das Etikett mit einer Zeichnung von der berühmten Chinesischen Mauer teilten, lauteten: „CHINESISCHE MAUER, ROSÉWEIN, abgefüllt vom Weingut Huaxia, Hebei, China.“
„Was halten Sie davon?“, fragte Reboul.
„Ich denke, Monica hat sich einen kleinen Scherz erlaubt.“
„Mhm, das wissen wir aber erst, wenn wir ihn probiert haben.“
„Okay, Sie zuerst!“
17. KAPITEL
Sam und Philippe hatten sich für elf Uhr auf der Terrasse eines Cafés in der Nähe vom Vieux Port verabredet, aber es war fast halb zwölf, als Philippe endlich auftauchte. Mühsam bahnte er sich seinen Weg durch den Parcours der kleinen Tische, die auf der Terrasse aufgereiht waren, bevor er Sam gegenüber Platz nahm.
„Na, warst du beim morgendlichen Lauftraining?“
Philippe zuckte zusammen. „Gestern Abend fand die Wohltätigkeitsgala zugunsten der notleidenden Damen der Marseiller High Society statt. Ein paar schwerreiche Gäste, eine Versteigerung, eine Band, das übliche Theater. Wie dem auch sei, sie haben eine Menge Spendengelder gesammelt und beschlossen, es in Champagner zu investieren und sich die Nacht um die Ohren zu schlagen, so dass Mimi und ich erst um fünf Uhr morgens zu Hause waren.“Philippe gab dem Kellner ein Zeichen, holte drei Aspirin aus seiner Tasche und bestellte einen doppelten Espresso, ein Glas Wasser und ein kleines Glas Calvados. „So habe ich den Abend verbracht. Und was lag bei dir an?“
„Chinesischer Rosé und die Polizeiberichte über die beiden anderen Raubüberfälle.“Sam tippte auf die Akten, die vor ihm auf dem Tisch lagen.
„Und, wie schneiden sie im Vergleich mit dem ersten Bericht ab?“
„Sie sind beinahe identisch. Wie Francis bereits sagte, wir müssen anderswo nach einer Eingebung suchen.“
Es entstand eine kleine Pause, als sich Philippe den Kaffee, das Aspirin und, mit einem Schauder, den Calvados eintrichterte. „ Ouf! Schon besser. Die reinste Rosskur, aber das beste Mittel gegen einen Kater. Er griff nach den Berichten. „Wissen wir, wo sich die beiden anderen Tatorte befinden?“
„In Monaco und Antibes. Die Adressen und die Namen der Besitzer stehen im Bericht. Ich denke also, wir sollten es bei ihnen mit der gleichen Strategie versuchen, die bei den Castellacis funktioniert hat.
(Fortsetzung folgt)